Seit 15 Jahren engagiere ich mich an der Schnittstelle von Betreuung und Pflege. Gesehen habe ich einiges. Doch kürzlich arbeitete ich mal wieder in unserem Berliner Büro – pandemiebedingt allein – als das Telefon klingelte. Am anderen Ende der Leitung war eine Frau mit lateinamerikanischen Akzent. So lernte ich Ana Maria, eine Krankenschwester aus Peru, kennen. Ihr Traum ist es, nach Deutschland zu kommen und als anerkannte Pflegefachkraft im Krankenhaus zu arbeiten. Gleichzeitig findet Ana Maria aber einfach nicht heraus, wie sie überhaupt hierher kommen kann – und vor allem auf eine sichere und legale Art und Weise. Ana Maria ist klar, dass das Bestehen der deutschen Sprachprüfung unheimlich schwer sein würde; von einer Qualifikationsanpassung hatte sie noch nichts gehört. Aber das sind nicht ihre größten Hindernisse. Ihr größtes Hindernis ist, die Chance auf ein Vorstellungsgespräch und ein Jobangebot von einer deutschen Gesundheitseinrichtung zu bekommen. Wer würde ihr glauben, dass sie es ernst meint? Wer würde ihr wirklich eine Chance geben?
Deutschland braucht Pflegekräfte, zugleich gibt es in einigen Regionen der Welt einen Ausbildungsüberschuss an qualifizierten und motivierten Pflegefachkräften. In diesen Ländern werden jedes Jahr mehr Pflegekräfte ausgebildet als gebraucht werden. Beispielsweise arbeitet jeder Zehnte der rund 100 Millionen Menschen der Philippinen im Ausland – und davon 25 Prozent in der Pflege. Ähnliche Beispiele gibt es in anderen Regionen wie etwa in Lateinamerika, Tunesien und China. Junge, gut ausgebildete Pflegefachkräfte suchen nach Karriere-Schritten. Dabei profitiert Deutschland – wenn es will.
Deutschland geht hier die richtigen Schritte, andere gehen aber schneller. Das Migrationssystem in Österreich ist klarer; in englischsprachigen Ländern können Fachprüfungen remote und online abgelegt werden. Hier muss Deutschland durch schlankere Prozesse und technisch-innovativere Angebote in der Visa-Vergabe und Anerkennung attraktiver werden.
Chancen und Risiken
Internationale Pflegekräfte können unser Gesundheitssystem stabilisieren. In den letzten Jahren hat allein Care With Care mehrere Hundert Pflegefachkräfte nach Deutschland vermittelt. Jede von ihnen hat dazu beigetragen, in der aktuellen Zeit das Pflege- und Gesundheitssystem während Corona zu stabilisieren – ob auf der Intensivstation oder im Pflegeheim.
Diesen Chancen stehen Risiken gegenüber. So ist eine Rekrutierung und Integration ausländischer Pflegekräfte kostspielig und mit Sicherheit nicht einfach nebenbei stemmbar. Der Prozess der Qualifikationsanerkennung ist immer noch langwierig, da in den letzten zehn Jahren die Verwaltung dort selten genug Kapazitäten geschaffen hat und die Digitalisierung noch nicht wirklich eingezogen ist. Das Anerkennungsprozedere ist auf Bundesländer weiterhin gesplittet und separiert – eigentlich unbegreiflich, wenn sich Deutschland im weltweiten Kampf um die besten Talente befindet.
Ein Puzzle-Stück zur Lösung
Die Rekrutierung
internationaler Pflegefachkräfte ist kein Allheilmittel für die leidende
Gesundheitsbranche. Andere Branchen machen vor, wie es gehen kann. In den Nuller-Jahren
probierte die IT-Industrie einen Strauß an Modellen aus Anwerbung,
Integration, Qualifizierung und Quereinstieg sowie besserer Vereinbarkeit von
Beruf und Familie. Zwar herrscht auch in dieser Branche immer noch
Fachkräftemangel und eine Vielzahl an Stellen sind unbesetzt; aber die
Durchlässigkeit in die Industrie ist gegeben. Und die Gesundheitswirtschaft
kann sich Inspiration und Best Practises holen, wie
etwa eine erfolgreiche Rekrutierung und Integration von Fachkräften
funktionieren kann. Drei Schritte sind dafür aus meiner Sicht
zentral.
- Vertrauen und Professionalisierung: Mehr und mehr kleine Agenturen kommen auf dem Markt und versuchen Angebote zu etablieren. Doch wen können Arbeitgeber und Pflegekräfte wirklich vertrauen, wenn mit einer Melange aus ähnlichen Leistungen geworben wird. Eine Lösungs-Option kann ein Siegel für ethisch hochwertige Rekrutierung sein.
- Effiziente Bürokratie: Deutschland hat das beschleunigte Fachkräfteeinwanderungsverfahren beschlossen – jedoch ist die Umsetzung bei den Ausländerbehörden schier eine Herkules-Aufgabe. Österreich hat mit der Rot-Weiß-Rot-Karte ein transparentes, schnelles und effektives System geschaffen. Deutschland muss hier durch klare Prozesse schneller werden. Warum sonst sollten vorbereitete Arbeitgeber über ein Jahr warten bis die Pflegekräfte einreisen dürfen? Die Umsetzung des Verfahrens in Verbindung mit digitalisierten Prozessen muss hier helfen, auf vier bis sechs Wochen zu kommen.
- Deutschprüfungen: Warum ist es nicht möglich, Sprachprüfungen oder Kenntnisprüfungen bereits im Heimatland der Kandidat:innen abzulegen? In anderen werbenden Ländern wie etwa Großbritannien ist dies bereits möglich. Deutschland muss hier aufschließen.
Ich bin überzeugt, dass es ein guter Zeitpunkt ist, dass deutsche Behörden gemeinsam mit Gesundheitseinrichtungen und Agenturen ein „Upgrade“ planen, um im globalen Wettbewerb mit der Marke “Deutschland” sichtbar um Talente zu werben – und ihr Versprechen dann auch einlösen.
Dr. Steffen Zoller ist Gründer und Geschäftsführer von Care With Care. Zudem gründete er unter anderem Betreut.de und war Geschäftsführer der Arbeitgeber-Bewertungsplattform kununu.