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Standpunkte Welche Folgen eine Zerschlagung des Konzerns hätte

Heike Moll, Vorsitzende des Konzernbetriebsrates der Deutschen Bahn
Heike Moll, Vorsitzende des Konzernbetriebsrates der Deutschen Bahn Foto: privat

Der Kern der heutigen Qualitätsprobleme der Bahn liegt in den Investitionsversäumnissen der letzten Bundesregierungen. Eine Zerschlagung der Deutschen Bahn brächte mehr als 30.000 Arbeitsplätze in Gefahr. Eine Replik auf den Gastbeitrag des Unionsfraktionsvize Ulrich Lange, der vergangene Woche in Tagesspiegel Background erschienen ist.

von Heike Moll

veröffentlicht am 21.10.2024

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Die Ausführungen von Unionsfraktionsvize Ulrich Lange vergangene Woche in Tagesspiegel Background habe ich sehr irritiert zur Kenntnis genommen. Hiermit reagiere ich faktenbasiert auf die aktuelle Situation des DB-Konzerns und die Unterstellungen des CSU-Politikers.

Ja, die Deutsche Bahn steckt aktuell in ihrer wohl schwersten Krise. Die Pünktlichkeit im Fern- und Güterverkehr ist jenseits von Gut und Böse. Die Qualitäts- und Pünktlichkeitsprobleme schrecken nicht nur Kunden und Reisende ab, sie verursachen auch hohe Kosten. Zudem steigt der Servicebedarf durch Zugverspätungen und -ausfälle spürbar, und gerade in diesen, für Reisende stressbeladenen Situationen kommt es leider immer häufiger zu Übergriffen auf DB-Mitarbeitende.

Viele der derzeitigen Probleme lassen sich direkt auf die von Herrn Lange benannten „maroden Strecken“ zurückführen.

Zu den Aussagen und Fakten im Einzelnen:

1. „Marode Strecken“: Die aktuell viel zu hohe Fehleranfälligkeit der Anlagen der Eisenbahninfrastruktur ist direkte Folge von „über 30 Jahren unzureichender Ersatzinvestitionen“: Keine Bundesregierung hat seit der Bahnreform 1994 ansatzweise genug Mittel für Investitionen bereitgestellt, um alle zum Ersatz anstehenden Anlagen beziehungsweise Bauteile bedarfsgerecht zu erneuern. Damit ist das Durchschnittsalter der Anlagen jedes Jahr gestiegen – die Substanz der Infrastruktur wurde stetig schlechter.

Das ist der Kern des heutigen Qualitätsproblems. Das geht die Bundesregierung mit der DB InfraGO jetzt an. Wir befinden uns aber erst am Anfang des Weges aus der bisherigen Mangelverwaltung. Auch der von dem Abgeordneten Lange beklatschte „Investitionshochlauf“ des damals CSU-geführten Verkehrsministeriums hat keine Trendumkehr gebracht. Die im Jahr 2019 verabschiedete „Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung“ konnte die Preisexplosionen in beinahe allen Bereichen als Folge geopolitischer Krisen nicht vorhersehen. Es jetzt so aussehen zu lassen, als könne die Deutsche Bahn mit dem zugesagten Geld nicht haushalten, ohne dabei die exorbitanten Teuerungsraten der letzten Jahre zu erwähnen, zeigt deutlich, dass Oppositionspolitiker Lange den Wahlkampf bereits begonnen hat.

2. „Eigenkapitalerhöhungen flossen in hohe Boni“: Sämtliche Eigenkapitalmaßnahmen hat der Bund stets an enge Vorgaben geknüpft, was ihre Verwendung angeht, sowie die schriftliche Fixierung und den Ausweis in der Bilanz. Die Mittelherkunft und -verwendung kann in den Jahresabschlüssen jeweils genau nachvollzogen werden. Sollte Lange andere Informationen haben, müssen wir diesem Vorwurf gemeinsam nachgehen. Übrigens: Verträge der Bahnvorstände inklusive der „Boni“ werden im Aufsichtsrat der DB AG beschlossen. Hier verfügt der Bund zusammen mit dem von ihm eingesetzten Aufsichtsratsvorsitzenden über eine Stimmenmehrheit.

3. „Die neu geschaffene DB InfraGO […] ist nichts anderes als eine lapidare Änderung des Klingelschilds“: Das Programm InfraGO umfasst eine neue Bewirtschaftung inklusive Generalsanierung, Gesetzesnovellen, darunter das BSWAG, einen größeren Finanzierungsrahmen, die intensivere Steuerung durch den Bund und die Verschmelzung der DB Netz mit der DB Station & Service. Letztere hat über 60.000 Menschen betroffen.

Jetzt werden zwingend sämtliche strategischen und sicherheitsrelevanten Prozesse beider Unternehmen in kürzester Zeit harmonisiert und überarbeitet. Zudem befindet sich mit dem Infraplan ein wesentliches Steuerungsinstrument für den Bund auf der Zielgeraden. Hier werden nicht nur „Klingelschilder ausgetauscht“, Herr Lange!

Die neue DB InfraGO baut an 267 Großprojekten sowie tausenden mittleren und kleinen Baumaßnahmen – so viele wie niemals zuvor. Die Qualitätsverbesserungen werden kommen, aber mehr als 30 Jahre Vernachlässigung durch den Bund können nicht in zehn Monaten zurückgedreht werden. Herr Lange suggeriert, dass mit dem Start der DB InfraGO eine sofortige Besserung der betrieblichen Lage verknüpft wurde – das ist ein unfairer Tiefschlag für die Mitarbeitenden, die jeden Tag ihr Bestes geben und trotzdem jeden Tag aufs Neue kritisiert werden.

4. „Wir brauchen eine Zerschlagung des Konzerns“: Eine Zerschlagung des Konzerns würde rein gar nichts zur Bewältigung der Herausforderungen beitragen, aber mehr als 30.000 Arbeitsplätze, insbesondere bei den internen Bahndienstleistern, in akute Gefahr bringen. Das Problem der Unterfinanzierung (circa 100 Milliarden Euro Nachholbedarf) würde durch eine Zerschlagung nicht gelöst. Dieses Problem hat Unionsfraktionsvize Lange bisher ausgeblendet.

Eine herausgelöste Infrastruktur wäre zudem auf Jahre handlungsunfähig. Auch die Verkehrsunternehmen und Dienstleister der DB wären auf absehbare Zeit mit sich selbst beschäftigt, anstatt sich auf die Verbesserung des Betriebs zu konzentrieren. Deutschland würde damit in der nächsten Legislaturperiode sicher nicht vorankommen, sondern eine schwere Phase der Lähmung und Orientierungslosigkeit erleben.

5. Eine Zerschlagung bietet laut dem CSU-Politiker Lange den[…] Vorteil, dass das Geld auch bei den notwendigen Projekten ankommt“: Bei dieser Formulierung kann man bereits erahnen, dass sich die Bauprojekte in einer vom Betrieb abgetrennten Infrastruktur nicht mehr an der betrieblichen Notwendigkeit ausrichten, sondern vielmehr an den jeweiligen Wahlkreisen und politischer Opportunität!

Integrierte Bahnkonzerne können Erfolgsgeschichten sein – da reicht ein Blick zu unseren Nachbarländern Österreich und Schweiz. Solche Vergleiche sind aber in der Politik nicht sehr beliebt, denn hier kann man klar erkennen, wie sehr die Qualität im Schienennetz von der öffentlichen Finanzierung beeinflusst wird. In der Schweiz und in Österreich wird bereits seit Jahrzehnten pro Einwohner ein Vielfaches dessen in den Erhalt und Ausbau der Schiene investiert, was in Deutschland bereitgestellt wird.

Zu Ulrich Langes Loblied auf sein Vorbild Autobahn GmbH möchte ich nur jedem empfehlen, einmal eine beliebige Internetsuchmaschine zu bemühen. Unter „Probleme bei der Autobahn GmbH“ bekommt man da mehr als genug Fakten und keine Märchen.

Abschließend möchte ich als Arbeitnehmervertreterin der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) Herrn Lange beim Thema „Verkauf von DB Schenker uneingeschränkt recht geben. Der Verkauf des Logistikers ist ein Fehler – für den DB-Konzern, aber auch für die strategische Position unseres Landes. Es ist mir unverständlich, dass der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion trotz dieser richtigen Erkenntnis dennoch die Zerschlagung des volkswirtschaftlich und geopolitisch elementar wichtigen Unternehmens DB AG fordert. Das würde gegen die Interessen nicht nur der Mitarbeitenden, sondern der deutschen Wirtschaft, der Bevölkerung und des Klimaschutzes laufen. Ich lade Ulrich Lange gern ein, in einen konstruktiven Dialog zur Zukunft des DB-Konzerns und seiner 230.000 Mitarbeitenden in Deutschland einzutreten.

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