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Standpunkte Neue Wege aus der Resistenz-Krise

Ilona Kickbusch, Professorin an der Universität Genf, und Isabel Henkel, Leiterin Global Market Access & Medical Affairs bei Essity
Ilona Kickbusch, Professorin an der Universität Genf, und Isabel Henkel, Leiterin Global Market Access & Medical Affairs bei Essity Foto: DTH-LAB (Kickbusch), Henkel (Essity)

Antimikrobielle Resistenzen (AMR) gehören zu den drängendsten Herausforderungen für die globale Gesundheit. Obwohl die Risiken längst bekannt sind, fehlt es auch in Deutschland an ausreichender Aufmerksamkeit und konsequentem Handeln. Eine koordinierte Strategie, die Prävention, Diagnostik und Innovation vorantreibt, erfordert den Schulterschluss von Gesundheits- und Wirtschaftspolitik, schreiben Ilona Kickbusch und Isabel Henkel im Standpunkt.

von Ilona Kickbusch und Isabel Henkel

veröffentlicht am 18.02.2025

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Seit 1990 haben sich die AMR-bedingten Todesfälle weltweit nahezu verdoppelt. Laut dem internationalen Forschungsverbund Global Burden of Disease waren 2021 bis zu sieben Millionen Todesfälle mit AMR verbunden und 1,14 Millionen direkt darauf zurückzuführen. Bis 2050 könnten zwei Millionen jährliche Todesfälle direkt auf AMR zurückzuführen sein, warnen die Forschenden.

AMR entsteht in erster Linie durch den unangemessenen Einsatz von antimikrobiellen Mitteln (primär von Antibiotika, aber auch von antiparasitären und antiseptischen Mitteln) bei Menschen und in der Tierhaltung. Insbesondere in Entwicklungsländern ist die dadurch verursachte Sterblichkeit hoch. Offene Grenzen, Zunahme von Konflikten und weltweite Mobilität tragen dazu bei, dass sich multiresistente Erreger ungehindert verbreiten. Der Kampf gegen AMR muss daher sowohl auf globaler als auch auf lokaler Ebene stattfinden. Im Sinne des One Health Ansatzes der Weltgesundheitsorganisation müssen sektorübergreifend auch die Tierhaltung und Nahrungsmittelproduktion einbezogen werden. Entscheidend ist es, antimikrobielle Mittel zielgerichtet einzusetzen und einen übermäßigen und missbräuchlichen Einsatz zu verhindern. Leider gelingt das auch in Deutschland noch immer nicht ausreichend.

Seit dem Ende der Corona-Pandemie steigen hierzulande die Antibiotika-Verschreibungen wieder an. Laut einer Auswertung der Techniker Krankenkasse (TK) erhielt 2023 jede versicherte Erwerbsperson durchschnittlich 3,7 Tagesdosen, so viel wie zuletzt 2019. Längst nicht alle Verschreibungen waren notwendig. So erhielten laut TK 15 Prozent der Menschen, die wegen einer Erkältung krankgeschrieben waren, ein Antibiotikum, obwohl die meisten Erkältungskrankheiten durch Viren verursacht werden.

Mehr Aufmerksamkeit für die stille Pandemie

Zwar wurde schon im Jahr 2008 die Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie (DART) beschlossen und mit DART 2020 und DART 2030 umfänglich weiterentwickelt. Auch haben Bundesministerien die Forschung aktiv gefördert, zum Beispiel durch Initiativen wie GARDP und CaRBx. Analysen zeigen jedoch, dass viele Vorgaben auf nationaler Ebene hängen bleiben und auf lokaler Ebene nicht ausreichend umgesetzt werden. Und auch in der öffentlichen Wahrnehmung ist AMR bestenfalls ein Nischenthema und die Gefahr weitestgehend unbekannt. Was also muss geschehen, um die „stille Pandemie“ besser einzudämmen:

  1. Gesundheitskompetenz stärken
    Laut einer EU- Befragung wissen gerade mal die Hälfte der Europäer, dass Antibiotika nicht gegen Viruserkrankungen helfen. Zu viele Patient:innen erwarten bei akuten Infekten immer noch die Verordnung von Antibiotika, um möglichst schnell wieder fit zu werden. Grundlegende Kenntnisse über Krankheiten und deren Ursachen müssten bereits in der Schule vermittelt werden. Gezielte Informationskampagnen sollten Nutzen und Risiken bestimmter Medikamente thematisieren und die breite Öffentlichkeit für die Bedrohung durch AMR sensibilisieren. Neben staatlichen Stellen könnten Patientenverbände aber auch Multiplikatoren wie Apotheker:innen eine entscheidende Rolle beim Aufbau von mehr Gesundheitskompetenz spielen.
  2. Infektionen vermeiden
    Simple Hygienemaßnahmen wie gute Hand- und Oberflächenhygiene sorgen bereits dafür, dass Infektionen eingedämmt und der Einsatz von Antibiotika reduziert werden können. Oft wird übersehen, dass Resistenzen auch in der Wundversorgung entstehen. Chronisch Kranke wie Diabetiker (11 Mio. Erkrankte in Deutschland) haben hier beispielsweise ein besonders hohes Infektionsrisiko. Bessere Pflegestandards und -praktiken beim Verbandswechsel, aber auch der Einsatz innovativer Wundverbände (z.B. mit einer Dialkylcarbamoylchlorid (DACC)-Beschichtung statt Silber) können Infektionen vorbeugen und damit das Risiko für AMR senken.
  3. Die Ärzteschaft einbinden
    Etwa 80 Prozent aller Antibiotika werden im ambulanten Bereich verschrieben. Studien belegen große Unterschiede sowohl auf regionaler Ebene als auch zwischen einzelnen Praxen. Es scheint also eher eine Frage des Behandlungsstils als der zu behandelnden Krankheit, ob ein Antibiotikum verschrieben wird. Angesichts der wachsenden Bedrohung durch AMR sollten Maßnahmen wie verpflichtende Fortbildungen oder erschwerte Verschreibungen keine Tabuthemen mehr sein. Gleichzeitig gilt es die Ärzteschaft besser zu unterstützen, zum Beispiel bei der Risikobewertung. So arbeitet in den USA die nationale Gesundheitsbehörde FDA an einer entsprechenden Klassifizierung von Medikamenten und Medizinprodukten, aus der sich im Hinblick auf die Entwicklung von AMR hilfreiche Empfehlungen für die Verschreibungspraxis ableiten lassen.
  4. In Diagnostik investieren
    Der Einsatz von Breitbandantibiotika ohne den Nachweis spezifischer Erreger bleibt der zentrale Risikofaktor für die Resistenz-Entwicklung. Eine bessere Diagnostik kann im Kampf gegen AMR den Unterschied machen, denn einige Erreger können bereits mit Schnelltests nachgewiesen werden (z.B. A-Streptokokken im Rachen). Die Entwicklung solcher Tests muss stärker in den Fokus der Forschungsförderung rücken. Bereits verfügbare Tests müssen flächendeckend zum Einsatz kommen – und bald so selbstverständlich werden wie der Covid19-Schnelltest oder das Blutdruckmessen. Eine gute Diagnostik hilft nicht nur, den Krankheitsverlauf positive zu beeinflussen und zugleich Kosten einzusparen, es fördert auch das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt oder Ärztin.

Wirtschaftliche und gesundheitliche Potentiale heben

Der Kampf gegen AMR erfordert mehr als eine plausible Strategie auf Papier. Ein multidisziplinärer Ansatz, die Einbindung aller Beteiligten und ein hohes Maß an Eigenverantwortung – von Professionellen und Patient:innen – ist Voraussetzung. Eine gezielte Vermeidung von Risiken, die Behandlung von Ursachen, nicht nur von Symptomen und die Förderung von Prävention und Diagnostik müssen stärker in den Fokus rücken – kein Kostenfaktor, sondern eine Investition in die Zukunft.

Die neue Bundesregierung könnte an dieser Stelle neue Akzente setzen. Deutschland verfügt in Medizintechnik und Diagnostik über eine starke wirtschaftliche Basis mit vielen erfolgreichen Mittelständlern. Die neue Bundesregierung sollte dieses Potenzial fördern und die Bekämpfung von AMR zu einer ressortübergreifenden Aufgabe machen. Das gilt auch international: In den letzten Jahren war Deutschland stets eine starke Stimme für AMR in den G7 und G20 Treffen.

Professorin Ilona Kickbusch ist Professorin an der Universität Genf und Leiterin des Digital Health Transformation Labs. Sie ist eine der führenden Expertinnen für globale Gesundheit und Beraterin des Generaldirektors der WHO und gründete das Global Health Centre am Genfer Institut für Internationale Studien.

Dr. Isabel Henkel ist Humanmedizinerin mit weitreichenden klinischen Erfahrungen. Seit über 20 Jahren verantwortet sie in globalen Konzernen wie Johnson & Johnson, Roche oder Grünenthal Market Access Strategien für Medizin- und Pharmaprodukte. Beim Hygiene- und Gesundheitsunternehmen Essity leitet Henkel seit 2019 den Bereich Global Market Access & Medical Affairs.

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