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Standpunkte Ohne einen übergreifenden Transformationsplan erreichen wir die Klimaziele nicht

Imelda Labbé
Imelda Labbé, Präsidentin des Verbands der Internationalen Kraftfahrzeughersteller (VDIK) Foto: VDIK

Deutschland braucht einen übergreifenden und langfristig angelegten Transformationsplan von Automobilwirtschaft, Politik, Energiewirtschaft und Kommunen. Nur so wird der Umstieg auf Elektromobilität in der Breite attraktiv und planbar. Vorbilder könnten Frankreich und Norwegen sein.

von Imelda Labbé

veröffentlicht am 17.06.2025

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Die Automobilhersteller haben in den vergangenen Monaten in einer großen Modelloffensive neue und bezahlbare E-Autos vor allem im Einstiegssegment vorgestellt. Damit wird der Einstieg in die Elektromobilität auch für mittlere und kleinere Einkommen möglich. Trotz der starken Wachstumsraten bei den Elektrofahrzeugzeugen und Plug-in-Hybriden erreichen wir in Deutschland derzeit nicht die CO2-Ziele der Europäischen Kommission. Dafür bräuchten wir zwischen 20 und 25 Prozent E-Zulassungen, aktuell liegt der E-Marktanteil bei 18 Prozent.

Hersteller und Handel bieten deshalb momentan Kaufanreize, die deren Ergebnisse massiv belasten und damit wirtschaftlich nicht nachhaltig sind. E-Auto-Kunden brauchen restwertschonende Anreize, eine flächendeckende Ladeinfrastruktur und günstigen Strom. All diese Maßnahmen sind in einem übergreifenden und langfristig angelegten Transformationsplan von Automobilwirtschaft, Politik, Energiewirtschaft und Kommunen festzulegen. Nur so wird der Umstieg auf Elektromobilität in der Breite attraktiv und planbar.

Beim Quartierladen und in ländlichen Kommunen nachsteuern

Für ein Gesamtpaket müssen wir die Puzzleteile zusammensetzen. Bei der Ladeinfrastruktur gibt es mittlerweile massive Fortschritte, aber wir sehen jetzt, dass wir beim Quartierladen und in ländlichen Kommunen noch nachsteuern müssen. Drei Viertel aller Gemeinden haben immer noch keinen Schnelllader.

Auch bei den Strompreisen ist Bewegung in Sicht. Es fehlt jedoch weiterhin an Transparenz, mehr Wettbewerb und Planbarkeit. Und wir brauchen attraktive Einstiegsmodelle. Trotz neuer Modelle sind E-Autos aktuell im Schnitt mehr als 4000 Euro teurer als vergleichbare Verbrenner. Die Betriebskosten bei öffentlichem Laden übersteigen die Spritpreise. Deshalb ist die Umsetzung der im Koalitionsvertrag beschriebenen Anreize dringend erforderlich.

Ein Transformationsplan definiert Maßnahmen zu all diesen Parametern und unterstreicht die Verpflichtung aller zum gemeinsamen Hochlaufplan, darum geht es. Zentrales Anliegen ist dabei die Fokussierung auf die CO2-Ziele. Deshalb müssen auch E-Fuels für den Bestand und die Hybridtechnik als Transformationstechnologie Teil des Plans sein.

Beispiel Norwegen und Frankreich

Norwegen und Frankreich setzten beispielsweise sehr früh auf eine enge Zusammenarbeit zwischen Regierung, Industrie, Energieversorgern und Forschungseinrichtungen, um die Elektromobilität voranzutreiben. Die Politik ist der Rahmengeber, Koordinator und Impulsgeber, der die verschiedenen Branchen und Akteure aufeinander abstimmt, um die Industriepläne erfolgreich umzusetzen, und die Akzeptanz in der Bevölkerung und bei Unternehmen steigert.

Die politischen Rahmenbedingungen schaffen Planungssicherheit für Industrie und Investoren. Förderungen und Steuervergünstigungen motivieren Unternehmen, in E-Mobilität zu investieren. Sie steuern den Ausbau der Ladeinfrastruktur durch Anreize oder Vorgaben. Die Politik sorgt aber auch für eine strategische Abstimmung verschiedener Akteure – Industrie, Energieversorger, Kommunen – und legt nationale oder regionale Ziele und Standards zum Beispiel bei Ladesäulen fest. Das schafft eine gemeinsame Richtung und verhindert widersprüchliche Maßnahmen.

Schulterschluss für bidirektionales Laden

Wir brauchen einen engen Schulterschluss zwischen allen Industriezweigen entlang der E-Wertschöpfungskette, vor allem zwischen der Automobilindustrie und der Energieversorgungswirtschaft. Beide werden zum Beispiel beim bidirektionalen Laden noch stärker miteinander zusammenarbeiten, damit Elektrofahrzeuge einen wichtigen Beitrag zur Netzstabilität leisten können. Dafür müssen wir wesentlich stärker auf bidirektionales Laden setzen. Das ist technologisch und regulatorisch noch nicht flächendeckend möglich. Hier brauchen wir mehr Tempo und eine Digitalisierung der Stromnetze.

Der Investitionsbooster des Bundesfinanzministeriums sendet positive Signale zur Standortstärkung und Investitionsförderung. Doch für den Hochlauf der Elektromobilität bringt diese Steuermaßnahme zu wenig. Denn sie richtet sich ausschließlich an das gewerbliche Geschäft und vernachlässigt dabei das Leasinggeschäft, das den überwiegenden Anteil der Zulassungen ausmacht.

Neben der gewerblichen Förderung werden auch dringend die im Koalitionsvertrag angekündigten Maßnahmen für Privatkunden und den Gebrauchtwagenmarkt benötigt. Zum Beispiel ein sofortiger Steuervorteil oder ein Guthaben für Ladestrom. Direkte Kaufprämien dagegen sind kontraproduktiv, sie senken die Restwerte, verteuern Leasingraten und destabilisieren den Markt. Über 50 Prozent der E-Fahrzeuge werden geleast, stabile Wiederverkaufswerte sind daher essenziell.

Positive, technologieoffene Grundhaltung

Die internationalen Kraftfahrzeughersteller stehen zur bezahlbaren und klimaneutralen Mobilität und den Klimazielen der Europäischen Union bis 2045 – mit dem Fokus auf Elektromobilität. Für die Vertrauensbildung bei den potenziellen E-Auto-Kunden ist eine positive öffentliche Grundhaltung aller Meinungsbildner, insbesondere der Politik, zur Elektromobilität von zentraler Bedeutung.

Um in Zukunft die europäischen und nationalen Klimaziele bei gleichzeitiger Technologieoffenheit zu erreichen, sollten wir aber auch weiterhin offen sein für alternative Antriebsarten und klimaneutrale Kraftstoffe. Sie können für die Reduzierung der CO2-Emissionen des Fahrzeugbestands ebenfalls einen Beitrag leisten. Verkäufe von Plug-in-Hybriden wachsen aktuell um mehr als 100 Prozent und tragen mit einer elektrischen Reichweite von oft mehr als 80 Kilometer zur CO2-Reduktion im Alltag vieler Nutzer bei.

Gesamtpaket mit sechs Bausteinen

Schließlich dürfen wir das große Ganze für die Zukunft der Automobilwirtschaft in Deutschland nicht aus dem Blick verlieren, das Gesamtpaket für bezahlbare und klimaneutrale Mobilität mit seinen sechs Bausteinen: bezahlbare und klimaneutrale Mobilität, offener und fairer Wettbewerb, Digitalisierung und Vernetzung sowie Nachhaltigkeit und Standortattraktivität. Denn Mobilität muss bezahlbar bleiben. Das gilt für die Anschaffung und auch für die Betriebs- und Servicekosten der Fahrzeuge. Individuelle Mobilität muss außerdem klimaneutral sein, und zwar technologieoffen, mit einer Fokussierung auf Elektromobilität.

Dafür brauchen wir offenen und fairen Wettbewerb im internationalen Handel, denn dies ist die Voraussetzung für Innovation und Wirtschaftswachstum. Sonderzölle und Handelskonflikte verteuern die individuelle Mobilität und bremsen die Wende zur Elektromobilität.

Die Mobilität der Zukunft braucht außerdem die Digitalisierung im Verkehr und vernetztes, automatisiertes Fahren, Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft in der Fahrzeugproduktion. Und nicht zuletzt braucht die klimaneutrale individuelle Mobilität einen attraktiven Standort Deutschland. Denn nur in einem förderlichen wirtschaftlichen Umfeld ist die Klimawende im Verkehr erreichbar.

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