Es ist eine Frage der Haltung: Die Idee, Schwarzfahren nicht mehr zu bestrafen, ist respektlos gegenüber der Leistung und Arbeit unserer Beschäftigten. In Zeiten, in denen wir jede helfende Hand auf dem Arbeitsmarkt suchen und versuchen zu binden, ist dies nicht akzeptabel. Doch es gibt noch einen weiteren wichtigen Aspekt: Geht man allein von durchschnittlichen Fahrpreisen von 2,50 Euro für die Kurzstrecke beziehungsweise mindestens 3,20 Euro für die Einzelfahrt in deutschen Städten aus, summieren sich die Einnahmeausfälle durch Schwarzfahren bundesweit auf 750 Millionen bis rund eine Milliarde Euro. Das ist eine enorme Summe, die dem ÖPNV in ohnehin prekären Zeiten für Personal, Fahrzeuge, Infrastruktur und Sicherheit fehlt.
Überlastung der Justiz – wegen Leistungserschleichung?
Es gibt im Land eine Stimmung, die ihre Gründe hat: Es gibt relevante Bevölkerungsgruppen, die sich wieder verstärkt ein Einhalten von Regeln wünschen – und eine stärkere Durchsetzung von Sicherheit und Sauberkeit im öffentlichen Raum. So scheint es, dass die Bevölkerung an der bestehenden Schwarzfahren-Regelung festhalten will, während Bund und manches Land aus technischen Gründen Änderungen herbeiführen wollen.
Zwei wesentliche Argumente werden von den Befürwortern und Befürworterinnen der sogenannten „Entkriminalisierung“ des Fahrens ohne gültigen Fahrausweis im ÖPNV häufig angeführt: Erstens die Überlastung der Justiz. Zweitens die Sinnlosigkeit einer Strafanzeige bei Menschen, die sich den regulären Fahrpreis nicht leisten können. Beide Argumente greifen nicht.
Mangelnden Kapazitäten in der Justiz mit der Abschaffung von Gesetzen begegnen zu wollen, erscheint wenig sinnvoll. Es mag trotz diverser Sozialtickets und anderer Vergünstigungen immer noch Menschen geben, die sich ein ÖPNV-Ticket nicht leisten können. Die Antwort darauf muss aber eine sozialstaatliche sein. Sonst müsste man auch den Ladendiebstahl von Grundnahrungsmitteln legalisieren. Für alle ehrlichen Fahrgäste ist es jedenfalls ein falsches Signal, wenn diejenigen, die sich unsolidarisch verhalten, indem sie kein Ticket kaufen, künftig kaum noch Konsequenzen zu befürchten haben.
Beschäftigte erheblich von Gewalt betroffen
Die Studie „Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Personenverkehr“ des Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung (FÖV) belegt, dass Beschäftigte im ÖPV stark von gewalttätigen Übergriffen betroffen sind. Die befragten Unternehmen meldeten pro Jahr 123 Fälle auf 1000 Beschäftigte. 41 Prozent der Befragten wurden mindestens einmal im Jahr Opfer von Gewalt. Die Gewaltbetroffenheit ist deutlich höher als bei Beschäftigten im öffentlichen Dienst, wo rund jede beziehungsweise jeder Vierte (23 Prozent) Gewalt erlebte.
Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, dass das Thema „Schutz der Beschäftigten vor gewalttätigen Übergriffen“ für Beschäftigte im Verkehrsbereich von großer Wichtigkeit ist. 95 Prozent der Befragten halten den Schutz der Beschäftigten für wichtig oder sehr wichtig. Die Gefahr, beleidigt, angefeindet oder körperlich angegriffen zu werden, ist für Beschäftigte im Verkehrsbereich sehr präsent.
Die von den Beschäftigten wahrgenommene Wichtigkeit auf den höheren Hierarchiestufen ist hingegen deutlich geringer und nimmt mit jeder Stufe ab. Die vom grünen Tisch her angestrebte Herabstufung des Schwarzfahrens zur Ordnungswidrigkeit sendet daher das völlig falsche Signal und gefährdet die Sicherheit der Beschäftigten zusätzlich.
Der öffentliche Nahverkehr benötigt jede helfende Hand. Eine VDV-Branchenumfrage zeigt, dass Unternehmen ihre Mitarbeitendenzahl bis 2030 um rund 21 Prozent erhöhen müssen, um den politisch geforderten Wachstumszielen der Verkehrswende gerecht zu werden.
Zusätzlich kommen die Folgen des demografischen Wandels hinzu: Die Branche rechnet damit, dass bis 2030 jährlich etwa 4000 bis 6000 Fachkräfte in den Ruhestand wechseln. Ein Beispiel: Schon jetzt fehlen rund 20.000 Busfahrerinnen und -fahrer im ÖPNV.
Entkrimininalisierung oder negative Signalwirkung
Es gibt diejenigen, die die Leistungserschleichung – heute Straftatbestand – in eine Ordnungswidrigkeit umwandeln wollen. Das Bundesjustizministerium hatte beispielsweise ein Eckpunktepapier zur Modernisierung des Strafgesetzbuchs vorgelegt, nach dem unter anderem die Strafbarkeit der Leistungserschleichung gemäß Paragraf 265a Strafgesetzbuch (StGB) in eine Ordnungswidrigkeit umgewandelt werden soll. Das Thema ist somit nicht nur hoch kontrovers, sondern auch hochaktuell.
Ein zentrales Argument in der Diskussion ist, dass die Strafverfolgung bei der Beförderungserschleichung hohe Kosten verursache und die Justiz mit Arbeit belaste. Es erscheint fraglich, ob die Verfolgungskosten das richtige Beurteilungskriterium für strafrechtliche Sanktionierung sein sollen. Ein weiteres Argument besagt, der Unrechtsgehalt der Tat sei so gering, dass es nicht angemessen sei, die bloße Beförderungserschleichung unter Strafe zu stellen. Im Ergebnis ist jedoch das Ziel des Täters bei § 265a StGB das gleiche wie bei einem Diebstahl, einem Betrug oder einer Unterschlagung: die Bereicherung zu Lasten eines Dritten.
Das Hauptargument gegen eine Entkriminalisierung ist die negative Signalwirkung. Eine Herabstufung von einer Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit wird in der Öffentlichkeit so verstanden, dass das Fahren ohne gültigen Fahrausweis nunmehr als „Kavaliersdelikt“ angesehen wird. Zudem stellt eine solche Umstufung eine systemfremde Regelung dar, da Ordnungswidrigkeiten klassischerweise Verwaltungsunrecht ahnden.
Die Tendenz, dass die Anständigen die Dummen sind und die Unsoliden mitfinanzieren, ist nicht gut. Dies macht etwas mit unserer Gesellschaft und unseren Beschäftigten im ÖPNV. Die Kontrolle ist heute schon schwierig. Mit einer vorgetäuschten Liberalität (oder noch schlimmer: wegen einer angeblich notwendigen Entlastung der Justiz) wird diese Arbeit noch schwieriger.
Kein Phänomen der finanziell Schwachen
Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass Entkriminalisierung keine Sozialpolitik ist. Schwarzfahren ist kein Phänomen der finanziell Schwachen. Im Regelsatz des Bürgergeldes sind knapp neun Prozent, also rund 44 Euro im Monat, für Mobilität vorgesehen, was in etwa dem aktuellen Preis des Deutschlandtickets entspricht. Fahren ohne gültigen Fahrschein ist und bleibt unsozial.
Der Entwurf der Strafrechtskommission für ein Allgemeines Deutsches Strafgesetzbuch von 1927 hatte eine Modernisierung zum Ziel. Ein Aspekt war die Behandlung der „Erschleichung freien Zutritts”, insbesondere das Schwarzfahren, als strafbare Handlung. Es wurde klargestellt, dass Schwarzfahren, also die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ohne gültiges Ticket, mit Geldstrafen oder in schwerwiegenderen Fällen mit Freiheitsstrafen geahndet wird. Dies zeigt, dass die Strafvorschrift keine Erfindung der Nazis war, sondern daraus folgte, dass die Fahrzeuge größer wurden und der Einsatz von Schaffnern zu teuer.
Die Herabstufung des Schwarzfahrens zur Ordnungswidrigkeit würde nicht nur die Sicherheit der Beschäftigten im öffentlichen Personennahverkehr gefährden, sondern auch erhebliche finanzielle Konsequenzen nach sich ziehen. In Zeiten des Arbeitskräftemangels, in denen Übergriffe auf das Personal zunehmen, wäre dieser Schritt ein fatales Signal.
Aktuell geht dem System durch Schwarzfahren bis zu einer Milliarde Euro verloren, was die prekäre Finanzlage des ÖPNV weiter verschärft. Jeder Euro zählt und die Verkehrsunternehmen benötigen langfristige Planungssicherheit, um ihre Angebote zu erhalten und auszubauen. Der Schutz unserer Fachkräfte und die Sicherstellung einer nachhaltigen Mobilität in Deutschland müssen oberste Priorität haben. Die Leistungserschleichung muss Straftatbestand bleiben.