Häufig denken wir auf Basis aktueller Muster: Wir elektrifizieren und autonomisieren private Kraftfahrzeuge. Das soll dann der Zustand der Zukunft sein, ergänzt um die Frage des Eigentums an diesen autonomen „Elektroflitzern“. Aber im Kern sind es weiterhin die Kfz, wie wir sie heute auf den Straßen sehen.
Mobilität 4.0 unabhängig vom privaten Kfz
Das halte ich weder für einen erstrebenswerten Zustand, noch glaube ich, dass es mehr als ein Zwischenschritt hin zu einer komplett neuen Mobilität sein wird. Die wird sich nicht mehr dadurch auszeichnen, dass die reine Logistik von A nach B autonom, energieeffizient und umweltschonend erfolgt, die Nutzer ansonsten aber weiterhin in einem Kfz klassischen Zuschnitts sitzen – nur eben ohne Lenkrad. Das kann ernsthaft niemand als Fortschritt bezeichnen.
Die Zukunft der Mobilität wird darin liegen, Lebensbereiche zu mobilisieren. Beim Pendeln zur Arbeit wird beispielsweise eine autonome Mobilitätseinheit mit der Ausstattung Büro gebucht, so dass auf der Fahrt zur Arbeit schon gearbeitet werden kann. Oder um Schlaf- und Ruhepausen einzulegen kann die Ausstattung Bett, eventuell mit der Zusatzoption Workout, ergänzt werden. Auf diese Art wird beides abgedeckt. Ich würde sogar vermuten, dass es Fahrzeuge nur noch in Einheitsgrößen analog dem Standardcontainer gibt. Wozu der ganze Karosseriedesign-Aufwand, wenn die Nutzer in dem Fahrzeug nur schlafen oder arbeiten und nicht mehr vor der Lieblingspizzeria Gas geben wollen?
Ganz sicher wird aber kein Fahrzeug der Mittel- oder
Oberklasse mehr bestellt, dessen Äußeres dem Kunden gut gefällt und in dem er
oder sie wie auch in den letzten 100 Jahren auf einem Sitz sitzt.
Der Use Case verschiebt sich von der Mobilität hin zu der Mobilisierung einer
anderen Haupttätigkeit.
Wenn diese Gedanken zumindest nicht vollständig abwegig klingen, könnten die darauf aufbauenden Überlegungen zu den rechtlichen Rahmenbedingungen möglicherweise interessant sein.
Von der Mobilität hin zu der Mobilisierung
Die Annahme der künftigen Mobilität als eine funktionsorientierte Logistik verschiebt die rechtlichen Rahmenbedingungen in der Automobilindustrie natürlich. Zum einen muss jedem klar sein, dass es generell deutlich weniger Fahrzeuge geben wird. Die aktuellen Carsharing-Angebote deuten bereits darauf hin: Wenn wir nicht zufällig für jede Lebenslage ein entsprechendes Auto halten wollen, mieten wir das Mobil anlassbezogen. Ob die Bezahlung mit unseren Daten, mit Geld oder mit der Nutzung der dort verbauten Software erfolgen wird – das kann ich heute nicht vorwegnehmen.
Neben der geringeren Ausstoßmengen verändert sich der Business Case für die OEMs – unabhängig von der Frage, ob das eigentlich noch dieselben sein werden, wie wir sie aus der heutigen Zeit kennen. Denn es wird nicht mehr darum gehen, Fahrzeuge zu verkaufen. Das wird den Abnehmer nicht mehr interessieren, er will nicht kaufen und fahren, er will betreiben und bezahlt werden.
Das führt dazu, dass auf der einen Seite die Intensität der Nutzung eines einzigen Modells signifikant steigen wird. Auf der anderen Seite werden die OEM auch nur Geld verdienen können, wenn das Produkt fehlerfrei, ohne Liegenbleiber oder Funktionsstörung in der verbauten Bett-, WLan- oder Fitnesseinheit, durchgehend bis auf geplante Wartungen betrieben werden kann. Alleine hierfür wird der Betreiber zahlen wollen, in einer Art „Pay-per-Use“ mit der Logik eines „Share Risk and Revenue“-Modells.
In der Konsequenz wird es dazu führen, dass die Notwendigkeit bestimmter Komponenten im Fahrzeug wegfällt. Weiterhin werden alle anderen benötigten Komponenten in geringerer Stückzahl produziert werden. Neue Komponenten werden hinzukommen, etwa Möbel, aber auch Elektronik ohne unmittelbaren Fahrzeugbezug, wie beispielsweise die für das rollende Büro benötigte.
Höhere Verantwortung für Lieferanten und Zulieferer
Die Komponenten werden einem viel höheren Beanspruchungsgrad ausgesetzt werden als in den bisherigen Fahrzeugen; diese Intensivierung der Nutzung wird zu einer Verschiebung der Systemverantwortung hin zum Zulieferer führen. Noch mehr als heute wird der Assembler – von den Komponenten hin zum Fahrzeug – immer weniger Kompetenz bezüglich der jeweiligen Baugruppen aufweisen. Diese wird bei den Komponenten- und Systemlieferanten liegen. Das führt im Ergebnis aber auch zu einer Verantwortungs- und damit Haftungskonzentration bei den Lieferanten.
Im Gegensatz zum heutigen Modell wird diese Haftung – sei es die Gewährleistung, aber auch die Produkthaftung – immer weniger beim OEM verdichtet werden können; Lieferanten werden eine deutlich längere Zeit als bisher für ein deutlich belasteteres Produkt Verantwortung haben, da die „Pay-per-Use“-Modelle keine andere Möglichkeit der Haftungsverteilung vorsehen.
Das wird im Kern dazu führen, dass die Lieferanten ihre Produkte sehr viel besser als bisher kennen müssen, da – im Gegensatz zum jetzigen Modell – keine Gewährleistungsfrist oder Haftungsbegrenzung eine Risikominimierung bieten werden. Im Umkehrschluss wird das aber auch dazu führen, dass die Lieferanten deutlich mehr Daten über die Nutzung und das Verhalten ihrer Produkte im Feld erhalten müssen, um dieser Anforderung gerecht zu werden. Über die bisherigen Abwicklungen hinaus wird also die Informationshoheit über das jeweilige Zulieferprodukt bei den Lieferanten selbst liegen.
Erweitertes Know-how schützen
Dadurch ergibt sich eine konstruktive Verantwortung, die weit über die eines bisherigen Zeichnungslieferanten, aber auch über die eines Systemlieferanten hinausgehen wird. Zu deren Bewältigung müssen Lieferanten umfassendere Risikobetrachtungen des eigenen Produktes entwickeln, als es bei den bisher von OEM vorgegebenen Bauräumen und Lastanforderungen notwendig war.
Gleichzeitig wird es eine erhebliche Erweiterung des schutzrechtlichen Prozesses in den Lieferantenunternehmen geben müssen, damit diese das erheblich erweiterte Know-how schützen können.
Parallel hierzu steigen in dem prognostizierten Fahrzeug diejenigen Komponentenanteile, die nicht von klassischen Automobilzulieferern geliefert werden. Diese Zulieferer außerhalb des Automotive-Bereichs sind einerseits nicht an die Prozessanforderungen der Automobilindustrie gewöhnt. Andererseits bleibt offen, ob die bisher bestehenden Anforderungen an Automotive-Komponenten, die ja auf der Aufteilung der Verantwortlichkeiten beruhen, auch weiterhin Bestand haben werden oder ob nicht die Qualitätsmanagement- und Prozessanforderungen eher aufgeweicht werden. Das hat im Kern dann nichts mit einer Absenkung von Qualität zu tun, ist aber eine direkte Folge der Verlagerung von Kompetenz und Verantwortung in die Lieferkette.
Lieferanten, die für das Fahrzeug der Zukunft benötigte Komponenten herstellen, werden daher eine erhebliche Veränderung ihres Business Case und damit einhergehend ihrer haftungsrechtlichen Exposition erfahren. Nur auf der Grundlage strukturierter und systemischer Unternehmensprozesse werden Lieferanten in diesem Zukunftssegment wirtschaftlich agieren können.
Philipp Reusch ist Rechtsanwalt, Founding Partner und Teamleader Regulatory Affairs & Marktmaßnahmen bei reuschlaw Legal Consultants. Er ist außerdem Lehrbeauftragter für Produkthaftung und Produktsicherheit an der RWTH Aachen.