Standpunkte Warum Digitalisierung mehr als Technik braucht

Herausforderungen der Verwaltungstransformation lassen sich nicht allein durch technologische Fortschritte bewältigen. Dazu brauch es eine neue Kultur der Zusammenarbeit und des Lernens, zeigt eine neue Studie von Next, die den Einfluss von Netzwerken auf die Verwaltungstransformation in Deutschland untersucht hat.
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Jetzt kostenfrei testenDie öffentliche Debatte über die digitale Transformation der Verwaltung ist oft technikzentriert. Zweifellos sind technologische Fortschritte essenziell – sei es durch KI-Anwendungen, Cloud-Infrastrukturen oder die Registermodernisierung. Auch die Digitalisierung von Verwaltungsservices, sowohl hin zu den Bürger:innen als auch innerhalb der Verwaltung, ist unerlässlich.
Allerdings hat dieser Fokus auf Technik zur Entwicklung zahlreicher Lösungen, oft auch voneinander isolierter Einzellösungen geführt. Zu selten wird darüber nachgedacht, wer diese Systeme nutzen und letztlich in den eigenen Arbeitsalltag integrieren muss. Eine neue Technologie allein sorgt nicht für eine bessere Verwaltung – entscheidend ist, ob und wie sie in der Praxis angewendet wird. Die vorherige Regierung hatte es in ihrem Koalitionsvertrag erkannt: Es brauche ein Überwinden von Silos und neue, agile Arbeitsmethoden.
Passiert ist in dem Bereich zu wenig. Dabei gibt es bereits bestehende Methoden, die hier unterstützen und wirken können. Als Next glauben wir an die Wirkung von Netzwerken bei der Verwaltungstransformation und können diese nun auch erstmalig empirisch mit unserer Studie „Erfolgsfaktor Community of Practice in der öffentlichen Hand“ belegen.
Mindset als größte Hürde
Dass die Verwaltungstransformation hinter den Erwartungen zurückbleibt und vielerorts Frustration auslöst, ist kein Geheimnis. Die Ursachen sind vielfältig und wurden bereits oft analysiert: Fachkräftemangel, begrenzte Ressourcen, föderale Strukturen und die allseits kritisierte Bürokratie. Unsere Studie bestätigt diese Faktoren als Hemmnisse, zeigt aber eine neue Priorisierung bei den betroffenen Verwaltungsmitarbeitenden. Diese sehen die größte Herausforderung im Festhalten an alten Strukturen und einer mangelnden Veränderungsbereitschaft. Kurz: ein fehlender Kulturwandel.
Fortschritte werden so verlangsamt, weil oft in Zuständigkeiten und Silos gedacht wird, und notwendige Neuerungen mit dem Argument „Das haben wir schon immer so gemacht“ abgelehnt werden. Besonders hinderlich ist es, wenn das Bewusstsein für den Veränderungsbedarf in den Führungsebenen fehlt.
Netzwerke als Motor für Veränderung
Unsere Interviews mit über 30 Mitgliedern des Next-Netzwerks sowie die Ergebnisse der Online-Umfrage mit mehr als 500 Verwaltungsmitarbeitenden zeigen: Vernetzung kann ein Schlüssel für mehr Offenheit gegenüber Neuerungen sein und so den benötigten Kulturwandel befördern.
Der Austausch mit Kolleg:innen aus anderen Verwaltungen eröffnet neue Perspektiven und vermittelt praxisnahe Einblicke in innovative Ansätze wie Design Thinking, Prozessautomatisierung oder nutzendenzentrierte Entwicklung. Dadurch werden bestehende Strukturen häufiger hinterfragt.
In CoPs findet Kompetenzaufbau durch Peer-to-Peer-Lernen statt, wodurch Verwaltungsmitarbeitende besser verstehen, welche Veränderungen Neuerungen mit sich bringen und wie sie diese bewältigen können. Wer sich im Umgang mit neuen Methoden sicher fühlt, begegnet Veränderung mit weniger Widerstand. Ein starkes Netzwerk schafft zudem eine gemeinsame Identität als Gestalter:innen der Verwaltung. Das motiviert und dadurch wird Veränderung nicht als Bedrohung, sondern als kollektive Aufgabe verstanden. Es kann auch helfen, Frust abzuladen und sich nicht allein zu fühlen.
Inspiration zu mehr Mut im Umgang mit Bürokratie
Um Innovationen voranzutreiben, braucht es den Mut, gewohnte Wege zu verlassen. Doch bürokratische Hürden und starre Regelungen sorgen oft für Unsicherheiten – aus Angst vor Fehlern bleiben viele lieber im Altbewährten. Auch hier kann Netzwerkarbeit helfen: Wer in einer Community-Session erfährt, wie andere kreative Methoden nutzen, um trotz Regularien Transformationsprojekte umzusetzen, traut sich selbst eher, neue Wege zu gehen. Zudem erleichtert der Austausch bewährter Lösungen und Best-Practices (welcher durch die Vernetzung in Communities und Netzwerken oft erst zustande kommt) die Übernahme neuer Ansätze, da deren Konformität mit den Vorschriften oft bereits geprüft wurde.
Viele Führungskräfte sehen Netzwerkaktivitäten, wenn überhaupt, als etwas, das man tun kann, wenn Zeit bleibt, und fordern messbare Ergebnisse von Netzwerktreffen. Dabei sind Netzwerke nicht in erster Linie Produktionsstätten für Arbeitsergebnisse, sondern Plattformen für Wissenstransfer und Ausgangspunkt für Kooperation. Unsere Studie zeigt: Viele Effekte entstehen oft erst nach den Treffen – in Form neuer Projektideen, effizienterer Prozesse, gestärkter Handlungssicherheit oder weiterführender Zusammenarbeit.
Vernetzung systematisch fördern
In den letzten Jahren sind zahlreiche Netzwerke und Communities für die Verwaltung entstanden. Die Herausforderung liegt nun darin, diese gezielt nutzbar zu machen. Deshalb haben wir im Rahmen der Studie eine Übersicht der bestehenden Vernetzungsangebote mit Verwaltungsbezug erstellt.
Dass bisher nur ein Teil der Verwaltungsmitarbeitenden Netzwerke aktiv nutzt, liegt daher nicht an fehlenden Angeboten oder mangelndem Interesse – sondern vor allem an der Kultur und den Rahmenbedingungen innerhalb der Verwaltungsorganisationen. Um das Potenzial der Vernetzung zu heben, empfiehlt unsere Studie Behördenleitungen und Führungskräften unter anderem:
- Netzwerktätigkeiten institutionell verankern, z. B. durch Aufnahme in Stellenprofile.
- Ausreichend zeitliche, personelle und finanzielle Ressourcen für Vernetzung bereitstellen.
- Eine offene Lern- und Kommunikationskultur fördern.
Wie eingangs dargelegt, lassen sich die Herausforderungen der Verwaltungstransformation nicht allein durch technologische Fortschritte bewältigen – es braucht vor allem eine neue Kultur der Zusammenarbeit und des Lernens. Transformation scheitert nicht nur an fehlenden digitalen Lösungen, sondern daran, dass Wissen oft isoliert bleibt und bereichs- und organisationsübergreifende Kooperationen zu selten systematisch gefördert werden. Die Ergebnisse unserer Studie zeigen: Netzwerke in der Verwaltung sind keine bloßen Austauschforen, sondern Katalysatoren für Veränderung und Innovation. Damit sie ihre volle Wirkung entfalten, müssen sie als integraler Bestandteil der Verwaltungsmodernisierung verstanden, gezielt gefördert und langfristig strukturell verankert werden.
Theresa Amberger ist Head of Research bei Next e.V. und leitete das Forschungsprojekt „Erfolgsfaktor Community of Practice in der öffentlichen Hand“, welches den Mehrwert von Netzwerken für die Verwaltungstransformation untersucht.
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