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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Das Auto schafft sich ab

Andreas Knie, Professor an der TU Berlin und Mobilitätsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin
Andreas Knie, Professor an der TU Berlin und Mobilitätsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin Foto: InnoZ

Alle Welt fährt Auto. In Deutschland wird über Sinn und Unsinn gestritten. Das Auto ist wichtig, gesellschaftsprägend, vermutlich auch identitätsstiftend und dennoch Problem Nummer eins für Umwelt und Natur und letztlich auch für die Menschen selbst. Das Auto scheint ein unverrückbarer Teil unserer Normalität zu sein, obwohl ihre Zahl aus umweltpolitischen Gründen deutlich reduziert werden müsste. Wie kann das gelingen?

von Andreas Knie

veröffentlicht am 27.03.2025

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Das Auto war offenkundig immer schon da, es gilt als unhinterfragte Selbstverständlichkeit, die politisch nicht zu diskutieren ist. Das Auto erhält eine Vielzahl von Förderungen und Unterstützungen, die als Privilegien aber nicht erkennbar sind, nicht wahrgenommen werden, weil sie als Normalität erscheinen. Und gegen die Normalität ist schwer anzugehen.

Wenn die Gesellschaft um das Auto herumgebaut ist, die Moderne nur durch ihren technischen Unterbau – das Auto – denkbar, möglich und lebbar wurde, was würde geschehen, wenn sich die Zahl der Autos aus klimapolitischen Gründen verringern würde? Gibt es dann auch weniger Gesellschaft?

Es hat daher keinen Sinn, eine Verkehrswendedebatte zu beginnen, wenn die Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklung nicht mitbedacht wird. Denn wenn das Auto als Teil einer Normalität gilt und nicht als Problem empfunden wird, kann es auch nicht infrage gestellt werden.

Eine Institution wie Ehe, Schule oder DIN-Norm

Im Mittelpunkt stand immer nur die Debatte, warum im Verkehrssektor die international beschlossenen Klimaziele seit Jahren verfehlt werden. Eine überraschende Antwort auf obige Frage könnte sein: Das Auto schafft sich selbst ab! Es hat die Gesellschaftsbildung zwar technisch ermöglicht und ist Teil einer nicht zu hinterfragenden Infrastruktur geworden, die politisch nicht angreifbar ist, weil das Auto gleichsam als eine Institution wie Ehe, Schule oder DIN-Norm gilt.

Aber das Auto ist auch Ursache für einen entfernungsintensiven Arbeits- und Lebensstil, der mehr und mehr als beschwerlich und lästig empfunden wird. Es hat die Menschen auch auseinandergebracht; das vom Auto diktierte Leben ist den Menschen zu anstrengend geworden; die Erfahrungen der Pandemie, die plötzliche Option, nicht mehr jeden Tag ins Büro zu müssen, sind zu attraktiv.

Diese Erosionen reichen tiefer in die Gesellschaft hinein, als es auf den ersten Blick erscheint. Überraschend ist beispielsweise die Korrelation zwischen der Zahl der zugelassenen Autos und der Scheidungs- beziehungsweise Trennungsrate. Viele Veränderungen in der Gesellschaft werden zwar wahrgenommen, aber die sozialen Destabilisierungen nicht dem Auto zugeschrieben. Doch sie sind auch Ursache einer unkontrollierten Raumüberwindung.

Verkehrsräume als „Shared Space“

Tatsache ist: Das Auto hat die Kraft seiner unhinterfragten Selbstverständlichkeit verloren. Die nur mit dem Auto nutzbare Raumstruktur wird mehr und mehr infrage gestellt. Die klassische Moderne mit der funktional gegliederten Stadt wird von anderen Planungsprämissen überlagert, die vor allen Dingen die Schattenseiten des entfernungsintensiven Lebens- und Arbeitsstils berücksichtigen.

Es zeigt sich, dass Menschen eher eine Mischung aus allen Angeboten brauchen und sich in monofunktionalen, zersiedelten Räumen mit weiten Entfernungen unwohl fühlen. Jetzt werden wieder Stadtviertel gesucht, die auch Verkehrsräume immer mehr als „Shared Space“ denken und damit die Dominanz des Autos verringern.

Dort, wo diese gesellschaftlichen Fliehkräfte bereits wirksam werden, wo sich das Auto von einer universellen Alltagsmaschine zu einer notwendigerweise noch vorhandenen Mobilitätsreserve gewandelt hat, kann mit Verkehrswendeaktivitäten langsam der Umbau angegangen werden. Damit verliert das Auto auch seine Legitimation für die vielen Privilegien. Das schafft eine neue Ausgangssituation in der Verkehrspolitik.

Man könnte also behaupten: Das Auto hat seine durch politische Maßnahmen hergestellte Bedeutung verloren, weil die mit seiner Verbreitung verbundenen Hoffnungen erfüllt und mittlerweile die Schattenseite der Massenmotorisierung für Mensch und Natur offenbar geworden sind. Es gibt inzwischen zu viele Pkw, die sich beim Fahren und Parken gegenseitig blockieren. Das ursprüngliche Freiheitsversprechen kann nicht mehr eingelöst werden; in den auch durch das Auto entstandenen gesellschaftlichen Verwerfungen kann es keine ermöglichende Rolle mehr einnehmen. Die visionäre Kraft des Autos ist verflogen, und damit fehlt auch die Legitimation für seine Förderung.

Einschränkungen durch das Auto immer kritischer gesehen

Die Welt, in der das Auto als privilegiertes Verkehrsmittel gleichsam unsichtbar zur Gesellschaftsbildung beigetragen hat, gibt es nicht mehr. Das Auto ist sozusagen „nackt“. Nun kann jeder sehen, warum es so mächtig werden konnte: weil es so umfassend und nachhaltig wie kein anderes Verkehrsmittel bevorzugt und mit viel Geld unterstützt wurde. Die mit dem Auto entstandene „Raumlast“ wird für viele als zu hoch empfunden, und gleichzeitig werden die Einschränkungen durch das Auto selbst immer kritischer gesehen.

Digitale Medien treten gerade bei jungen Leuten immer mehr in den Mittelpunkt und lösen das Auto auch als die Ikone moderner Lebensformen mehr und mehr ab. Diese soziologischen Auflösungs- und Transformationsbefunde stehen aber im völligen Kontrast zur politischen Realität. Man könnte annehmen, dass an irgendeiner Stelle in einer der vielen Regierungen der letzten Jahre einmal darüber nachgedacht worden wäre, was wir verkehrspolitisch in den vergangenen Jahrzehnten erreicht haben und was wir gegebenenfalls anpassen müssen.

Denn alle heute noch wirksamen Förderungen verfolgten das Ziel, die Kraftfahrt in Gang zu bringen und die Zahl der Autos zu erhöhen. Es ist sicherlich nicht übertrieben zu behaupten, dass angesichts der 49 Millionen zugelassenen Pkw bei rund 83 Millionen Einwohnenden dieses Ansinnen als gelungen gelten könnte.

Längst aus der Zeit gefallen

Wenn man sich die erwähnten Befunde zur Verkehrsmittelwahl im Allgemeinen und zu den Entwicklungen in den Städten und Stadtteilen im Besonderen anschaut, dann erinnert uns die aktuelle Verkehrspolitik an den Kampf von Don Quijote gegen die Windmühlen: Es wird um etwas gekämpft, das längst aus der Zeit gefallen ist und nur noch grotesk wirkt. Es besteht Aussicht, dass es im Alltagsbereich ein Zurück zu verbindlicheren, weil nahbaren Strukturen geben könnte.

Die durch die Autogesellschaft völlig ausufernde Raumüberwindung lässt sich auf sanfte Art und Weise durch alternative Verkehrsangebote wieder eindämmen. Das alles geschieht natürlich nicht überall und gleichsam über Nacht. Die vielfach schon erkennbaren lokalen Praktiken der kompakteren Raumnutzung müssten sich als alltagstaugliches Gegenwicht auch erst noch bewähren, sie hätten dann aber die Chance auf Skalierbarkeit. Ein neuer Leitspruch für die Stadtplanung, der dem Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) zugeschrieben wird, könnte lauten: „Wir machen die Stadt für Menschen, und die gehen zu Fuß.“

Andreas Knies neues Buch „Wo kommen bloß die vielen Autos her – und wie werden wir sie wieder los?“ wird am 29. März auf der Buchmesse in Leipzig vorgestellt.

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