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Standpunkte Mobilität braucht Menschen – und politische Rückendeckung

Harald Kraus
Harald Kraus, VDV-Personalausschussvorsitzender und Vorstandsvorsitzender VDV-Akademie

Jährlich scheiden bei Bus und Straßenbahn rund 6000 Fahrpersonal-Beschäftigte altersbedingt aus. Ohne gezielte Maßnahmen drohen Angebotskürzungen und ein Rückgang der Verlässlichkeit. Eine neue Umfrage des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen liefert einen klaren Handlungsauftrag.

von Harald Kraus,

veröffentlicht am 06.06.2025

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Der öffentliche Verkehr in Deutschland steht vor einer doppelten Herausforderung: Er soll wachsen, klimafreundlicher und digitaler werden – gleichzeitig fehlen heute bereits rund 20.000 Busfahrer*innen und 3000 Triebfahrzeugführer*innen. Jährlich scheiden bei Bus und Straßenbahn rund 6000 Fahrpersonal-Beschäftigte altersbedingt aus. Ohne gezielte Maßnahmen drohen Angebotskürzungen und ein Rückgang der Verlässlichkeit.

Die „Große Deutschland-Umfrage Fahrpersonal Bus & Bahn 2025“ von der Digitalagentur nexum und dem Branchenverband VDV bringt erstmals systematisch die Sichtweise der Fahrenden selbst ins Spiel: 1425 Beschäftigte aus rund 700 VDV-Mitgliedsunternehmen haben ihre Perspektiven eingebracht. Die Daten zeigen: Es gibt ein starkes berufliches Engagement, aber auch strukturelle Frustration. Besonders häufig kritisiert werden geteilte Dienste, mangelnde Planbarkeit und eine als unzureichend empfundene Vergütung.

Quereinsteiger größte Gruppe

Die Umfrage liefert ein differenziertes Bild – mit klaren Zahlen und ebenso klaren Erwartungen. So kamen 54 Prozent der Befragten als Quereinsteiger*innen in den Beruf – ein deutlicher Hinweis auf die Offenheit der Branche, aber auch auf die Notwendigkeit gezielter Qualifizierungsangebote.

Für 40 Prozent war das persönliche Umfeld der entscheidende Faktor für den Berufseinstieg – Empfehlungen übertreffen klassische Stellenanzeigen und Onlineportale deutlich. Dies zeigt: Der Fahrdienst ist eine „empfohlene Branche“, deren Potenzial im Empfehlungsmarketing bislang kaum ausgeschöpft ist.

Den größten Veränderungsbedarf sehen 72,5 Prozent in der Dienstplangestaltung – noch vor der Vergütung oder dem Zustand der Technik. Die Kritik richtet sich vor allem gegen fehlende Planbarkeit, lange Schichten und geteilte Dienste. Gleichzeitig erwarten 87,6 Prozent der Befragten, dass Gehaltsangaben auf Karriereseiten transparent kommuniziert werden. Damit wird deutlich: Wer künftig erfolgreich rekrutieren möchte, braucht digitale, zielgruppengerechte Bewerbungsprozesse, glaubwürdige Kommunikation und ehrliche Informationen – über das, was Menschen wirklich bewegt.

Strukturelle Hindernisse – politisch lösbar

Ein besonders gravierendes Beispiel: Der Erwerb des Busführerscheins kostet in Deutschland bis zu 14.500 Euro, in Österreich rund 5000 Euro. Solche Einstiegshürden schrecken ab. Die Politik muss hier gegensteuern: mit finanzieller Förderung, vereinfachter Anerkennung und praxisnahen Qualifizierungswegen. Auch bei der Integration von Migrant*innen braucht es praxistaugliche Sprachanforderungen und Mentoringprogramme.

Der Wunsch nach mehr Sicherheit ist deutlich. Eine bundeseinheitliche Regelung zur Speicherung von Videoaufzeichnungen im ÖPNV – mindestens 30 Tage – sowie klare Schutzstandards für Beschäftigte wären ein wichtiger Schritt. Ebenso muss die Strafbarkeit des Schwarzfahrens beibehalten werden, um das Personal im Fahrgastkontakt zu schützen.

Was jetzt zu tun ist – Empfehlungen an Branche und Politik

Die Herausforderungen sind klar benannt – nun braucht es ebenso klare Schritte: Für die Verkehrsunternehmen bedeutet das vor allem, neue Zielgruppen aktiv zu erschließen und professionell zu begleiten. Quereinsteiger*innen sollten gezielt angesprochen, durch modulare Schulungsangebote qualifiziert und in der Branche gehalten werden.

Eine zentrale Stellschraube bleibt die Dienstplangestaltung: Geteilte Dienste müssen reduziert, Planbarkeit und Mitbestimmung gestärkt werden. Gleichzeitig gilt es, die Arbeitgeberkommunikation deutlich aufzuwerten – mit nachvollziehbaren Informationen zu Gehalt, Arbeitsbedingungen und Entwicklungsperspektiven. Wer als Arbeitgeber überzeugen will, muss seine Werte, Unternehmenskultur und Benefits sichtbar und glaubwürdig machen.

Auch die Politik steht in der Verantwortung: Eine nachhaltige Finanzierung ist Grundvoraussetzung für faire Löhne, verlässliche Arbeitszeiten und moderne Dienstmodelle. Der Zugang zum Beruf muss erleichtert werden – durch niedrigere Führerscheinkosten, gezielte Umschulungsförderung und entbürokratisierte Qualifikationsverfahren.

Fazit: Zukunft sichern durch Personalpolitik

Ebenso braucht es eine praxisnahe Integrationspolitik: Sprachanforderungen, Anerkennungsverfahren und Zugangswege sollten sich an der Lebensrealität orientieren. Nicht zuletzt ist die Sicherheit im Dienstalltag zu stärken – mit bundesweit einheitlichen Standards, technischer Ausstattung und klaren Schutzregelungen für das Fahrpersonal.

Die Personalfrage ist keine Randnotiz, sondern das Scharnier zwischen politischem Anspruch und realer Umsetzbarkeit. Nur wenn die Bedingungen stimmen, können Menschen gewonnen und gehalten werden – und nur mit motivierten Menschen kann der Wirtschaftsstandort Deutschland ausgebaut werden. Die Deutschlandumfrage liefert dazu den klaren Handlungsauftrag – jetzt gilt es, ihn entschlossen umzusetzen.

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