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Gesundheit & E-Health

Standpunkte Psychoanalyse in der neuen Psychotherapie

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Winfried Rief und Thomas Fydrich klären über die Probleme der einst führenden psychotherapeutischen Behandlungsform auf und zeigen, wie sie ihren Platz in der heutigen Versorgung finden kann.

von Thomas Fydrich, Winfried Rief

veröffentlicht am 14.02.2020

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Die Psychoanalyse ist die Urmutter der Psychotherapie. Sie war über Jahrzehnte die dominierende Psychotherapie-Theorie und Behandlungsform. Wie konnte es dazu kommen, dass nun von ihren Vertretern die Marginalisierung des Verfahrens beklagt wird und „politischer Artenschutz“ beantragt wird? Denn in der Tat: in der wissenschaftlichen Welt der Psychotherapie finden sich nur noch wenig Spuren von diesem traditionellen Theoriegebäude. Analysiert man die Königsklasse der Evidenzbasierung in der Medizin, die randomisierten klinischen Studien der zurückliegenden fünf Jahre, so machen Studien zu psychodynamischen oder psychoanalytischen Verfahren weniger als zwei Prozent aus. Im Kinder-und Jugendlichenbereich steht trotz der längsten Tradition der psychodynamischen Verfahren im Vergleich zu allen anderen Ansätzen die wissenschaftliche Anerkennung durch den Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie aus. Wer oder was ist für diese Entwicklung verantwortlich?

Schuldig sind die Anderen

Von manchen Vertretern der Zunft sind die Schuldigen bald gefunden: die Verantwortung für diese Entwicklung wird nicht bei sich selbst gesucht, sondern bei anderen. Falsche Forschungsförderung, falsche Professuren an den Universitäten, zu wenig politische Unterstützung. Die Professuren im klinisch-psychologischen Bereich haben sich in der Tat in den zurückliegenden 50 Jahren eher abgewandt. Schnell werden Verschwörungs- und Machttheorien geäußert, die für den Status quo verantwortlich wären. Aber nur eine rationale Problemanalyse erlaubt, auch vernunftbasierte Lösungen zu überlegen.

Sicherlich war lange Zeit das Idealisieren der Langzeit-Psychoanalyse (oftmals über vier und mehr Jahre Behandlung) ein Problem. Solche Formate laden Wissenschaftler nicht dazu ein, sich damit zu beschäftigen; diese wurden außerdem durch enorm hohe Anforderungen der Psychotherapie-Ausbildung abgeschreckt. Und so ist die langwierigste und teuerste Behandlungsform in der Psychotherapie, die Langzeit-Analyse, bis heute die wissenschaftlich am schwächsten geprüfte Form. Und für viele Länder dieser Erde ein nicht-finanzierbares, zu teures Element einer Gesundheitsversorgung, das etwas aus der Zeit gefallen scheint.

Entwicklung nicht nur in Deutschland

Sicherlich der historisch wichtigste Fehler der Fachvertreter war, jahrzehntelang systematische empirische Forschung abzulehnen. An mangelndem Personal oder Professuren lag dies nicht: bis heute haben wir in der medizinischen Psychosomatik fast ausschließlich psychodynamisch geschulte Professoren, mit eigenen Stationen und wissenschaftlichem Personal. Trotzdem hat sich die wissenschaftliche Situation für die Psychoanalyse nicht nennenswert verändert.

Es geht eben nicht um die deutschen Professuren und ihre Fachkunden, die Situation hat sich in den USA, Schweden, Niederlande oder UK in gleicher Weise weiterentwickelt, und die Psychoanalyse blieb zurück. Warum wurde der psychoanalytische Ansatz immer weniger als wissenschaftlich interessant und inspirierend gewertet? Ist eine selektive Forschungsförderung, wie von anderen Verschwörungstheoretikern behauptet, dafür verantwortlich? In Deutschland haben wir ein Fördersystem (insbesondere bei der DFG), das für alle Themen offen ist, die mit den Standards moderner Forschung untersucht werden sollen. Es gibt keine thematische Eingrenzung. In den Forschungsgremien sitzen seit vielen Jahren auch psychodynamisch geschulte Fachvertreter. Aber es kommen zu wenig Anträge, die die Psychoanalyse mit modernen Methoden untersuchen wollen.

Wie kam es, dass Psychoanalytiker bei Berufungen auf Professuren nicht mehr zum Zuge kamen? Die Berufungskommissionen bewerten die wissenschaftliche Leistung (Publikationen, Drittmittel-Einwerbung), aber auch die Passung zu den Grundlagen- und anderen Fächern. Und hier erklärt sich vieles: ist eine breite, wissenschaftliche und international sichtbare Publikationsleistung des Bewerbers nachweisbar, die über den eigenen Tellerrand hinausgeht und für andere Teilgebiete stimulierend wirkt? Wird versucht, Querbezüge zu anderen empirischen Wissenschaften herzustellen, werden auch deren Konzepte und Befunde aufgegriffen, und führen diese zur kritischen Reformulierung des eigenen Ansatzes, hier der Psychoanalyse? Vieles würde sich anbieten: die zahlreichen neuen Befunde in der Kleinkindforschung, zur Verarbeitung traumatischer Erfahrungen, zur Schlaf-und Traumsteuerung, zur impliziten Informationsverarbeitung. Oder versucht die Psychoanalyse, den heiligen Gral eigener Begrifflichkeiten, Konzepte und Theorien zu erhalten, unabhängig was die empirische Forschung verwandter Bereiche erbringt?

Die Psychoanalyse muss sich modernisieren

Wenn die Psychoanalyse Anschluss an die moderne Psychotherapie finden möchte, was müsste sie tun? Eine Modernisierung und Verwissenschaftlichung der eigenen Sprache, Theorien und Konzepte. Der oftmals elitär aufrechterhaltene Sonderstatus muss aufgegeben und eine Integration in die Familie der Psychotherapien muss angestrebt werden. Mit anderen Psychotherapeuten muss daran gearbeitet werden, eine gemeinsame Sprache zu finden, anstatt mit unterschiedlichen Begriffen der Psychotherapie-Schulen gleiche Phänomene zu beschreiben. Die Nähe zur akademischen Psychologie und als allgemeine Lehre des menschlichen Verhaltens und Erlebens muss aktiv gesucht werden, anstatt passiv darüber zu klagen, warum sich die Psychologie nicht mit der Psychoanalyse beschäftigt. Als Lehre vom menschlichen Verhalten und Erleben ist die Psychologie der allgemeine, theoretische Überbau für psychotherapeutisch angestrebte Veränderungen. Die eigenen Konstrukte aus der Psychoanalyse müssen empirischer, auch experimenteller Forschung unterzogen werden, und müssen im Sinne von Feedback-Schleifen zu Änderungen in der Theoriebildung führen, anstatt an traditionellen Sichtweisen festzuhalten. Und Wirksamkeitsforschung darf nicht als Methode zur Selbstbestätigung dienen, sondern muss eine kritische Prüfung darstellen, bei der auch Alternativhypothesen eine Chance haben müssen. Das ist Wissenschaft.

Die Psychoanalyse könnte sich an anderen, wissenschaftlich erfolgreicheren Therapieverfahren orientieren. Auch die mit der Psychoanalyse verwandte Tiefenpsychologie zeigt sich deutlich offener für andere Impulse, bietet wirtschaftliche und praktikable Interventionen und Ausbildungswege an, und entwickelt zunehmend eigene Konzepte in Richtung einer besseren wissenschaftlichen Prüfbarkeit. Alle Psychotherapie-Richtungen sind gefordert, den in Deutschland oftmals noch vorfindbaren tiefen Graben zwischen den „Schulen“ zu überwinden, und auch eine Einheit in der Vielfalt zu finden. Andere Länder sind hier einiges weiter.

Aber vielleicht ist die Situation der Psychoanalyse auch einfach Ausdruck der Weiterentwicklung der Psychotherapie zu etwas anderem, Neuen, so wie es in allen lebenden Wissenschaften Schwerpunktverschiebungen gibt? Vielfalt und Pluralismus in der Psychotherapie definiert sich heute anders als vor 30 oder in 50 Jahren. Kein Verfahren hat Anspruch auf ewigen Schutz in der Wissenschaft. Hier hilft auch nicht der Ruf nach politischem Artenschutz, sondern nur die aktive wissenschaftliche Auseinandersetzung, der man sich stellen muss.

Prof. Dr. Winfried Rief (Bild rechts) ist Leiter der Psychotherapie-Ambulanz an der Universität Marburg. Prof. Dr. Thomas Fydrich (Bild links) ist Seniorprofessor am Institut für Psychologie der Humboldt-Universität zu Berlin. 

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