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Standpunkte Innovation ist die beste Verteidigung

Rafael Laguna ist Direktor der Agentur für Sprunginnovationen (Sprind)
Rafael Laguna ist Direktor der Agentur für Sprunginnovationen (Sprind) Foto: Rafal Laguna ist Leiter der Sprind

Europa muss die militärische Innovation beschleunigen. Deutschland kann vorangehen: mit einer Militärinnovationsagentur nach dem Vorbild der Darpa und dem Erfahrungswissen der Sprind.

von Rafael Laguna und Patrick Rose

veröffentlicht am 20.03.2025

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Am 4. Oktober 1957 startete eine leicht modifizierte Version der ersten sowjetischen Interkontinentalrakete des Typs R-7 vom Kosmodrom Baikonur ins All. Sie brachte den ersten Satelliten auf seine Umlaufbahn. Sputnik 1, Durchmesser 58 Zentimeter, gut 80 Kilo schwer, kreiste dann für drei Monate um die Erde und sendete auf Kurzwellenfrequenz ein regelmäßiges Piepsignal gen Erde, das von jedem halbwegs gut ausgerüsteten Amateurfunker der westlichen Welt aufgefangen werden konnte. Der Sputnik-Moment war eine technische Demütigung der Amerikaner durch die Militärstrategen und Raumfahrtingenieure der Sowjetunion. Präsident Dwight D. Eisenhower hörte die Signale aus dem All. Es folgten massive Investitionen in die Entwicklung schlagkräftiger Interkontinentalraketen, denn die Leistung der Trägerrakete R-7 war aus Sicht der US-Militärs noch beeindruckender als der piepende Ball. Im historischen Rückblick war eine andere Investition jedoch noch viel wichtiger.

Denn als direkte Reaktion gründete Eisenhower die legendäre Defense Advanced Research Projects Agency. Seit den 1960er Jahre sorgte die Darpa als primär militärische Innovationsagentur dafür, dass es für die USA keinen zweiten Sputnik-Moment mehr gab. Die Wissenschaftler und Ingenieure im Dienst der Darpa erfanden das (zunächst rein militärische) Internet, Präzisionswaffen, die Tarnkappenbomber, Sprachassistenten, Satellitenabwehrsysteme und GPS. Die USA konnten sich im Kalten Krieg auch deshalb behaupten, weil sie nach dem Weckruf vom Oktober 1957 in der Militärinnovation strukturell überlegen waren. Die Darpa wiederum war deshalb so erfolgreich, Neues in die Welt zu bringen, weil sie hochinnovativen Forschern und Entwicklern und ihren Start-ups Zugang zu einem Stammkunden mit sehr tiefen Taschen verschaffte, dem US-amerikanischen Militär. Der staatliche Stammkunde sorgte auch dafür, dass die Innovatoren ihre neuen Technologien unter realistischen Bedingungen testen konnten, schlechte Ideen frühzeitig aussortierten und die guten dann zur Anwendungsreife ausentwickelten.

Militärische Innovation ist in Deutschland ein Schmuddelkind. Viele Innovatoren wollen nichts mit dem Militär zu tun haben. Individuell ist das eine freie Entscheidung, die jeder innovative Kopf treffen kann. In der aktuellen geopolitischen Lage ist mangelnde Innovationskraft ein Problem. Militärische Innovation ist das Rückgrat einer glaubhaften Abschreckung, besonders bei den konventionellen Waffensystemen.

Europas erlebt gerade zahlreiche Sputnik-Momente

Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine war immer wieder von militärischen Sputnik-Momenten für Europa die Rede, und in erhöhter Frequenz in den vergangenen Wochen und Tagen. Die Rede Donald Trumps bei seiner Amtseinführung. J.D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Und, am eindrücklichsten, das für Trump „großartige Fernsehen“ mit Wolodymyr Selenskyj im Oval Office. Nun wurden die US-amerikanischen Militärhilfen für die Ukraine zwischenzeitlich gestoppt. Innerhalb der europäischen Sicherheits-Community ist Konsens, dass sich Europa nicht mehr uneingeschränkt auf den Schutz des Nato-Partners USA verlassen kann. Es herrscht Einigkeit darüber, dass die europäischen Regierungen schnell und massiv aufrüsten müssen. Und alle fragen sich zurecht, wie das bei den aktuellen Kapazitäten der europäischen Rüstungsindustrie und der hohen Abhängigkeit von amerikanischen Waffensystemen gelingen kann.

Wir sind optimistisch, dass es gelingt. Die neue geopolitische Lage wird Kräfte freisetzen, denen wir Europäer uns selbst nicht mehr bewusst sind. Zugleich sind wir der Überzeugung, dass es nicht reicht, die Rüstungsausgaben zu erhöhen aber bei Militärplanung, Waffensystemen und Beschaffungsprozessen einfach so weiterzumachen wie bisher. Die europäischen Nato-Partner müssen militärtechnisch innovativer werden. Wir brauchen europäische Darpas, die dafür sorgen, dass die europäischen Nato-Heere, Luftwaffen und Marinen den russischen Truppen technisch deutlich voraus sind.

Die Bundesagentur für Sprunginnovationen hat bei zivilen Technologien vorgemacht, wie eine radikale Beschleunigung von Innovation auch im Militärischen funktionieren könnte. Wir brauchen eine Bundesagentur für transformative Militärinnovationen.

Was die Agentur für transformative Militärinnovationen leisten könnte

Die drei wichtigsten Aufgaben dieser Sprind.mil wären: Erstens der Aufbau eines Sprind.mil Campus, der eine Plattform und Hub für militärische Innovatoren aus Militär, Hochschulen, nicht-universitären Forschungseinrichtungen, Defence-Start-ups, Defence-Acceleratoren, Risikokapitalgebern und klassischen Rüstungsherstellern aus allen europäischen Nato-Staaten werden soll. Der Campus könnte auch Innovatoren und Investoren anziehen, die sich bisher von Militärtechnik ferngehalten haben, die besonders Dual-Use-Anwendungen im Blick haben.

Zweitens soll in enger Zusammenarbeit mit der Bundeswehr ein großes Labor für sogenanntes „Red Teaming“ entstehen. Dabei evaluieren Militärs und Innovatoren in großen Tests unter möglichst realen Gefechtsbedingungen, welche Ideen und Innovationen erfolgversprechend sind, welche Anforderungen sie noch erfüllen müssen und wie sie erfolgversprechend weiterentwickelt werden können. Die Evaluatoren stellen im „Red Teaming“ auch fest, welche Ideen besser frühzeitig aussortiert werden sollten, um keine weiteren Ressourcen an „tote Pferde“ zu verschwenden.

Und drittens soll die Sprind.mil militärische Ideen- und Entwicklungswettbewerbe organisieren, analog zu den erfolgreichen zivilen Challenges der Bundesagentur für Sprunginnovationen. Die Teams der Challenges werden dabei in den Modus der „Coopetition“ versetzt, also eine Mischung aus Wettbewerb (competition) und Zusammenarbeit (cooperation).

Zum Wesen von Sputnik-Momenten gehört, dass sie die Zeit des Zauderns beenden. Die Entscheidung über eine staatliche Agentur für militärische Innovationen drängt. Innovation ist die beste Verteidigung. Im Kleinen hat die Ukraine vorgemacht, dass intelligenter Einsatz von innovativen Technologien der russischen Übermacht mit einem überalterten Waffenarsenal standhalten kann. Die zivile Innovationskraft der europäischen Nato-Staaten übersteigt die russische um ein Vielfaches. Sorgen wir dafür, dass auch bei militärischer Innovation kein Zweifel aufkommt, wer hier die Oberhand hat.

Rafael Laguna führt seit fünf Jahren als Direktor die Bundesagentur für Sprunginnovationen (Sprind).

Patrick P. Rose ist Innovationsmanager bei der Bundesagentur für Sprunginnovationen. Bis 2022 war er Chief Scientist des Office of Naval Research Global (ONRG), dem Innovationslabor der US-amerikanischen Navy und Marines.

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