Im Mai soll es endlich so weit sein, der Bundesrat wird (voraussichtlich) die lang erwartete Autonome-Fahrzeuge-Genehmigungs- und Betriebsverordnung (AFGBV) verabschieden. Damit wird Deutschland weltweit das erste Land, welches die Genehmigung und den Regelbetrieb von „Robo-Shuttles“ im öffentlichen Straßenraum umfassend reglementiert. Auf über 120 Seiten werden detailliert Anforderungen an Sensorik, Beschaffenheit, Ausstattung und Ausrüstung der Fahrzeuge mit autonomen Fahrfunktionen beschrieben sowie zuständige Stellen und der damit verbundene Genehmigungsprozess dargestellt.
Doch die AFGBV konkretisiert nicht nur die Vorgaben an das Verfahren, die Anforderungen an Fahrzeuge und deren Hersteller, sondern auch an die Halter und im Fahrzeugbetrieb eingesetzten Personale. Für die Verkehrsunternehmen – und damit die zukünftigen Betreiber autonomer Verkehrsangebote und Halter der Fahrzeuge – wird ein umfangreiches Pflichten- und Aufgabenprogramm angeordnet. Dieses umfasst zum Beispiel die regelmäßige Wartung und Prüfung der Fahrzeuge. Angefangen bei einer täglichen erweiterten Abfahrkontrolle, über eine 90-tägige Sicherheitsüberprüfung bis hin zur halbjährlichen Vorstellung zur Hauptuntersuchung bei den Technischen Diensten. Hinzu kommen nicht unerhebliche Dokumentations- und Übermittlungspflichten für vielfältige Daten und Prozesse, die so ein autonomer Personenbeförderungsbetrieb mit sich bringt.
Für die Praxis erscheint fraglich, ob die Intensität und Intervalle der damit verbundenen Aufgaben vielleicht überschießend sind, doch die erfahrenen ÖPNV-Praktiker werden auch mit dieser Herausforderung umgehen können und feststellen, dass auch bereits im heutigen ÖPNV-Betrieb regelmäßige Sicherheitsprüfungen, neben Hauptuntersuchungen und täglichen Abfahrts- und Sichtkontrollen, Bestandteil der betrieblichen Praxis sind. Die Gewährleistung des sicheren und ordnungsgemäßen Gesamtbetriebs – und damit auch der Sicherheit der Fahrgäste – sind nicht nur vielfach gesetzlich angeordnet, sondern auch Bestandteil der „DNA des ÖPNV“.
Nicht-Akademiker:innen können (Teil-)Aufgaben übernehmen
Die größten Bauchschmerzen bekommt der Praktiker allerdings, wenn er sich die Qualifikationsanforderungen an die „Technische Aufsicht“ sowie der weiteren eingesetzten Personale für Betrieb und Wartung der Fahrzeuge anschaut. Denn laut Verordnungsentwurf ist für die Rolle der Technischen Aufsicht nur geeignet, wer staatlich geprüfte:r Techniker:in ist beziehungsweise über einen akademischen Abschluss im Bereich Maschinenbau, Kraftfahrzeugtechnik (…) oder Luft- und Raumfahrt verfügt. Das schließt beispielsweise Informatiker:in aus, die zwar so ein autonomes Fahrzeug programmieren können, aber niemals betreiben beziehungsweise beaufsichtigen dürfen. Für die Verkehrsunternehmen kommt verschärfend hinzu, dass der Großteil der beschäftigten Personale in Fahrdienst und Werkstatt aus Fachkräften besteht und (kraftfahrzeugtechnisch-studierte) Akademiker:innen nicht die Regel sind.
Grundsätzlich erscheint es verständlich, dass die Gesamtverantwortung bei der Nutzung dieser Hochtechnologie auf öffentlichen Straßen, die damit verbundenen Aufgaben und Pflichten nur von Personalen wahrgenommen werden, die zuverlässig sind und über ausreichend Kompetenzen und Erfahrung im Umgang mit Kraftfahrzeugen – insbesondere beim Betrieb, in der Wartung und Instandhaltung von (gewerblichen) Flotten – verfügen.
Betrachtet man die einzelnen Pflichten im Detail, stellt sich jedoch die Frage, warum diese hohen Anforderungen nur Ingenieur:innen erfüllen können sollen. Einzelne Teilaufgaben und Pflichten dieser halterspezifischen technischen Wartungs- und Aufsichtsaufgaben sind ebenso von Nicht-Akademiker:innen durchführbar. Die betriebliche Organisation des ÖPNV und die heutigen Werkstätten bieten einen guten Vergleichsmaßstab.
Zudem zeigt ein Blick in die Testfelder und in die Praxis, dass bereits heute für das anvisierte Tätigkeitsprofil qualifiziertes Fachpersonal ausreichend ist. In den Testfeldern des öffentlichen Verkehrs sind die heutigen, mit der Fahrzeugführung und Aufgaben des „Operators“ betrauten Personale Berufskraftfahrer:Innen und Busfahrer:Innen.
Nicht nur ein Abgleich mit dem Verantwortungsumfang der Technischen Aufsicht spricht gegen derart strenge Anforderungen, sondern auch ein Vergleich mit anderen Verkehrssystemen. So besteht etwa im Straßenbahn- und Eisenbahnbetrieb zum Beispiel für Fahrbedienstete, Fahrdienstleiter und Leitstellenmitarbeiter keine derartige Qualifikationsanforderung, obwohl der Verantwortungsumfang jedenfalls nicht geringer ist.
Auch aus arbeitswissenschaftlichen und beschäftigungspolitischen Gründen erscheint es überzogen, solch hohe Anforderungen zu stellen. Für die Akzeptanz entsprechender Technologien wäre es schädlich, wenn den vielen Beschäftigen im Fahrdienst (in ÖPNV und Logistik) keine Perspektive für die Transformation ihres Berufsbilds aufgezeigt wird. Vielmehr zeigen die Erprobungen in den Testfeldern, dass die Fahrgast- wie auch Beschäftigtenakzeptanz steigt, wenn die zukünftigen Aufgaben auch von den heutigen Personalen erfüllt werden können. Wie könnte also eine sachgerechte Lösung aussehen?
Akademisierungstrend könnte sich verschärfen
Welche konkreten Anforderungen, Fähigkeiten und Kompetenzen Personen besitzen müssen, die in der Zukunft den Beruf der „Technischen Aufsicht“ nachgehen wollen, ist noch unzureichend erfasst. Dies gilt ebenso für alle weiteren rund um den autonomen Betrieb entstehenden Rollen und Berufsbilder. Hier müssen erst geeignete spezifische Ausbildungs- sowie Qualifizierungs- und Weiterbildungsangebote entwickelt werden.
Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass der im aktuellen Verordnungsentwurf niedergelegte „Akademisierungstrend“ den Fachkräftemangel und die Personalgewinnung in ÖPNV und Logistik verschärft. Um eine Diskriminierung einzelner Beschäftigtenprofile zu vermeiden und insbesondere Chancen und Perspektiven für die Berufsbildung zu ermöglichen, könnte an der betreffenden Stelle in der Verordnung vielmehr folgende Formulierung gewählt werden: „Die Technische Aufsicht ist geeignet, wenn sie eine (informations-) technische, betriebliche, verkehrstechnische oder ingenieurswissenschaftliche Qualifikation nach dem Deutschen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen der Stufe 5 oder höher nachweisen kann und {…}“
Diese Herangehensweise würde auch
„Berufsspezialisten“ und „Aufsteigern“ eine Entwicklung in diese
Rolle ermöglichen, auch wenn sie keine Hochschule besucht haben. Weiterhin
könnten so in der Zukunft spezifische Qualifizierungs- und Weiterbildungsangebote
für bestimmte Berufsgruppen geschaffen werden. Schließlich wird auch die
Fahrzeugindustrie gefordert sein, entsprechende technische Einrichtungen und
Interfaces für die Mensch-Maschinen-Interaktion bereitzustellen, die so
nutzergerecht gestaltet sind, dass sie nicht nur Ingenieur:innen bedienen
können.
Entscheidend wird also sein, ob die Länder im laufenden Bundesratsverfahren geeignete Anpassungsvorschläge einbringen werden beziehungsweise in der nachfolgenden Evaluation des Rechtsrahmens schnellstmöglich Verbesserungen vorgenommen werden. Aber vor allem ist auch entscheidend, dass die anstehende EU-ADS-Regulierung nicht einen Strich durch die nationale Rechnung macht.
Michael Weber-Wernz ist Geschäftsführer der VDV Akademie, Emanuele Leonetti dort Wissenschaftlicher Mitarbeiter. Die VDV-Akademie forscht im vom Verkehrsministerium Baden-Württemberg geförderten Projekt „AMEISE“ an den Auswirkungen des autonomen Fahrens für die Beschäftigen im ÖPNV. Sie arbeitet mit verschiedenen Partnern aus Industrie und Forschung an passenden Weiterbildungsangeboten – auch und insbesondere für den autonomen ÖPNV-Betrieb.