Erweiterte Suche

Smart City

Digitales Ehrenamt Verschwörhaus-Streit: Lektionen für die Verwaltung

Das bisherige Vorzeige-Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und digitalem Ehrenamt ist gescheitert: Die Ehrenamtlichen des Verschwörhauses in Ulm müssen ausziehen. Aus dem Fall lassen sich einige Lehren für andere Projekte ziehen.

Helen Bielawa

von Helen Bielawa

veröffentlicht am 14.06.2022

aktualisiert am 08.07.2022

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Eine Holzwerkstatt, eine kleine Metallwerkstatt, Podcast-Equipment, ein Lötlabor, Nähmaschinen: Im Ulmer Verschwörhaus finden Interessierte reichlich Möglichkeiten zum Basteln, Entwickeln und Experimentieren. Auf dem Programm stehen Workshops, Meetups, Vorträge. Am heutigen Dienstagabend trifft sich das Jugend-Hackt-Lab, am Mittwochabend findet ein Bastelabend rund um LoRaWAN und „The Things Network“ statt und am Freitag ein Hackday für Frauen. Aber in wenigen Wochen muss die ehrenamtliche Community ausziehen. Das wurde am gestrigen Montag bekannt, nachdem die Ehrenamtlichen einen Nutzungsvertrag der Stadt abgelehnt hatten. Grund ist ein Streit zwischen der Stadtverwaltung und den Ehrenamtlichen rund um die Nutzung des Gebäudes und um die Markenrechte am Namen „Verschwörhaus“ (Tagesspiegel Background berichtete).

2016 waren die Ehrenamtlichen in die ehemaligen Räumlichkeiten der Sparkasse am Weinhof in Ulm eingezogen. Hintergrund war nach Angaben der Stadt das Programm „Zukunftsstadt“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, an dem Ulm seit 2015 teilnimmt. Zentrales Ziel des Programms ist die Einbindung der Bürger:innen für die Ausarbeitung einer Vision für die Stadt. Die Einrichtung eines Stadtlabors sollte dazu beitragen. In der ehrenamtlichen Community existierte schon vorher eine Gruppe rund um Open Data, digitale Verwaltung und digitales Ehrenamt. Die Ehrenamtlichen waren auf der Suche nach einem neuen Ort für selbstbestimmte Aktivitäten. So entstand das Verschwörhaus. Die Stadt zahlte die Miete, die Ehrenamtlichen füllten die Räume mit Werkzeugen, Dekoration, Ideen und einem Programm. 2019 wurde der Verein „Verschwörhaus e.V.“ gegründet.

Vom Vorzeigebeispiel zum Krisenherd

Lange Zeit galt Ulm als Vorzeigebeispiel für die gelungene Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und Verwaltung. Mit Stefan Kaufmann gab es einen hauptamtlichen Ansprechpartner in der Verwaltung für die Ehrenamtlichen. Die Abteilung „Digitale Agenda Ulm“der Stadt arbeitete im gleichen Gebäude und bot eigene Veranstaltungen an.Anfangs war der Austausch von Ehrenamtlichen und Stadtverwaltung geprägt von Kommunikation auf Augenhöhe“, berichten die Ehrenamtlichen. Die Gruppe brachte eigene Praxisbeispiele und Prototypen ein und nennt das Videokonferenzsystem Big Blue Button als Beispiel – die Ulmer Verwaltung nutzte die ehrenamtlich entwickelten Werkzeuge für Installation und Betrieb des Systems für den Schulunterricht.

Irgendwann kippte die Stimmung. „Die von uns entwickelten Ideen und Projekte wurden immer häufiger durch die Stadtverwaltung in Kontexten gezeigt, über die wir gerne als gleichberechtigte Partner diskutiert hätten“, heißt es von den Ehrenamtlichen. Außerdem seien immer mehr Ansprüche gestellt, Projekte instrumentalisiert und kritische Einwürfe unterbunden worden. „Seit Herbst 2021 wuchs die Anspannung beständig an“, so die Ehrenamtlichen. Zu dem Zeitpunkt kündigte Stefan Kaufmann. Von da an fehlte die Instanz, die zuvor zwischen beiden Seiten vermittelt hatte.

Die Ehrenamtlichen bemängeln, es habe keine offene Ohren für Kritik und keine Wertschätzung für die eigene Arbeit gegeben. Beispielsweise hätten sie im März innerhalb kurzer Zeit auf Bitte der Stadt ein Internetcafé für ukrainische Geflüchtete eingerichtet, aber: „In der öffentlichen Darstellung fiel unser Beitrag zu diesem Projekt schnell unter den Tisch“, so der Eindruck der Ehrenamtlichen.

Umgekehrt waren die Räumlichkeiten aus Perspektive der Stadt nicht offen genug für andere interessierte Akteure. „Ziel war, dass am Weinhof Wirtschaft, Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wissenschaft gemeinsam an der Digitalisierung Ulms arbeiten, aber in letzter Zeit war es vor allem das zivile Ehrenamt“, sagt Niklas Schütte, der seit Anfang Mai neuer Verantwortlicher bei der Stadt für das Verschwörhaus ist, zu Tagesspiegel Background. Der Verein „Ulm Digital“, eine Initiative von Ulmer Unternehmerpersönlichkeiten, habe das Projekt etwa anfangs unterstützt, sich dann aber zurückgezogen. Solche Akteure wolle man jetzt wieder zurück ins Boot holen.

Streit um den Namen

Ein Nutzungsvertrag sollte her, um zu klären, wer welche Aktivitäten in den Räumlichkeiten ausführen kann. Bei der Frage der gemeinschaftlichen Nutzung durch verschiedene Akteure sind beide Seiten sich dabei näher gekommen. Ein Kompromiss schien in diesem Punkt möglich. Beide Seiten lobten ein gemeinsames Gespräch mit dem Oberbürgermeister. „Wir waren bis zuletzt offen für Wege, wie wir am Weinhof bleiben könnten“, teilen die Ehrenamtlichen mit. Und: „Eine nachbarschaftliche Nutzung unter verschiedenen Namen, mit unterschiedlichen Zielen, die sich in Austausch und Kritik gegenseitig bereichern, haben wir nie ausgeschlossen.“

Aber das Stichwort „unter verschiedenen Namen“ ist der springende Punkt: Die Stadt hatte im November 2021 die Marke „Verschwörhaus“ beim Amt der EU für geistiges Eigentum (EUIPO) angemeldet. Damit wollte sie nach eigenen Angaben „auch in Zukunft die Nutzung des Namens für das Verschwörhaus gewährleisten und vor Missbrauch schützen“. Die Ehrenamtlichen legten Widerspruch ein. „Auf unseren Namen ‚Verschwörhaus‘ können wir nicht verzichten. Wir möchten nicht, dass der maßgeblich von uns Aktiven aufgebaute Name künftig für PR-Inszenierungen missbraucht werden kann“, schreiben sie.

Nach ihren Angaben ist der Name in der Community entwickelt worden und von der Stadt habe es anfangs sogar Widerstand gegen die Bezeichnung gegeben. Ihre Interpretation klingt so: „Die Stadtverwaltung stellt über das Projekt ‚Stadtlabor‘ die Hülle und unterstützt die dort entstehenden Bestrebungen. Dreh- und Angelpunkt für den Inhalt sind die ehrenamtlich Aktiven im Haus, die dort aus eigenem Ansporn aktiv sind und das Verschwörhaus bilden.“ Für die Stadt ist der Name „Verschwörhaus“ aber mit den Räumlichkeiten an sich verbunden, nicht mit dem Verein der Ehrenamtlichen. Über diese Frage, wer rechtlicher Eigentümer der Marke ist, wird schlussendlich das EUIPO entscheiden.

Den Nutzungsvertrag, der einen Rückzug des Widerspruchs gegen die Markennamenanmeldung durch die Stadt enthalten hätte, hat die Community abgelehnt. Zwar wäre eine kostenfreie Mitnutzung von Name und Logo möglich gewesen. Aber das reichte aus Sicht der Ehrenamtlichen nicht aus – es sei wichtig, selbst über die Marke bestimmen zu können. In der Folge müssen sie bis zum 13. Juli ausziehen.

Einen Rosenkrieg erwartet Schütte nicht. „Wir haben Inventarlisten und alle Geräte sind mit Aufklebern gekennzeichnet“, erklärt er und fügt hinzu: „Um einzelne Tassen werden sich beide Seiten wohl nicht streiten wollen.“ Die Frist von einem Monat bis zum Auszug hält er für gut gewählt, ist aber für Gespräche offen, sollte es Probleme beim Umzug geben.

Die Chancen und Herausforderungen von Civic Tech

Probleme in puncto Kommunikation, Zuständigkeiten und Erwartungshaltungen sind keine Ausnahme bei der Zusammenarbeit zwischen der digitalen Zivilgesellschaft und der Verwaltung. Vielmehr handelt es sich um typische Herausforderungen für sogenannte Civic-Tech-Projekte. Civic Tech bezeichnet digitale Technologien, die von und für Bürger:innen entwickelt werden. Die Projekte haben oft implizit oder explizit einen Bezug zu Regierungen und Verwaltungen und wollen beispielsweise neue Möglichkeiten für Partizipation schaffen, Regierungshandeln transparent machen oder Services der Verwaltung verbessern. Offene Daten und freie Software sind dabei meist die Grundlage.

„Ehrenamtliche haben einen ganz anderen Blick auf Digitalisierung als die Verwaltung oder Wirtschaft“, hebt Sonja Fischbauer, Community Strategin bei der Open Knowledge Foundation Deutschland (OKFN), im Gespräch mit Tagesspiegel Background die Vorteile solcher Projekte hervor. Sie ist bei der OKFN hauptamtliche Kontaktperson für das Civic-Tech-Netzwerk „Code for Germany“. „In unserer ehrenamtlichen Community finden sich hunderte Leute, die eine Leidenschaft und ein Expert:innenwissen haben, das sich sonst nirgends findet, und die sehr wirkungsgetrieben arbeiten, mit echtem gemeinwohlorientierten Interesse.“ Zudem eröffne eine Kooperation mit der lokalen Community der Verwaltung den Zugang zu Netzwerken, die einen guten Überblick über aktuelle Diskurse und über bestehende Lösungen hätten. Deshalb könne eine Verwaltung wirkungsvoller arbeiten, wenn sie die Zivilgesellschaft mit einbinde.

Aber: „Die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft braucht Zeit und Ressourcen“, betont Fischbauer. „Wenn zuständige Personen in der Verwaltung nicht genug Rückhalt, Zeitbudget, Handlungsspielraum und Verständnis für die Ehrenamtlichen haben, kann die Zusammenarbeit auch scheitern.“ Weil Ehrenamtliche überwiegend aus Leidenschaft und aus Liebe zum Thema arbeiten würden, steckten Emotionen in den Projekten. Die Motivation zehre sich aus der gewünschten gesellschaftlichen Wirkung. „Enttäuschungen wiegen schwer und Verletzungen können tief gehen, wenn man sich stark mit einer Sache identifiziert“, so Fischbauer. Aber: „Die innere Motivation und die Wirkungskraft ist auch stärker.“

Was es für eine gute Zusammenarbeit braucht

Damit Civic-Tech-Projekte nicht so enden, wie es nun in Ulm passiert ist, empfiehlt Fischbauer vor allem eine wohlwollende Kommunikation auf Augenhöhe. „Es muss eine Wertschätzung geben, die nicht nur im Herzen existiert und über persönliche Beziehungen gelebt wird, sondern auch strukturell verankert ist.“ Als Beispiele nennt sie vertragliche Rahmenbedingungen, bereitgestellte Räumlichkeiten oder eine Ehrenamtspauschale.

Auch für die Moderation und das Konfliktmanagement sieht sie die Verwaltung in der Verantwortung, etwa durch regelmäßige Austauschrunden oder Workshops. Dabei müssten die Hauptamtlichen bedenken, dass Ehrenamtliche eher abends erreichbar seien und mehr Zeit für Fristen bräuchten. „Als Verwaltung muss man sich darauf einstellen, dass Ehrenamtliche anders arbeiten.“

In Ulm ist das Experiment Verschwörhaus in der bisherigen Form wohl erstmal beendet. Beide Seiten schließen eine Zusammenarbeit in den bisherigen Räumlichkeiten angesichts der aktuellen Unstimmigkeiten aus. Aber: „Dass wir nun schlussendlich die Räumlichkeiten verlassen müssen, heißt nicht, dass jegliche Kooperation und Dialog mit uns beendet ist“, schreiben die Ehrenamtlichen.

„Wir schätzen die Arbeit des Vereins und der Community sehr“, sagt Niklas Schütte. Er sei offen für weitere Gespräche. Die Räumlichkeiten stünden allen Interessierten weiterhin zur Verfügung, es müsse jedoch jeweils eine Nutzungsvereinbarung abgeschlossen werden. Funkstille wird zwischen den Ehrenamtlichen und der Verwaltung also wohl auch in Ulm in Zukunft nicht herrschen. Wie es konkret weitergeht, bleibt aber noch unklar.

Transparenzhinweis: Die Autorin ist selbst ehrenamtliches Mitglied einer Gruppe des Code-for-Germany-Netzwerks. Ihre Tätigkeit beschränkt sich auf den Raum Bielefeld.

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen