Weltweit sterben jährlich 1,35 Millionen Menschen im Straßenverkehr. Diese Zahl wird häufig verwendet, wenn es darum geht, die technologische Entwicklung von Automatisierung und Vernetzung des Straßenverkehrs voranzutreiben. Aber sind Automatisierung und Vernetzung die Mittel mit denen diese erschreckende Zahl effektiv reduziert werden kann? Es geht darum, die Details zu beachten.
Der „technological fix“ wird aktuell so umrissen: Technologische Systeme sollen Unfälle vermeiden, bevor diese passieren – etwa durch Notbremsassistenten – und nicht länger darauf abzielen, die Folgen von Unfällen – mittels Stoßstange, Airbag oder Sicherheitsgurt – zu mindern. In anderen Worten: Es geht um den Übergang von passiven zu aktiven Verkehrssicherheitssystemen.
Es ist nicht mein Ziel, gegen die nachweislich positiven Effekte aktiver Verkehrssicherheitssysteme zu argumentieren. Dieses neue Paradigma sollte jedoch kritisch reflektiert werden. Ein Dokument der Europäischen Kommission gibt dieser Perspektive Gestalt. Bislang, so wird argumentiert, folgt der Straßenverkehr einer Bottom-up-Logik. Es wird darauf vertraut, dass alle am Straßenverkehr Teilnehmenden Verkehrsregeln einhalten und so Sicherheit und Effizienz ermöglichen. An dessen Stelle soll nun eine Top-down-Ordnung treten: ein umfassend vernetztes System intelligenter Fahrzeuge koordiniert Verkehrssicherheit und -fluss.
Sensoren als Instrumente einer Überwachungsgesellschaft
Bereits 2007 hat der britische Soziologe John Urry ein ganz ähnliches Zukunftsbild entworfen. Seine Argumentation kann helfen, dieses Paradigma einzuordnen. Erstens hält Urry fest, dass diese Lösung nur den reichsten Ländern zur Verfügung stehen würde. Die eingangs genannte Zahl der globalen Verkehrstoten ist also ein unzulässiger Maßstab. Heute wissen wir noch mehr: Auf lange Sicht dürfte dieser Weg auch in reichen Ländern aufgrund der technologischen Machbarkeit nur in kleinen Teilen des Straßennetzes (nämlich den Autobahnen) gangbar sein. Zweitens nannte Urry dieses Szenario das „digitale Panopticon“ und vergibt so die Namenspatenschaft dem Symbol moderner Überwachungsgesellschaften. Wie würde sich ein Straßenraum anfühlen, in dem Fahrzeuge und Verkehrsinfrastruktur als Sensoren funktionieren, um das Verhalten aller Verkehrsteilnehmenden zu antizipieren und zu steuern?
Überall dort, wo Straßen nicht bloße Transportwege sind, bedeutet den öffentlichen Raum der Straße zu betreten, die kontrollierte Sicherheit des privaten Raums zu verlassen. Auf den Straßen ist die Öffentlichkeit das kritisches „Publikum“, das jenes Verhalten aufdeckt, mit dem Einzelne zu ihrem eigenen Vorteil handeln, andere einschränkt oder gar gefährdet. Es ist also das Prinzip der Öffentlichkeit selbst, die Sicherheit gibt und das zivilisierte Miteinander ermöglicht. Wollen wir dieses untergraben?
Neue Transporttechnologien wandeln den Straßenraum. Wir sehen heute die vielen negativen Effekte, die das moderne Verlangen nach „absoluter Geschwindigkeit“ mittels der Autos in Städten verursacht hat. Ein System, das „totale Sicherheit“ anstrebt, könnte ein auf Gemeinschaftlichkeit ausgelegtes Zusammenleben von Menschen in Städten noch weiter in Bedrängnis bringen.