Verkehr-Smart-Mobility icon Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Erst die Schienenstrategie des Bundes, dann die Köpfe im DB-Vorstand

Peter Westenberger
Peter Westenberger, Geschäftsführer des Verbands der Güterbahnen Foto: NEE

Zum Amtsantritt von Verkehrsminister Patrick Schnieder wird darüber spekuliert, welche Köpfe an der Spitze der Deutschen Bahn ausgetauscht werden müssen. Es bedarf aber einer tieferen Analyse, damit sich die Schiene – und nicht nur die DB – aus dem Schlamassel herausarbeiten und endlich richtig wachsen kann. Die bisherige Steuerung durch den Bund ist mangelhaft.

von Peter Westenberger

veröffentlicht am 13.05.2025

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen

Eine lauernde erste Falle des Amtes hat der neue Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) souverän umgangen: In der „F.A.Z.“ kündigte er an, dass Personalentscheidungen an der Spitze der Deutschen Bahn (DB) erst fallen sollen, wenn die Entwicklungsrichtung beim größten Bundesunternehmen überprüft wurde.

Statt überhastet den Bahnvorstand umzubauen, will Schnieder offenbar das Problem mit strategischen Fragestellungen systematisch angehen – wie es jeder Eigentümer und Aufsichtsrat eines Großkonzerns tun würde. Man kann es ihm nur danken, auch weil die Vielfalt der ausgesessenen Probleme ohne Vorbild ist.

Amtsvorgänger Volker Wissing (parteilos, zuvor FDP) hatte sich 2022 noch beirren lassen. Nachdem der DB-Vorstand nach jahrelanger Schönrednerei die desolate Lage bei Infrastruktur und Konzern auf einmal selbst besonders dramatisch dargestellt und Druck auf eine vermeintlich schnelle Netzsanierung gemacht hatte, reagierte Wissing sofort. Schnell Vertrauen fassend befand er, dass Auswechslung des vorhandenen Führungsteams nur Zeit kosten würde. Wissing besorgte zusätzliche Mittel, die später im Wesentlichen in kaum zu verstehende Baukostensteigerungen flossen. Oder anders ausgedrückt: Der Bund vertraute weiterhin blind darauf, dass die DB die Mittel richtig einsetzen wird.

Zeit für eine ehrliche Eröffnungsbilanz

Nach drei Amtsjahren feierte sich Wissing trotz sinkender Produktivität und verschlechterter Performance der DB-Infrastruktur schließlich als Bahnfreund. Der DB-Vorstand schwieg fein und streute rechtzeitig zur Debatte über das Sondervermögen Infrastruktur eine Multimilliarden-Forderung im politischen Berlin.

Es ist Zeit für eine ehrliche Eröffnungsbilanz. Richard Lutz, weitere Vorstandsmitglieder und die bisherigen Aufsichtsratsvorsitzenden sollten öffentlich Auskunft über langjährig verfehlte Ziele und die Ursachen geben, eine Expert:innenkommission sollte die Analyse für die notwendigen Strategien des Bundes begleiten und kommentieren.

Fakt ist: Der desolate Zustand von Schienennetz und -anlagen bereitet Verkehrsministern zunehmend schlaflose Nächte. Liebäugelten früher manche insgeheim mit dem gänzlichen Verzicht auf die Schiene, ist längst klar, dass mehr Schiene gebraucht wird – aus verkehrlichen und ökologischen Gründen. Die wachsenden Qualitätsprobleme könnten jedoch nicht nur Richard Lutz, sondern auch Patrick Schnieder selbst den Kopf kosten. Bei der DB und der Schienenstrategie genau hinzuschauen, ist für den Minister daher überlebenswichtig.

Da erstaunt seine Entscheidung, den unter Wissing für die Eigentümerfunktion zuständigen Staatssekretär Stefan Schnorr als einzigen Spitzenbeamten im Amt zu halten. Denn das Verkehrsministerium glänzt seit Jahren damit, das Wenige an Steuerung, das möglich ist, nicht einmal auszuschöpfen.

Der strategische Nachholbedarf beim Bund und der DB ist erheblich:

Der Eigentümer hat keinerlei Mengen-, Marktanteils-, Umsatz-, Modernitäts- oder Umweltziele für seinen Konzern formuliert. Und der steht ja nicht allein für das System Schiene. Verkehre werden vor allem im Güter- und Nahverkehr schon zu einem Großteil von Wettbewerbsunternehmen erbracht, die nicht diskriminiert werden dürfen.

Eigentümerstrategie des Bundes? Fehlanzeige

Eigentümerstrategie des Bundes? Fehlanzeige seit 1994. Bislang fehlte Regierung um Regierung das Verständnis für die notwendig unterschiedliche Steuerung der Teile des „integrierten“ DB-Konzerns: Gemeinwohlorientiert beim Infrastrukturmonopol, wettbewerblich bei den Transportunternehmen. Und der Bund hat sogar noch weitere Rollen: Er ist Teil der europäischen Gesetzgebung, Politikgestalter im Inland, verantwortlicher Träger von Kontrollbehörden und zuständig für weitere Aufgaben wie Statistik oder Forschungsförderung.

Entflechtung im Konzern? Immer noch werden Köpfe und Posten durchgetauscht und verschränkt, bei denen die DB Wissen aus ihrem Infrastrukturmonopol mit den Informationen aus ihren Transportgesellschaften teilt – zu Lasten des Wettbewerbs.

Strategie für die Entwicklung der Schieneninfrastruktur? Der gesetzlich vorgeschriebene Geschäftsplan ist ausgesetzt, eine unpriorisierte gesetzliche Neubauliste, die seit Jahren an einem Mini-Budget scheitert, vermischt sich mit dem Schlagwort Deutschlandtakt und seit Kurzem mit dem weiteren, unfertigen Konzept des Infraplans, der ebenfalls unverbindlich wäre. Garniert wird das Chaos noch durch eine Umfirmierung mit dem Label „Gemeinwohlorientierung“. Ihr zum Trotz soll 2026 aus Trassenpreisen ein Gewinn von bis zu einer Milliarde Euro für den DB-Konzern erwirtschaftet werden.

Antwort auf die seit Jahren sinkende Mitarbeiter:innenproduktivität? Bisher keine, wenn man von der Kürzung von Rationalisierungsinvestitionen auf Zuruf des Ministeriums absieht.

Transparenz? Viele Daten des natürlichen Monopols Schienennetz werden als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse behandelt. Sogar Verspätungsdaten werden Bundestagsabgeordneten teils nur in der Geheimschutzstelle des Parlaments zugänglich gemacht – dabei dürfte sehr wohl von öffentlichem Interesse sein, dass beispielsweise die Hälfte der Fahrplanunterlagen den Eisenbahnverkehrsunternehmen nicht fristgerecht zur Verfügung gestellt wird. Konzerninterne statt öffentlich ausgeschriebene Auftragsvergaben sind ebenfalls selten nachvollziehbar.

Kostenrisiken unter den Teppich gekehrt

Begleitung der Bundesbeteiligung auf Augenhöhe? Die Trias aus Ministerium, Eisenbahn-Bundesamt und Bundesnetzagentur ist nicht einmal gemeinsam dazu in der Lage. Der Haushaltsausschuss des Bundestags versucht vergeblich, die Finanzierungsströme zu verstehen. Kostenrisiken wie bei Stuttgart 21, beim Tunnel Rastatt oder erfolglosen Auslandsbeteiligungen werden effektiv unter den Teppich gekehrt. Empfehlungen des Bundesrechnungshofs und der Monopolkommission des Bundes werden in schöner Regelmäßigkeit zur Kenntnis genommen und anschließend lächelnd ignoriert. Wenn wir uns als Verband der DB-„Gegenseite“ gelegentlich ignoriert fühlen, wie muss es diesen offiziellen Bundesstellen gehen?

Mit der jahrelangen Diskussion um den Preis des Deutschlandtickets kann die Aufmerksamkeit der Medien und vieler Menschen im Land bestens auf einen kleinen Bereich in der Manege des DB-Zirkus gebündelt werden. Alle paar Jahre kommen Spekulationen über den Köpfewechsel im DB-Vorstand dazu. Alle dürfen mitmachen. Dass es einer tieferen Analyse bedarf, damit sich die Schiene – und nicht nur die DB – aus dem Schlamassel herausarbeiten und endlich richtig wachsen kann, scheint Patrick Schnieder auf dem Schirm zu haben. Wir wünschen viel Erfolg!

Lernen Sie den Tagesspiegel Background kennen

Sie lesen einen kostenfreien Artikel vom Tagesspiegel Background. Testen Sie jetzt unser werktägliches Entscheider-Briefing und erhalten Sie exklusive und aktuelle Hintergrundinformationen für 30 Tage kostenfrei.

Jetzt kostenfrei testen
Sie sind bereits Background-Kunde? Hier einloggen