Standpunkte Keine digitale Souveränität ohne Komfortverlust

Der Weg zur digitalen Souveränität ist mühsam, aber alternativlos, schreibt Ron Kneffel, Vorstandsvorsitzender der CISO Alliance. Damit Open-Source-Lösungen und europäische Anbieter zu konkurrenzfähigen Alternativen werden, brauche es mehr als die Hilfe der Politik.
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Jetzt kostenfrei testenDigitale Souveränität ist ein zentraler Begriff der Digitalpolitik und digitalen Gesellschaft. Sie beschreibt die Fähigkeit von Einzelpersonen, Unternehmen und Institutionen, selbstbestimmt, unabhängig und sicher zu agieren. Für Individuen bedeutet digitale Souveränität, bewusste Entscheidungen über die Nutzung digitaler Angebote zu treffen, Risiken zu erkennen und Kontrolle über die eigenen Daten zu behalten. Für Institutionen und Staaten geht es jedoch darum, Kritische Infrastrukturen, Schlüsseltechnologien und Datenströme unabhängig und sicher zu betreiben.
Das übergeordnete Ziel: Unabhängigkeit von einzelnen Anbietern und Schutz vor Fremdeinfluss, ohne dabei auf die Vorteile globaler Vernetzung und Innovation verzichten zu müssen.
Wir sind in der Komfortfalle gefangen
Doch während der Wunsch nach Unabhängigkeit von großen Technologiekonzernen und geopolitischen Einflüssen wächst, stehen wir vor einem Dilemma: Die hohe Usability moderner Dienste haben uns in eine Abhängigkeit geführt, deren Überwindung mit erheblichen Kosten, Aufwand und Komfortverlust verbunden ist.
Die digitale Welt ist geprägt von intuitiven Benutzeroberflächen, nahtloser Integration und maximaler Bequemlichkeit. Große Plattformen und Anbieter investieren gezielt in die Optimierung der Nutzererfahrung, um Abwanderung zu verhindern.
Diese Komfortzone hat jedoch einen Preis: Sie führt zu einer tiefen Abhängigkeit von proprietären Systemen, geschlossenen Ökosystemen und schwer austauschbaren Diensten. Ein Wechsel, etwa von einem dominanten Cloud-Anbieter zu einer Open-Source-Lösung, ist mit hohen Kosten, technischem Aufwand und Schulungsbedarf verbunden.
Die Angst vor Datenverlust, Kompatibilitätsproblemen und Produktivitätseinbußen hält viele Nutzer und Organisationen davon ab, Alternativen zu wählen. Daraus ableitend entsteht eine Trägheit, die Innovation und Wettbewerb hemmt und die digitale Souveränität schwächt.
Der Weg zur digitalen Souveränität ist mühsam
Jeder Schritt in Richtung Unabhängigkeit erfordert Investitionen: in neue Technologien, in die Qualifikation von Mitarbeitenden und in die Anpassung von Prozessen. Besonders in der öffentlichen Verwaltung und in Unternehmen mit gewachsenen IT-Strukturen sind die Hürden hoch. Die Migration von Daten, die Integration neuer Systeme und die Sicherstellung von Datenschutz und IT-Sicherheit sind komplexe und langwierige Projekte.
Zudem fehlt es oft an attraktiven Alternativen, die mit der Usability und dem Funktionsumfang der etablierten Lösungen mithalten können. Open-Source-Software und europäische Cloud-Angebote sind zwar auf dem Vormarsch, erreichen aber häufig noch nicht das Komfortniveau der großen internationalen Anbieter.
Wie also kann digitale Souveränität gelingen, ohne dass externe Schocks wie politische Konflikte, Handelskriege oder restriktive Regulierungen diesen Wandel erzwingen?
Open-Source-Lösungen und europäische Anbieter bevorzugen
Es braucht einen bewussten, gesellschaftlich getragenen Transformationsprozess. Digitale Souveränität beginnt bei der digitalen Kompetenz jedes Einzelnen. Bildungseinrichtungen, Unternehmen und die Politik müssen gezielt Kompetenzen fördern. Nicht nur im Umgang mit Technik, sondern auch in Bezug auf Informationssicherheit, Datenschutz und kritisches Denken.
Nur wer die Risiken und Chancen digitaler Technologien versteht, kann souverän handeln und alternative Software gezielt fördern. Diese Förderung ist zwingend notwendig. Die Entwicklung und Nutzung offener, interoperabler und vertrauenswürdiger Technologien wird dabei essenziell werden.
Öffentliche Ausschreibungen sollten Open-Source-Lösungen und europäische Anbieter bevorzugen, um Abhängigkeiten von globalen Big Playern zu reduzieren. Gleichzeitig braucht es Investitionen in die Weiterentwicklung der Usability alternativer Angebote, damit Komfort und Souveränität kein Widerspruch bleiben.
Dazu gehören Veränderungsprozesse in jeder Organisationsstruktur. Seitens der Unternehmen muss der notwendige Mut aufgebracht werden, um technologische Abhängigkeiten zu analysieren und gezielt zu reduzieren. Dies kann beispielsweise durch die Nutzung modularer IT-Architekturen, den Einsatz offener Standards und die bewusste Auswahl von Partnern geschehen.
Es braucht Alternativen mit hoher Usability
Letztendlich ist digitale Souveränität mehr als eine technische Frage, sie ist ein gesellschaftliches Ziel und benötigt den Diskurs. Sie erfordert die Bereitschaft, Bequemlichkeit zu hinterfragen und in die eigene Unabhängigkeit zu investieren.
Der Weg dorthin ist mit Aufwand und Kosten verbunden, aber er eröffnet die Chance, die digitale Zukunft selbstbestimmt zu gestalten und Resilienz gegenüber externen Einflüssen zu gewinnen. Die Herausforderung besteht darin, Komfort und Usability nicht als Gegenspieler, sondern als Ziel einer souveränen Digitalstrategie zu begreifen.
Nur wenn Alternativen attraktiv, sicher und benutzerfreundlich gestaltet werden, kann die breite Akzeptanz gelingen. Digitale Souveränität ist kein Zustand, sondern ein kontinuierlicher Prozess, getragen von individueller Verantwortung, gesellschaftlichem Engagement und politischem Gestaltungswillen.
Ron Kneffel ist Datenschutz- und Informationssicherheitsberater und als Berater, externer CISO und Lehrbeauftragter (u.a. Welfenakademie Braunschweig) tätig. Seit 2022 ist er Vorstandsvorsitzender des CISO Alliance e.V. und vertritt die Stimme der CISOs und Informationssicherheitsverantwortlichen in Deutschland. Er agiert auch als Head of IT Security bei der BREDEX GmbH in Braunschweig.
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