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Standpunkte Das Elektroauto-Paradox im Golden State

Gereon Meyer
Gereon Meyer, Abteilungsleiter Europäische und Internationale Geschäftsentwicklung beim VDI/VDE Innovation Foto: promo

In Europa ebbt die Debatte um das „Verbrennerverbot“ langsam ab – doch in den USA droht nun ein Rückschritt: Ausgerechnet Kalifornien, einst Vorreiter der Umweltpolitik, wird Ziel politischer Angriffe. Donald Trumps Rückkehr ins Weiße Haus bringt das Ende der E-Auto-Förderung – und eröffnet eine neue Front im globalen Mobilitätswettlauf.

von Gereon Meyer, VDI/VDE innnovation + Technik GmbH

veröffentlicht am 02.06.2025

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Während sich in Deutschland und Europa das wahlkampfbedingte Getöse rund ums sogenannte „Verbrennerverbot“ allmählich legt, zuletzt durch die im Mai getroffene Entscheidung des EU-Parlaments, den Autoherstellern nach 2035 zwei Jahre mehr Zeit für Einhaltung der CO2-Flottengrenzwerte von dann null Gramm pro Kilometer einzuräumen, braut sich auf der anderen Seite des Atlantiks ein neuer Sturm zusammen. Und zwar ausgerechnet dort, wo sonst unter Sonnenschein High Tech und Umweltschutz friedlich Hand in Hand gehen: in Kalifornien. Dort steht das ambitionierte Ziel einer emissionsfreien Mobilität zur Disposition – und das mit einem politischen Plot-Twist, den wohl selbst Netflix kaum besser inszenieren könnte.

Trump gegen die grüne Autorevolution

Kaum erneut im Amt, unterzeichnete US-Präsident Donald Trump gleich am Tag seiner Inauguration im Januar eine Executive Order, mit der sämtliche bundesstaatlichen Regulierungen und Förderungen für Elektrofahrzeuge kassiert werden sollten. Die Begründung: Man wolle die „Wahlfreiheit der Verbraucher beim Auto wiederherstellen“. Insider vermuten darin weniger ideologischen Eifer als vielmehr das Einlösen eines handfesten Versprechens aus dem Wahlkampf. Gegen großzügige Spenden aus der Öl- und Gasbranche, kolportiert wird eine Summe von einer Milliarde Dollar, durfte man offenbar Wunschlisten einreichen, und da sollte wohl schnell ein Haken dran.

Was folgte, war konsequent: Ende April votierte das Repräsentantenhaus des US-Kongresses dafür, drei Sondergenehmigungen der Biden-Regierung zu streichen. Diese hatten Kalifornien erlaubt, eigene Regelungen für die Einführung emissionsfreier Pkw und Lkw zu erlassen – darunter das „Electric Car Mandate“, das den Anteil von Zero Emission Vehicles (ZEV) ab 2026 schrittweise auf 100 Prozent bis 2035 erhöhen sollte. De facto das amerikanische Pendant zum EU-Ziel, ab 2035 nur noch emissionsfreie Neufahrzeuge zuzulassen.

Ein echtes „Verbrennerverbot“ ist dabei keine der beiden Regulierungen: In der EU werden Fahrzeuge mit E-Fuels ausgenommen, in Kalifornien bleibt ein Anteil an Plug-in-Hybriden erlaubt. Und auch Bestandsfahrzeuge dürfen in beiden Fällen weiter gefahren, verkauft und umgemeldet werden. In der vergangenen Woche gab nun auch der US-Senat grünes Licht. Die Unterschrift des Präsidenten steht noch aus, dürfte aber eine Formsache sein.

Kaliforniens Umweltrolle – einst Vorbild, jetzt bedroht

Dieses Geschehen markiert eine echte Zäsur. Und das ist bedauerlich. Seit den 1960er Jahren spielt Kalifornien eine Vorreiterrolle im Umweltschutz, sowohl in Amerika als auch weltweit: Wegen der massiven Smogprobleme und damit verbundenen Gefahren für die Gesundheit, vor allem im Großraum Los Angeles, erhielt der Bundesstaat von der Umweltschutzbehörde Epa das Privileg, strengere Abgasnormen festzulegen als der Rest der USA. Viele Bundesstaaten übernahmen diese Standards, de facto setzte Kalifornien also oft die nationalen Maßstäbe. Seit 2009 gilt nicht nur bei der Vermeidung von Luftschadstoffen, sondern auch bei der Reduzierung von klimaschädlichen Treibhausgasen.

Mit dem California Air Resources Board (CARB) wurde zudem eine Umweltbehörde geschaffen, die inzwischen seit fast 60 Jahren über die Einhaltung der Luftqualitätsstandards wacht – und mitunter weit über Kalifornien hinaus Einfluss nimmt. So war CARB maßgeblich an der Aufdeckung des Diesel-Abgasskandals beteiligt.

Angesichts dieser geradezu legendären Rolle fiel die Reaktion aus Sacramento erwartungsgemäß deutlich aus: Gouverneur Gavin Newsom wirft der Trump-Administration vor, Amerika „smoggy again“ machen zu wollen – und damit Bemühungen um eine umweltfreundlichere Mobilität seit der Zeit von Richard Nixon und Ronald Reagen zunichte zu machen und gleichzeitig die wirtschaftliche Zukunft der Branche an China zu verspielen. Zudem sei das Vorgehen des Kongresses verfassungswidrig, Kalifornien werde dagegen klagen. Unterstützung kommt von der University of California in Davis, deren renommierte Mobilitätsexperten betonen, das Electric Car Mandate schränke die Wahlfreiheit gar nicht ein, sondern biete im Gegenteil mehr Optionen.

Das Schweigen des „Tech Bros“

Erstaunlich leise bleibt dagegen jemand, der vom kalifornischen ZEV-Regime wie kein Zweiter profitiert hat: Tesla-CEO Elon Musk, Trumps „Tech Bro“. Der Aufstieg seines Unternehmens zum weltweit führenden Elektroautohersteller begann im Silicon Valley, gefördert durch ein politisches Umfeld, das Innovation, Nachhaltigkeit und Gründungsgeist belohnte. Tesla erfüllte nicht nur locker die ZEV-Vorgaben, sondern verdiente jahrelang mit dem Verkauf von Emissionszertifikaten an Mitbewerber.

Warum also das Schweigen? Vermutlich, weil Tesla im Gegensatz zu vielen Wettbewerbern inzwischen ohne staatliche Förderung auskommt. Vielleicht auch, weil Musk die jüngsten Absatzschwächen beunruhigen. Elektromobilität ist längst kein Alleinstellungsmerkmal mehr – wer gegen chinesische Hersteller bestehen will, muss anderes bieten: autonomes Fahren, Robotik, softwaredefinierte Features, KI, Datenintelligenz.

Die Aufmerksamkeit verschiebt sich – weg von Kilowattstunden, hin zu Codezeilen und Chip-Performance. Und kurz vor dem für Juni angekündigten Launch der Robotaxi-Funktion hat Tesla genau da Ärger mit der Bundesverkehrsbehörde NHTSA. Ein wenig diplomatisches Schweigen kann taktisch klug sein.

Software schlägt Antrieb

Angesichts all dieser Querelen könnte man in Europa beruhigt die Hände in den Schoß legen. Schließlich sind unsere Produkte auf dem kalifornischen Markt traditionell beliebt. Vielleicht zieht die Elektromobilität ja doch noch vorbei, und das Zoll-Gewitter gleich mit? Schön wär’s – ist aber Augenwischerei.

Nicht nur zwischen Sacramento und Washington D.C. liegt noch einiges im Argen. Auch steht der eigentliche Showdown noch bevor – nicht zwischen Verbrenner und Batterie, sondern zwischen Software, KI, Big Data und sicherer, effizienter wie kostengünstiger Gesamtintegration. Und genau hier setzen Hersteller aus China Maßstäbe – mit softwaredefinierten Fahrzeugen, autonomen Funktionen und einem Preis-Leistungs-Verhältnis, das die Erwartungen des Marktes in Europa wie in den USA nachhaltig verschiebt.

Was also tun? Vielleicht sollten wir das beherzigen, was Mario Draghi Europa kürzlich ins Stammbuch geschrieben hat: Wer am Weltmarkt bestehen will, muss entschlossen, gesamtsystemisch und innovativ agieren – digital wie nachhaltig. Nicht der Antrieb entscheidet, sondern das Mindset: Effizienz, Intelligenz, Nutzwert und Begeisterung. Und das lässt sich nur gemeinsam entwickeln – im Ökosystem, agil und flexibel über Unternehmensgrenzen hinweg, so wie es in der IT- und Softwarebranche Usus ist. Kalifornien hat das längst kapiert und wird sich diesen Vorsprung ganz sicher nicht nehmen lassen.

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