Die beiden zentralen Ziele des Onlinezugangsgesetzes (OZG) werden bis Jahresbeginn 2023 verfehlt werden – das ist bereits länger klar. Es wird dann weder alle digitalen Antragswege für Bürger:innen und Unternehmen geben, noch besteht ein Verbund der Verwaltungsportale. Mit dem bestehenden Stückwerk wird der größere Zweck, eine nutzerzentrierte Verwaltung für Bürger:innen und Unternehmen, noch nicht erreicht.
Allerdings ist ein Anfang gemacht, und das ist schon ein Erfolg. Mit dem OZG wurde begonnen, Verwaltungsabläufe systematisch zu digitalisieren und nutzerzentriert umzubauen. Damit die öffentliche Verwaltung mit ihren vielfältigen Aufgaben und Leistungen anschlussfähig an das Alltagsleben und die Erwartungen von Bürger:innen und Unternehmen bleibt, müssen wir den eingeschlagenen Weg fortsetzen. Allein für dieses auf die Nutzer:innen ausgerichtete Kernziel wird sich der weitere Umsetzungsaufwand lohnen.
Digitale Verwaltung zieht Talente an
Darüber hinaus gibt es aber noch ein verwaltungsintrinsisches Motiv, die Verwaltungsabläufe konsequent, dynamisch und mit neuer Energie zu digitalisieren: der Kampf um Talente im Kontext des demographischen Wandels. Die offenen Stellen im öffentlichen Dienst belaufen sich nach Zahlen vom Deutschen Beamtenbund aktuell bereits auf 360.000. In den kommenden Jahren wird dieser Fachkräftemangel weiter zunehmen.
Um ihm zu begegnen, braucht es die Digitalisierung der Verwaltung. Nur so können Verfahren effizienter umgesetzt werden. Und nur eine digitalisierte Verwaltung ist auch für junge Beschäftigte ein attraktiver Arbeitgeber. Die Umsetzung des OZG ist damit auch eine höchst notwendige Modernisierung der Verwaltung im Sinne der eigenen Zukunftsfähigkeit.
Die Umsetzung des OZG – und in weiterer Folge des gerade diskutierten OZG 2.0 – ist damit ein lohnender, aber auch langer Weg. Es braucht dazu Übersicht, den richtigen Drive und einen langen Atem.
Das OZG 2.0 braucht eine ganzheitliche Strategie
Wichtig ist künftig erstens eine umsichtige Gesamtstrategie anstatt unverbundener, einzelner Vorstöße. Für eine gesellschaftsorientierte Verwaltungsdigitalisierung müssen Gesetzgeber und Verwaltungen mehrere Strategien verzahnt planen und umsetzen: die OZG-Dienste mit der Modernisierung möglichst aller Komponenten (unter anderem Register) und Prozesse im Backend und die dafür geeignete Architektur (etwa eine Cloud-Strategie). Das betrifft nicht nur die fachliche Planung, sondern aufs engste darauf abgestimmt auch die Finanzplanung.
Auch OZG-intern müssen strategische Ansätze weiter vorangebracht werden. So müssen etwa die Repositories mit ihren Informationen gemäß den Standards des Föderalen Informationsmanagements (FIM) auch zu Steuerungszwecken dienen. Sind die Leistungs-, Prozess- und Datenfeldinformationen hier gepflegt, könnten bei Änderungsbedarfen entsprechende Impulse automatisiert in die Formulare und bis in die Backend-Prozesse erfolgen. Wird dieser Entwicklungsschritt nicht bald gegangen, droht FIM zu versanden, da dem hohen Systematisierungs- und Dokumentationsaufwand viel zu wenig praktischer Mehrwert gegenübersteht.
Die Koordinierung muss besser werden
Zweitens muss ein Ökosystem für die Verwaltungsdigitalisierung geschaffen werden, in dem die Handelnden eigene Interessen zugunsten des übergeordneten Ziels zurückstellen. Das Problem in der Umsetzung des OZG ist die dafür notwendige umfassende Koordination zwischen allen relevanten Akteuren innerhalb von Bund, Ländern und Kommunen aber auch zwischen diesen Ebenen.
Angeschoben und begleitet werden muss die Koordination künftig deshalb auch von Mechanismen wie Peer-Learning, Wissenstransfer, Beratung, Qualitätssicherung und agile Methoden. Auch finanzielle Anreize und Standardisierung können – richtig eingesetzt – koordinierende Wirkung zeigen. Gelingen werden die für das OZG 2.0 notwendige Planung, Koordination und Umsetzung nur mit mehr Fachkräften und deren systematisch entwickelten Digitalisierungskompetenzen. Für ein solch essenzielles Zukunftsprojekt wie die Verwaltungsdigitalisierung dürfen die Haushälter nicht kurzfristig denken.
Digitalisierung als Daueraufgabe begreifen
Drittens müssen die begonnenen Digitalisierungsmaßnahmen konsequent weiter umgesetzt werden. Im OZG 2.0 sollten dabei auch neue Impulse gesetzt werden: Es gilt etwa, ein Prozessmanagement für die umfassende End-to-End Digitalisierung und möglichst Automatisierung zwischen Frontend und allen Komponenten im Backend (Fachverfahren, E-Akte, Register etc.) zu etablieren, Betriebskonzeptionen müssen „Einer für Alle“-konform und nachhaltig gemacht werden und schließlich muss die Daten- und Informationssicherheit entlang der gesamten Leistungskette systematisch gesichert sein.
Der Gesetzgeber und alle politisch Handelnden müssen nun den angestoßenen Modernisierungsprozess weiterführen. Dabei sollte das Denken in größeren programmatischen Schritten nicht zu kurz kommen. Für die Umsetzungsplanung und -realisierung müssen Austausch, Koordination und Erfahrungstransfer in viel größerem Maße institutionalisiert werden.
Dafür wird es zwar nach aktuellem Stand offenbar kein Startsignal durch das geänderte Artikelgesetz OZG 2.0 geben. Positiv gewendet bedeutet das aber: Alles liegt jetzt auf dem Tisch und Bund, Länder und Kommunen können und sollten jetzt weiter arbeiten. Das mit dem OZG begonnene große Transformationsprojekt ist ein Meilenstein auf dem Weg zur gesellschaftsorientierten Digitalisierung und damit zur Modernisierung und Nachhaltigkeit der Verwaltung. Es ist eine Daueraufgabe für das laufende Jahrzehnt, die zu bewältigen sich lohnen wird, und die jetzt weiter vorangetrieben werden muss.
Markus König ist Partner bei der Infora GmbH und hat den Schwerpunkt E-Government. Seit drei Jahren setzt er mit seinem Team OZG-Projekte auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene um. König wurde von der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der TU München mit einer Dissertation zum Thema Veränderung und Zukunft des Staates promoviert.