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Standpunkte Schluss mit der Pflegelüge der Politik

Kaspar Pfister, geschäftsführender Gesellschafter und Gründer von BeneVit
Kaspar Pfister, geschäftsführender Gesellschafter und Gründer von BeneVit Foto: BeneVit

Es gibt neue Ansätze, die Qualität in der Pflege ermöglichen und weniger kosten, schreibt Kaspar Pfister, Gründer des Pflegeunternehmens BeneVit. Dafür müsse die neue Bundesregierung im Pflegebereich endlich die Innovationsbremse lösen, sich für neue Wohn- und Pflegeformen öffnen und für schnellere Umsetzung sorgen. Und vor allem auf die Kompetenz derjenigen vertrauen, die tagtäglich an praktikablen Lösungen für eine zukunftsfeste Pflege arbeiten.

von Kaspar Pfister

veröffentlicht am 03.02.2025

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Man kann nicht oft genug auf die prekäre Lage hinweisen: Deutschland altert, die Anzahl pflegebedürftiger Menschen steigt dramatisch, Pflegekräfte sind rar und fehlen schon heute, die Kassen leer – das sind die Zutaten, aus denen die handfeste Krise des deutschen Pflegesystems gemacht ist. Ohne fundamentale pflegepolitische Weichenstellungen wird sich die Krise weiter verschärfen. Für Pflege- und Krankenkassen, Kommunen und nicht zuletzt pflegebedürftige Menschen sowie ihre Angehörigen werden die Kosten weiter steigen – ohne Aussicht auf qualitative Verbesserungen.

Die Pflegedienstleister werden sich ihrerseits gegen den weiter zunehmenden Fachkräftemangel stemmen. Wesentlich mehr Fachkräfte – ob aus dem In- oder Ausland – wird es aber auch zukünftig nicht geben. Daran ändern auch medienwirksame Auslandsreisen von Ministern nichts.

Soziale Aspekte in den Fokus nehmen

Was in aktuellen Krisenbeschreibungen oft zu kurz kommt: Auch die Vorstellungen von Lebensqualität bei Pflegebedürftigkeit haben sich geändert. Mehr Selbstbestimmung und Teilhabe im Alter – die Ansprüche sind gestiegen, auch in der Altenpflege.

Ambulante Versorgungsmodelle stehen hoch im Kurs, haben jedoch bei zunehmendem Pflegebedarf ihre Grenzen, nicht zuletzt aufgrund des chronischen Fachkräftemangels. Das darf uns aber nicht davon abhalten, soziale Aspekte und individuelle Bedürfnisse bei der Suche nach Auswegen aus der Pflegekrise zu berücksichtigen.

Außerdem steigen die Sozialabgaben immer weiter an. Das ist eine Belastung für die junge, beitragszahlende Generation, aber auch ein belastender Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Diesen Automatismus gilt es zu durchbrechen, die sozialen Sicherungssysteme müssen zukunftsfähig werden und dafür braucht es auch zumutbare Belastungen für die Beitragszahler und kein immer mehr vom Gleichen, das jetzt schon nicht mehr funktioniert.

Kein Systemwechsel, aber ein Wechsel im System

Um handfeste Verbesserungen zu erreichen, müssen wir unser Pflegesystem nicht einmal neu erfinden. Auch ein Wechsel im System kann viel bewirken. Dafür braucht es keine neue Säule neben der ambulanten und stationären Versorgung. Vielmehr müssen wir uns für neue Ansätze öffnen, die das Beste aus beiden Pflegeformen kombinieren.

Allerdings: Das gelingt nicht am Reißbrett im Bundesgesundheitsministerium oder in Planspielen von Spitzenverbänden. Vielmehr muss der Ansatz von denjenigen entwickelt und erprobt werden, die praktische Erfahrung in der Ausgestaltung von Pflegedienstleistungen haben – und das sind nicht nur, aber auch privatwirtschaftlich engagierte Akteure vor Ort. Und siehe da, es gibt bereits Ansätze, die den veränderten Bedürfnissen von pflegebedürftigen Menschen gerecht werden, Versorgungssicherheit auf hohem Niveau ermöglichen und Kosteneinsparungen mit sich bringen. Wie das gelingt?

Gute Pflege und niedrigere Eigenbeträge – das geht

Wohn- und Pflegeangebote mit Zukunft müssen die Sicherheit von stationären Einrichtungen mit der Flexibilität ambulanter Versorgung klug kombinieren. Hausgemeinschaften, in denen sich Pflegebedürftige wie zu Hause fühlen, gezielt aktiviert werden und gleichzeitig die fachliche Betreuung und Versorgungssicherheit bekommen, bilden die Basis. Das erhöht die Lebensqualität und führt zwangsläufig zu einer Verbesserung des individuellen Allgemeinzustandes. Bei rund einem Drittel der Bewohner ist eine Rückstufung beim Pflegegrad und damit eine Verringerung der finanziellen Last Realität.

Auch die verstärkte Einbindung von pflegenden Angehörigen ist ein zentraler Hebel. Indem sie Alltagsaufgaben wie zum Beispiel die Zimmerreinigung oder Wäscheversorgung übernehmen, können sie nicht nur für ihre Angehörigen da sein und Zeit mit ihren Liebsten verbringen, sondern gleichzeitig auch den Eigenbeitrag um bis zu 1000 Euro monatlich senken. So wird auch eine neue Balance von Pflege und Beruf erreicht und beides ermöglicht.

Von All-inclusive zu passgenauen Pflegeleistungen

Pflege bedarfsgerecht organisieren und pflegende Angehörige verstärkt einbinden – so wird mehr Flexibilität beim Einsatz von personellen Ressourcen geschaffen. Also weg vom All-inclusive-Ansatz und hin zu passgenauen Pflegeleistungen, die ambulant hinzugebucht werden. Das spart Geld und hat einen weiteren Vorteil: Pflegefachkräfte können sich so wieder auf ihre Kernaufgaben konzentrieren und werden insgesamt entlastet. Das steigert nicht nur die individuelle Mitarbeiterzufriedenheit, sondern auch die Attraktivität des Pflegeberufs insgesamt.

Das bisherige System finanziert Defizite und hat falsche Anreize: bei Verschlechterungen gibt es mehr Geld und Personal. Wer will es verdenken, wenn sich alle anstrengen, einen höheren Pflegegrad zu bekommen. Es braucht einen Paradigmenwechsel. Eine Verbesserung des Allgemeinzustandes führt nicht nur zu einer besseren Lebensqualität, sondern senkt die Kosten und das muss belohnt werden.

Und um mit allen Vorurteilen aufzuräumen: In jeder Phase des Lebens, auch im Alter, kann verloren gegangene Muskulatur wieder gestärkt, können Sehnen wieder elastischer werden und können kognitive Fähigkeiten zurückkommen. Um das zu erreichen, braucht es auch finanzielle Anreize!

Mehr Vertrauen in private Initiative

Der Bund hat vor über zehn Jahren die Träger aufgefordert, innovative quartiersnahe Wohnformen zu entwickeln. Das war richtig und wichtig. Aber: Die Politik muss den eingeschlagenen Weg nun auch konsequent weitergehen. Konzepte, die sich als erfolgreich erweisen, müssen zeitnah in die Praxis überführt werden und dürfen nicht jahrelang evaluiert und in unendlich langen Warteschleifen austrocknen.

Träger von Pflegeangeboten und Kommunen brauchen verlässliche Rahmenbedingungen. Klar ist, ein „Weiter so“ kann und darf es unter den gegebenen Bedingungen nicht geben. Es braucht Mut und Entschlossenheit, echte Innovationen in der Pflege bundesweit zu ermöglichen. Das geht allerdings nur miteinander – und dafür muss die Politik sich ehrlich machen und ihr Misstrauen gegenüber Trägern und privaten Initiativen in der Pflege abstellen. Nur wenn wir uns gemeinsam auf Neues einlassen, wird es gelingen, die Altenpflege in Deutschland stabil, qualitätsorientiert und bezahlbar aufzustellen.

Kaspar Pfister ist geschäftsführender Gesellschafter und Gründer von BeneVit, einem bundesweit tätigen Anbieter von Pflegedienstleistungen. In einer BeneVit-Einrichtung im badischen Wyhl am Kaiserstuhl wird seit acht Jahren die sogenannte stambulante Versorgung in der Altenpflege umgesetzt.

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