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Gesundheit & E-Health

Standpunkte So kommt Digital Health in Europa voran

Foto: Promo

Längst bekommen auch die deutschen Krankenkassen die Konkurrenz großer Tech-Konzerne aus den USA oder China zu spüren. Der Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, plädiert für eine Vernetzung der europäischen Systeme, um die Digitalisierung voranzubringen.

von Jens Baas

veröffentlicht am 17.03.2020

aktualisiert am 28.12.2022

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Am 1. Juli wird Deutschland für ein halbes Jahr den Vorsitz im Rat der Europäischen Union übernehmen. Ein halbes Jahr zur Gestaltung europäischer Gesundheitspolitik  das ist vergleichsweise wenig Zeit, auch wenn wir inzwischen wissen, wie viel Jens Spahn in einem halben Jahr bewegen kann. Wie im Tagesspiegel zu lesen war, sind sowohl Jens Spahn als auch die EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides bereits mitten in der Ausarbeitung des Fahrplans, um ihr Leitthema „Digitalisierung/ Big Data/ Künstliche Intelligenz“ in der kurzen Zeit erfolgreich auf die politische Agenda zu setzen. So bietet sich die große Chance, wichtige Weichen zu stellen, um die Digitalisierung der europäischen Gesundheitssysteme voranzubringen. 

Ein riesiger Markt entsteht

Die digitale Transformation im Bereich Gesundheit ist in vielen europäischen Ländern bereits im Gange. Dadurch entstehen neue, vielversprechende Märkte. Auf nicht weniger als 155 Milliarden Euro schätzt die Unternehmensberatung Roland Berger in ihrer Studie „Future of Health“ das Marktvolumen für Digital Health im Jahr 2025 in Europa  auf 38 Milliarden Euro allein in Deutschland. Dieses Potenzial erkennen zunehmend auch die Tech-Giganten, insbesondere aus den USA und China. 

Daten sind der Rohstoff, mit dem sie nun auch die Gesundheitssysteme in Europa für sich gewinnen wollen. Wie erfolgreich mit Hilfe von Big Data gearbeitet wird, das zeigen vor allem die Tech-Firmen im Silicon Valley und in China: Mit Hochdruck wird dort auf Basis von enormen Datenmengen an neuen Therapien und Versorgungsformen geforscht. Große Konzerne investieren Milliarden, um die Gesundheitsbranche zu revolutionieren. Egal, ob getrieben durch den enormen marktwirtschaftlichen Wettbewerb der Tech-Konzerne untereinander, wie in den USA oder wie in China durch den Staatskapitalismus  das Thema Datenschutz rückt dabei weit in den Hintergrund. Das wäre nach unseren europäischen Grundsätzen so niemals vorstellbar. Gleichzeitig wäre es aber blauäugig zu glauben, dass die Politik auf Dauer Angebote verbieten kann, die die Menschen unbedingt haben wollen und die ihnen einen großen Nutzwert versprechen. Europa droht zerrieben zu werden im Wettstreit um die globale Technologievorherrschaft im Gesundheitsbereich. Denn eine einheitliche Idee zur europaweiten Nutzung von Daten fehlt bislang.

Europas Modell zum Umgang mit Gesundheitsdaten

Dabei zeichnet uns in Europa ja gerade aus, dass wir wichtige Grundsätze zum Thema Datenschutz bereits geschaffen haben: Die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ist ein elementarer Pfeiler zur Wahrung des Rechts an den persönlichen Daten. Der Schutz der sensiblen Gesundheitsdaten muss in zunehmend digitalen europäischen Gesundheitssystemen oberste Priorität haben. Doch wie schaffen wir den schwierigen Spagat zwischen höchstem Datenschutz und der sinnvollen Verwertung von Daten für Forschungszwecke und neue Versorgungsangebote? Schließlich wünschen sich die Menschen individuelle Angebote und Leistungen, die auf ihre persönlichen Bedürfnisse, ihre persönliche Gesundheit zugeschnitten sind. Der Wettlauf um die besten Innovationen hat bereits begonnen, China und die USA sind uns derzeit um Längen voraus. Daher kann man nicht oft genug betonen, wie wichtig es nun ist, einen „Code of Conduct“ für eine einheitliche und praktikable Regelung zur Nutzung von Daten zu entwickeln. 

Der Wettbewerb im Gesundheitswesen verschärft sich, das bekommen auch wir Krankenkassen zu spüren: Fand der Konkurrenzkampf der Kassen bislang vor allem im eigenen Lager beziehungsweise zwischen gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen statt, so sind es zunehmend die Tech-Konzerne, die Druck erzeugen, indem sie mit maßgeschneiderten Angeboten zur Gesundheitsversorgung auf den Markt kommen. Umso mehr gilt es auch für Kassen, digitale Angebote aktiv zu gestalten, wenn sie zukunftsfähig bleiben wollen. Diese Angebote zu entwickeln, geht aber eben nur mit der Speicherung und Verarbeitung persönlicher Daten. Wie auch Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides im Interview mit dem Tagesspiegel Background sagte, muss es doch darum gehen, Daten auf einem sicheren Weg nutzbar zu machen. Und diese beiden Aspekte muss man als Teil eines Ganzen sehen und nicht als Gegensatz. Aber wie lässt sich das real gestalten?

Den Nutzen der Digitalisierung erlebbar machen

Die Lösung liegt in der Souveränität über die eigenen Daten: Das Bereitstellen der eigenen Daten muss auf Freiwilligkeit basieren. Die Bürger Europas müssen ihre Daten über eine anonymisierte Datenspende in einem klar definierten und sicheren Raum für Forschungszwecke zur Verfügung stellen können, etwa wie es perspektivisch im europäischen Health Data Space und in Deutschland in dem beim Bundesgesundheitsministerium angesiedelten Forschungsdatenzentrum vorgesehen ist. Und vor allem muss jeder als Herr über seine Daten selbst entscheiden und steuern können, wer die persönlichen Gesundheitsdaten einsehen darf und wer nicht. Dies sind für mich die Eckpunkte, die uns der europäischen Idee näher bringen und auf das bereits von Jens Spahn und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angedachte Modell der „Sozialen Marktwirtschaft im europäischen Datenraum“ einzahlen. 

Für viele Europäer dürfte die Forschung mit und Verwertung von Gesundheitsdaten noch eine recht abstrakte Angelegenheit sein. Umso wichtiger ist es, den Menschen den Mehrwert der Digitalisierung und der Verwertung von Gesundheitsdaten nahezubringen, die Vorteile der Vernetzung der europäischen Systeme sowie positive Fallbeispiele aufzuzeigen: Etwa dann, wenn im Rahmen einer Notfallbehandlung ein französischer Arzt die Gesundheitsdaten seines deutschen Patienten über dessen elektronische Patientenakte abrufen kann. Oder wenn Künstliche Intelligenz unerwünschte Wechselwirkungen von Medikamenten erkennt und damit die Therapiesicherheit deutlich erhöht. 

Wir sitzen auf einem enormen Datenschatz: Den Gesundheitsdaten von 500 Millionen EU-Bürgern, die so wertvoll unter anderem für die Forschung gegen Krebs oder Demenz und die Verbesserung der Versorgung sind. Diesen enormen Wettbewerbsvorteil zu den USA und China können wir allerdings nur nutzen, wenn wir auch die nötigen Spielregeln zur Verwendung dieser Daten haben. So hat Europa in den kommenden Monaten eine echte Chance, den Rahmen für eine innovative, freiheitliche sowie soziale Gesundheitsversorgung und Datennutzung zu gestalten. Mit nicht weniger zum Ziel, als einen echten Mehrwert für die Menschen zu schaffen.

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