Gesundheit-E-Health icon

Gesundheit & E-Health

Standpunkte Medikamentenengpässe gemeinsam bekämpfen

Foto: PwC Germany

Niemand wird das zunehmend auftretende Problem fehlender Medikamente allein lösen können. Aber ohne Vorgaben aus der Politik wird sich an der derzeitigen Situation nichts ändern - das meint Michael Burkhart, Leiter Gesundheitswirtschaft bei PwC Deutschland.

von Michael Burkhart

veröffentlicht am 29.01.2020

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Zum wiederholten Mal macht in Deutschland die Nachricht von einem Medikamentenengpass die Runde. Ende November standen fast 300 Arzneimittel – ohne Impfstoffe – auf der Engpassliste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte. Der Ruf wird lauter, der Staat müsse stärker eingreifen, um Lieferengpässe zu verhindern.

Wirkstoffe: Produktion in Europa zu teuer

Was sind die Gründe, die immer wieder zu Lieferschwierigkeiten bei Medikamenten führen? Erstens sind es Produktionsausfälle, zweitens der sogenannte Parallelhandel und drittens Rabattverträge. Alles Ursachen, die sich vermeiden ließen, wenn alle Teilnehmer an einem Strang ziehen und eine gemeinsame Lösung erarbeiten würden.

Ein Beispiel für die Auswirkungen von Produktionsausfällen ist der seit Monaten auf der Engpassliste stehende Wirkstoff Valsartan. Der Wirkstoff wird seit Jahren weltweit ausschließlich von einem chinesischen Hersteller produziert. Mitte 2019 wurden in einigen Chargen Verunreinigungen festgestellt und daher sämtliche Medikamente vom Markt genommen. Alternative Anbieter gibt es keine. Ursache Eins für die Engpässe sind also monopolistische Strukturen im Wirkstoffmarkt. Der Grund für diese Konzentration auf einen Hersteller: Die Produktion dieser Wirkstoffe ist in Europa zu teuer.

Billigland Deutschland

Zweiter Grund: der Parallelhandel. In Deutschland sind die Preise für Medikamente in den zurückliegenden Jahren so stark gefallen, dass Arzneimittelhändler sie lieber in lukrativeren Märkten verkaufen. Teilweise sind die Preisunterschiede sogar so groß, dass Händler die Medikamente in Deutschland aufkaufen und in anderen Ländern anbieten. In einem freien Markt ist dies jedoch das gute Recht eines jeden Anbieters.

Drittens: Rabattverträge. Krankenkassen schreiben Lieferverträge für Medikamente aus. Wer den Zuschlag erhält, bekommt dadurch in der Regel für zwei Jahre das Monopol, das Präparat an die Patienten zu verkaufen, die bei dieser Krankenkasse versichert sind. Dafür gewähren die Hersteller der Krankenkasse Rabatte. Was aus finanzieller Sicht für das Gesundheitssystem gut gemeint ist, kann zu Lieferengpässen führen oder sie verstärken. Denn kommt es zu Produktionsausfällen bei diesem Hersteller, darf der Apotheker ohne Rücksprache mit dem Versicherer nicht einfach ein alternatives Präparat verkaufen. Die Rabattverträge wirken sich auch auf die Unternehmen aus, die nicht zum Zuge kommen. Sie fahren ihre Produktion zurück. Oder sie verlassen den deutschen Markt. Dies kann die Engpassproblematik zusätzlich verstärken.

In allen drei Fällen handeln die Wirkstoff- und Arzneimittelhersteller sowie die Krankenversicherer aus betriebswirtschaftlicher Sicht nachvollziehbar. Die Versicherer wollen mit den Rabattverträgen die Gesamtkosten für Medikamente senken. Denn trotz aller Maßnahmen steigen die Pro-Kopf-Ausgaben für Arzneimittel in Deutschland weiter an. Dass sich immer mehr Wirkstoffhersteller in Europa aus dem Geschäft verabschieden oder ihre Produktion nach Asien verlegt haben, ist gleichfalls nachvollziehbar. Die Produktionskosten waren zu hoch, die Wirkstoffe sind in Asien günstiger zu bekommen. Auch der Parallelhandel ist aus wirtschaftlichen Gründen eine typische Entwicklung. Jeder Hersteller und Händler versucht seine Ware dort zu verkaufen, wo er mehr daran verdienen kann.

Engpässe verhindern hat seinen Preis

Wie lassen sich die Engpässe verhindern? In jedem Fall ist die Politik gefordert. Die Herstellung von und der Handel mit Medikamenten mögen zwar betriebswirtschaftlichen Regeln folgen, aber das Gesundheitswesen muss als kritische Infrastruktur anderen Mechanismen unterworfen werden. Was allerdings seinen Preis hat. Wenn wir uns von einzelnen Wirkstoffherstellern unabhängig machen wollen, müssen wir bei höheren Kosten die Produktion in Europa ankurbeln. Die Politik könnte zudem forschende Pharmaunternehmen fördern, die sich zu Entwicklungsverbünden zusammenschließen, gemeinsam an neuen Medikamenten forschen oder Wirkstoffe gemeinsam herstellen.  

Die Rabattverträge an sich sind nicht falsch. Jedoch sollte der Preis nicht allein der Grund für den Zuschlag sein. Die Versicherer müssten dazu verpflichtet werden, Verträge mit mindestens zwei Lieferanten zu schließen – und vertraglich festlegen, welche Mengen sie garantiert liefern müssen. Dies gilt auch für Kliniken, die eigene Verträge mit Arzneimittelhändlern schließen. Das würde auch das Risiko senken, dass Rabattverträge die Tendenz zu monopolistischen Strukturen verstärken. Eine Behörde könnte die Rabattverträge auf ihre Auswirkungen auf die Gesamtversorgung prüfen. Eine ähnliche Aufgabe, wie sie Kartellämter zum Schutz des Wettbewerbs übernehmen.   

Gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Schließlich ließe sich auch der Parallelhandel eindämmen, wenn es Vorgaben für die Bevorratung von Medikamenten geben würde. Händler in Deutschland müssten die geforderten Mengen dann jederzeit zur Verfügung stellen können. Überschreiten Medikamente ihr Verfallsdatum, müsste das Gesundheitswesen diese Kosten tragen. Was bei Grippeimpfstoffen längst normal ist.

Dies sind Maßnahmen, die nicht für alle rund 100.000 verschreibungspflichtigen Medikamente in Deutschland umgesetzt werden müssen. Die lebenskritischen und von der monopolistischen Herstellung betroffenen Wirkstoffe lassen sich aber gemeinsam definieren. Fest steht: Die Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie erfordert ein Umdenken bei den Handelnden und klarere Vorgaben der Politik. Es ist ihre Aufgabe, die Zielkonflikte im System zwischen Effizienz, Kostenminimierung und Sicherheit aufzulösen. Denn eins ist klar: Sicherheit kostet Geld.

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen