Täglich verschwindet mehr als eine Apotheke aus dem Ortsbild – mit gravierenden Folgen für die Gesundheitsversorgung, besonders in ländlichen Regionen. Die dringend notwendige Reform, die Apotheken eigentlich entlasten soll, könnte die Situation nun weiter verschärfen. Apothekerinnen und Apotheker sehen ihren Berufsstand durch Maßnahmen wie „Apotheke light“, die im Apotheken-Reformgesetz vorgeschlagen werden, massiv abgewertet. Mehr als zehn Jahre Honorarstillstand bei gleichzeitig gestiegenen Kosten um rund 60 Prozent sorgen dafür, dass Apotheken immer häufiger vor wirtschaftlichen Herausforderungen stehen. Bei der Digitalisierung fühlen sie sich alleingelassen. Insgesamt fürchten sie eine weitere Verschlechterung der Gesundheitsversorgung. Aus ihrer Sicht werden mit dem bisher geplanten ApoRG die eigentlichen Probleme noch verschlimmert.
Obwohl das gemeinsame Ziel – eine zukunftssichere, flächendeckende Gesundheitsversorgung – im Gesetzesentwurf festgeschrieben ist, klaffen die Vorstellungen des Bundesministeriums für Gesundheit und der Apothekerschaft weit auseinander.
Eine Branche in der Krise – die Situation eskaliert
Wie ernst die Lage ist, zeigt neben dem Apothekensterben auch der europäische Vergleich: Deutschland liegt bei der Apothekendichte etwa ein Drittel hinter dem EU-Durchschnitt. Und viele der 17.288 Apotheken (Stand: 19.07.2024 ABDA) stehen finanziell mit dem Rücken zur Wand. Die zunehmende Bürokratie und ein eklatanter Fachkräftemangel verschlimmern die Situation der Apothekerschaft. Damit wird der reibungslose Betrieb zur täglichen Herausforderung. Und gerade der ist wichtig, denn Apotheken sind häufig die erste oder gar einzige Anlaufstelle für die medizinische Versorgung vor Ort. Doch auch wenn diese Rolle im ApoRG klar beschrieben ist, greifen die geplanten Maßnahmen zu kurz, gar nicht oder könnten zu mehr Instabilität führen.
Das zeigt die geplante Maßnahme der „Apotheke light“, die mit einem eingeschränkten Leistungsangebot und ohne die Präsenz eines approbierten Apothekers oder einer approbierten Apothekerin betrieben werden kann. Kosteneinsparungen und die Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung sind die Argumente dafür. Doch was steckt dahinter? Wohl eher eine Mogelpackung: Der vermeintliche Nutzen geht zulasten der Versorgungsqualität, insbesondere in der Beratung. Herkömmliche Services, wie die Abgabe von Betäubungsmitteln, sind so nur eingeschränkt möglich. Diese darf nur ein approbierter Apotheker beziehungsweise eine approbierte Apothekerin abgeben – dringend benötigte Medikamente könnten so für Patientinnen und Patienten nicht direkt verfügbar sein.
Zusatzangebote decken Betriebskosten nicht
Zwar gibt es Ansätze, Vor-Ort-Apotheken durch zusätzliche Vergütungen für erweiterte Dienstleistungen wie Impfungen zu unterstützen, doch viele sehen dies als einen Tropfen auf den heißen Stein. Die Einnahmen reichen oft nicht aus, um die steigenden Betriebskosten zu decken. Das ApoRG sieht zudem vor, den Aufschlag auf den Apothekeneinkaufspreis für verschreibungspflichtige Medikamente zu senken. Im Gegenzug soll der Fest- sowie Notdienstzuschlag angehoben werden. Allerdings sollen die dafür erforderlichen Mittel durch eine Kürzung des Zuschlags für pharmazeutische Dienstleistungen aufgebracht werden. Diese Honoraränderung stellt somit lediglich eine Umverteilung der Gelder dar, die keineswegs zu einer echten finanziellen Entlastung führt.
Eines ist klar: Vielen Apotheken droht ohne die nötige Unterstützung das Aus. Um die finanziellen und strukturellen Probleme wirklich anzugehen, braucht es eine Erhöhung des Fixhonorars auf zwölf Euro, besser sogar 14 Euro, echte Wertschätzung des Berufsstands, Entlastung bei bürokratischen Aufgaben und gleiche Bedingungen im Wettbewerb mit ausländischen Versandapotheken.
Digitalisierung muss entlasten
Trotz der düsteren Prognosen gibt es auch positive Entwicklungen. Die Digitalisierung ist ein Treiber der Modernisierung und Effizienzsteigerung – essenzielle Faktoren für die Zukunft der Apotheken, die auch im ApoRG hervorgehoben werden. Die Digitalisierung kann Apotheken entlasten und die Versorgungsqualität steigern. Das E-Rezept und digitale Abrechnungssysteme helfen, Arbeitsprozesse zu optimieren und bürokratische Hürden abzubauen.
Die Digitalisierung darf jedoch nicht zum Bürokratiemonster werden, das den ohnehin schon angespannten Apothekenalltag weiter erschwert. Als Vorsitzender eines apothekereigenen Unternehmens sage ich: Die Politik muss praxisorientierte Lösungen schaffen, die Apotheken entlasten statt belasten. Der Ausbau der Telematikinfrastruktur, die Einführung des E-Rezepts und die Förderung verlässlicher Hard- und Software sind Schritte in die richtige Richtung. Die Politik muss klare Regeln im Umgang mit künstlicher Intelligenz entwickeln. Die Apothekerinnen und Apotheker dürfen sich dem Fortschritt nicht verschließen. Nur so können positive Innovationen entstehen, die die wirtschaftliche Stabilität der Apothekerschaft sicherstellen und die flächendeckende Gesundheitsversorgung ermöglichen.
Mark Böhm ist Vorstandsvorsitzender der NOVENTI Health SE.