Eigentlich kann niemand etwas gegen die Mobilitätswende in Städten haben, so offensichtlich wären die positiven Folgen, wenn wir das jahrzehntealte Paradigma der autogerechten Stadt hinter uns ließen: weniger Abgase und Lärm (mehr Gesundheit), bessere Infrastruktur für den Fuß- und Radverkehr (mehr Sicherheit), mehr radelnde und zu Fuß gehende Menschen (noch mehr Gesundheit), die womöglich sogar mehr Geld im lokalen Handel ausgeben (Kaufkraft), einen besseren und bezahlbaren ÖPNV (soziale Gerechtigkeit und Teilhabe), mehr öffentliche Begegnungsräume (gesellschaftlicher Zusammenhalt). Obendrauf sogar: weniger CO2-Emissionen (mehr Klimaschutz, gerade im Verkehrssektor dringend benötigt).
Die Co-Benefits, von denen die Klimaschutz-Community so gerne redet, um den gesellschaftlichen Nutzen der Transformation zu unterstreichen, liegen beim Thema Mobilität buchstäblich auf der Straße. Anders als auf dem Land, wo die Abhängigkeit vom Auto vielfach größer ist und alternative Angebote – sofern überhaupt vorhanden – um Dimensionen unattraktiver sind, kann die Erzählung der städtischen Mobilitätswende durchaus stimmig sein: Am Ende gewinnen alle.
Neue städtische Mobilität kein Selbstläufer
Allein: Es funktioniert nicht. Die neue städtische Mobilität ist kein Selbstläufer, sie erzeugt Konflikte am laufenden Band. Die notwendige Umverteilung von urbaner Fläche wird mitunter sogar zum „Kulturkampf um das Auto“ stilisiert, vor Ort wird um jede öffentliche Pkw-Stellfläche gerungen, Straßensperrungen werden zu Wahlkampfthemen, emotional und vielfach faktenbefreit.
Allein diese Konfliktträchtigkeit dürfte viele derjenigen, die dem Wandel offen gegenüberstehen, davon abhalten, sich mit Verve für die Verkehrswende in ihrer Stadt einzusetzen, aus Angst vor wutschnaubender Widerrede, aber auch in Sorge um den Strudel aus Bedenkenträgerei, in den vor Ort auch Pragmatiker*innen schnell geraten, wenn es darum geht, den Status quo des Verkehrs auch nur anzurühren.
Angebotene Rezepte sind hochgradig erklärungsbedürftig
Warum also gelingt es nicht, das positive Bild einer neuen, nachhaltigen städtischen Mobilität in die Breite der Bevölkerung zu tragen? Ein Grund: Die angebotenen Konzepte und Instrumente sind (für Laien) hochgradig erklärungsbedürftig. Vergleichsweise einfach mag das noch bei der „autofreien Innenstadt“ oder der „City-Maut“ funktionieren, gleichzeitig kommen diese Begriffe mit einem Absolutheitsanspruch daher, der die Schranken im Kopf schlagartig herunter gehen lässt.
Wer hingegen versucht, seinem Nachbarn die Vorzüge von „Parkraummanagement“, „Pop-up Infrastruktur“ oder „Reallaboren für Verkehrswende“ näher zu bringen, scheitert in vielen Fällen. Auch das Reden über „gesunde Städte“ oder die „15-Minuten-Stadt“ erfordert ein hohes Maß an Abstraktion und systemischem Denken. Viele, die sich zuvor nicht intensiv mit dem Organismus Stadt auseinandergesetzt haben, ziehen im Zweifelsfall die gedankliche Handbremse.
Wie man sich in Sachen Mobilität ins Gespräch bringt, bewies in diesen Tagen ausgerechnet die FDP, selbstverständlich mit dem Ziel, die Innenstädte „wieder mehr für Autofahrer zu öffnen“ (Zitat „Spiegel“). Sie kaperte das Konzept der „Brötchentaste“, eines Kurzzeit-Tickets am Parkautomaten. Weil das schon vorher an anderer Stelle erfunden war, ergänzte man die Forderung um eine Aufweichung des eingeschränkten Halteverbots (was in Realität eher einer nachträglichen Legalisierung bereits kulturgewordenen Falschparkens gleichkäme). „Bild online“ titelte „Riesen-Geschenk für alle Auto-Fahrer“, die sozialen Medien schäumten.
So weit, so erwartbar. Man mag eine solche Forderung populistisch nennen, sie ist mit Blick auf den einzelnen Begriff, die Brötchentaste, aber raffiniert. Der Rahmen ist gesetzt: Brötchen, absolute Sympathieträger. Bäckerei, Sonntag, Ausschlafen, heißer Kaffee, Frühstück, Familie. Das komplette Rama-Werbeversprechen der 1980er-Jahre. Und das ohne Aufwand auf Knopf- beziehungsweise Tastendruck zu haben, am Automaten, womöglich kostenfrei. Diese Episode zeigt, wenn auch mit fraglicher Zielrichtung: Das richtige Framing nimmt viel Kommunikationsarbeit ab.
Fachcommunity zum Klimaschutz wächst
Was es also für die Mobilitätswende braucht, sind Ansätze, die ebenso schnell, breitenwirksam, niedrigschwellig, selbsterklärend und damit effektiv über die Verkehrswende kommunizieren. Denn nur auf diese Weise gelingt es, das Thema in einer gesellschaftlichen Breite zu verankern, was am Ende notwendig ist, um Mehrheiten für die drängenden Veränderungen im Verkehrssektor zu schaffen.
Die gute Nachricht: Wir wissen bereits sehr viel. Die Kommunikation über Klimawandel und Klimaschutz steht seit Jahren im Fokus einer wachsenden Fachcommunity. Die schiere Größe der Bedrohung einerseits und die immense Transformationsaufgabe andererseits stellt die Kommunikation in Sachen Klima vor die Herausforderung, die richtigen Stories zu den richtigen Zielgruppen zu bringen. Mit dem Handbuch der Klimakommunikation hat das Portal klimafakten.de gemeinsam mit dem Journalisten Christoph Schrader ein umfassendes Kompendium zu diesem Komplex vorgelegt.
Credo: vom Wissen ins Handeln kommen. Es enthält wissenschaftlich fundierte, aber praktisch aufgearbeitete Hilfen für all diejenigen, die in dem Komplex zielgerichtet und konstruktiv kommunizieren wollen. Auf diesem Wissen aufbauend hat die Organisation Climate Outreach im Rahmen des Projekts „Übers Klima reden“ ein differenziertes Gerüst für die Ansprache von Menschen unterschiedlicher Wertvorstellungen erarbeitet, sei es in Sprache oder mit Bildern. Zitat: „Eine wertebasierte Kommunikation, die an dem ansetzt, was der Zielgruppe wichtig ist, schafft es im Idealfall, dass sich die Zielgruppe in ihrer Lebensrealität wertgeschätzt, ernst genommen und verstanden fühlt.“
„Straßen befreien“
Die These, dass es beim Thema Mobilitätswende konkrete Vorstellungen über den Wandel braucht, war Ausgangspunkt einer Allianz um die Berliner Initiative „Paper Planes“ und Wissenschaftler*innen des WZB und der TU Berlin: „Straßen befreien“. Im Infinitiv gelesen kommt die Überschrift weitaus weniger kämpferisch daher als die Reflexe kulturkampf(t)witternder Zeitgenoss*innen. Und darum geht es auch: Entlang der oben genannten Dimensionen einer besseren Stadt sind beeindruckende Bilder, zugängliche Narrative und konkrete Stories über eine nachhaltige und autoarme Stadtentwicklung entstanden.
Nur wie sieht all das konkret im städtischen Alltag und dem Klein-Klein politischer Aushandlungen im lokalen Maßstab aus? Es geht darum, das existierende Wissen dorthin zu transportieren, wo es gebraucht und auf die jeweiligen ganz konkreten (Gesprächs-)Situationen und Kommunikationsanlässe heruntergebrochen wird. Klimaschutz- und Mobilitätsmanager*innen vor Ort spielen dabei eine wichtige Rolle, sie sind diejenigen, die Akteure zusammenbringen und um das Geflecht partikularer Interessen wissen.
Hat die Verkehrswende vor Ort also nur ein Marketing-Problem? Nein, auch die pfiffigsten Slogans werden den Kern des Konflikts nicht auflösen können: Veränderung bedeutet, sich von mitunter liebgewonnen Gewohnheiten zu verabschieden. Diese Ehrlichkeit braucht es in den Debatten, auch vor Ort. Ehrlichkeit ist aber auch das, was zwischen Menschen – und bei Entscheidungsträger*innen – geschätzt wird, auch wenn das Gesagte nicht dem eigenen Wunsch entspricht.