Als Stadträtin für den öffentlichen Raum in Berlin-Mitte ist mir die Mobilitätswende ein wichtiges Anliegen. Ein wichtiger Baustein bei deren Umsetzung ist die Einführung von sicheren Schulzonen. Das sind autofreie Bereiche direkt vor Schulen, mit denen wir die Schulwegsicherheit stärken und es Kindern erleichtern wollen, den Schulweg (zumindest teilweise) eigenständig zu bewältigen. Außerdem verschönern wir dabei den öffentlichen Raum direkt vor den Schulen und wandeln bisherige Transitzonen in Orte für Begegnung und Spiel um.
Im September 2023 haben wir die erste permanente Schulzone Berlins in der Singerstraße umgesetzt. Auf der einen Seite dieser Schulzone befinden sich eine Grundschule und ein Gymnasium, auf der anderen Seite eine Plansche, ein Spiel- und Sportplatz sowie die Rückseite eines Wohngebäudes. In der Vergangenheit hatte die Elternschaft immer wieder auf Probleme mit der Schulwegsicherheit hingewiesen, insbesondere aufgrund der direkt vor den Schulen haltenden Elterntaxis.
Schulzone – mehr Sicherheit für Schülerinnen und Schüler
Aufgrund dieser Probleme haben
wir den Bereich vor der Schule in eine Schulzone umgewidmet, die dem Fuß- und
Radverkehr vorbehalten ist. Die unsichere Verkehrssituation durch die sich vor
der Schule ballenden Elterntaxis und auch durch sonstige hindurchfahrende Kfz
konnten wir dadurch enorm entschärfen. Die Kinder und Jugendlichen beteiligen
sich derzeit zu der Frage, wie dieser neu gewonnene öffentliche Raum nun
gestaltet werden soll.
Schulzonen leisten einen
wichtigen Beitrag für die Schulwegsicherheit. Und sie können auf einer juristischen
Grundlage eingerichtet werden, die die öffentliche Verwaltung bislang eher selten
nutzt, die aber viel Spielraum für die Umsetzung der Mobilitätswende bietet – nämlich
auf Grundlage des Straßenrechts (im Gegensatz zum Straßenverkehrsrecht, dazu
später mehr):
Die Umwidmung des Bereichs der Schulzone Singerstraße stützt sich auf das Berliner Straßengesetz. Dieses besagt in seinem § 4, dass die Teileinziehung (das heißt die Umwidmung) einer Straße zulässig ist, wenn nachträglich Beschränkungen auf bestimmte Benutzungsarten aus überwiegenden Gründen des öffentlichen Wohls festgelegt werden sollen. Die Straßengesetze der anderen Bundesländer enthalten im Wesentlichen vergleichbare Regelungen.
Spielräume im Straßengesetz
Gründe des öffentlichen Wohls,
die für die Einrichtung einer Schulzone sprechen, sind beispielsweise die
Verkehrsberuhigung und Verkehrssicherheit, die Erhöhung der Aufenthaltsqualität
des Straßenraums sowie die deutlich verbesserte Luft- und Lärmsituation. Wenn keine
öffentlichen oder privaten Gründe der Umwidmung entgegenstehen, überwiegen in der
Gesamtabwägung die Vorteile und eine Straße kann umgewidmet werden.
Das Verfahren ist wie folgt
geregelt: Die Absicht der Umwidmung muss mindestens einen Monat vorher im Amtsblatt
von Berlin angekündigt werden, um (formlose) Einwendungen von jedermann zu
ermöglichen. Anschließend wird die Umwidmung selbst ebenfalls im Amtsblatt
veröffentlicht, gegebenenfalls (so wie bei uns in der Singerstraße) mitsamt
Anordnung der sofortigen Vollziehung.
Wie gegen jeden Akt der öffentlichen Verwaltung stehen auch gegen Umwidmungen Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung. Im Fall der Schulzone Singerstraße hat sich die Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) des am umgewidmeten Teil der Straße liegenden Gebäudes per Widerspruch sowie verwaltungsgerichtlichem Eilantrag gegen die Umwidmung gewandt.
Das Verwaltungsgericht Berlin hat diesen Eilantrag mit Beschluss vom 10. Januar 2024 (VG 1 L 408/23) abgelehnt, weil die WEG nicht antragsbefugt war: Sie konnte sich nicht auf den (geringfügigen) Wegfall von Parkmöglichkeiten berufen, da kein Anspruch auf Parkplätze im öffentlichen Raum besteht. Da ihr Gebäude von der anderen Seite aus erschlossen wird, war auch unerheblich, dass die Rückseite des Gebäudes an der Schulzone liegt.
Vorbeugende Verkehrspolitik möglich
Der Beschluss des
Verwaltungsgerichts Berlin zur Schulzone Singerstraße stellt einen wichtigen
juristischen Erfolg dar: nicht nur für den Bezirk Berlin-Mitte, sondern auch für
das Thema Schulwegsicherheit als Ganzes. Er zeigt exemplarisch auf, wie gut
sich das Straßenrecht für die Mobilitätswende nutzen lässt.
Beim Straßenrecht geht es generell
gesagt um das „Ob“ der Straßennutzung – ob also zum Beispiel im Rahmen der
Widmung einer Straße alle Verkehrsarten (insbesondere Fuß-, Rad- und Kfz-Verkehr) die Straße
nutzen dürfen oder nur manche (zum Beispiel nur Fuß- und Radverkehr). Das
Straßenverkehrsrecht mit der Straßenverkehrs-Ordnung hingegen regelt das „Wie“
dieser Nutzung – zum Beispiel, welche Höchstgeschwindigkeit für die dort
zulässigen Verkehrsarten gilt.
Beim Vergleich der Realisierung von
Maßnahmen, die auf das Straßenrecht gestützt sind, fallen im Vergleich mit dem
Straßenverkehrsrecht aus Perspektive der öffentlichen Verwaltung mehrere
Vorteile ins Auge:
Erstens: Tatbestandlich setzt das Straßenrecht bei den überwiegenden Gründen des öffentlichen Wohls an und ist damit im Sinne eines fair verteilten öffentlichen Raums viel weiter gefasst als das Straßenverkehrsrecht. Letzteres fordert zumeist die Darlegung spezieller Gefahrenlagen – überspitzt gesprochen, kann man auf Grundlage der Straßenverkehrs-Ordnung oft erst dann gänzlich rechtssicher handeln, wenn bereits Blut geflossen ist. Eine im Gegensatz dazu vorbeugende Verkehrspolitik ist auf Grundlage des Straßenrechts jedoch relativ problemlos möglich.
Höhere Rechtsklarheit ist gegeben
Zweitens: Zwar ist das Verfahren einer Umwidmung mit der doppelten Amtsblatt-Veröffentlichung aufwändiger als beim Straßenverkehrsrecht, bei dem die straßenverkehrsrechtliche Anordnung mit der Aufstellung des Straßenschildes wirksam wird. Allerdings bedeutet das formelle Verfahren des Straßenrechts eine höhere Rechtsklarheit dank eindeutiger Fristen: Grundsätzlich gilt im Straßenrecht für alle die Monatsfrist für die Widerspruchseinlegung nach Bekanntmachung im Amtsblatt.
Dies ist im Straßenverkehrsrecht anders: Zum
einen gilt dort (mangels Rechtsmittelbelehrung am Verkehrsschild) die Frist von
einem Jahr, um Widerspruch einzulegen. Zum anderen folgt die Rechtsprechung
einer Linie, wonach aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes beim
Straßenverkehrsrecht für den Fristbeginn auf die individuelle Kenntnisnahme-Möglichkeit
des Verkehrsschildes durch den jeweiligen Verkehrsteilnehmenden abzustellen
sei. Im Prinzip kann sich also jede:r Zugezogene noch Jahrzehnte später gegen
straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen wenden. Bestandskraft tritt hier letztlich
nie ein.
Drittens: Die Antrags- beziehungsweise Klagebefugnis
unterscheidet sich im Straßenrecht stark von derjenigen im
Straßenverkehrsrecht. Während im Straßenrecht oftmals nur direkte Anrainer eine
mögliche Rechtsverletzung geltend machen können und somit antragsbefugt sind,
genügt im Straßenverkehrsrecht zumeist der Vortrag, dass man häufiger an dem
Verkehrsschild vorbeifahre und daher von seiner Regelungswirkung betroffen sei,
um eine Antragsbefugnis zu begründen. Der potenzielle Befugtenkreis ist also
beim Straßenverkehrsrecht viel größer als beim Straßenrecht.
Dies alles zeigt: Das Straßenrecht eröffnet wichtige Spielräume für die öffentliche Verwaltung, um die Mobilitätswende umzusetzen. Es bietet die Möglichkeit, Schulzonen wie diejenige in der Singerstraße rechtssicher zu erschaffen und damit zu mehr Verkehrssicherheit für Kinder auf dem Weg zur Schule beizutragen.
Die Autorin referiert zu dem Thema auch heute beim Digitalen Fachgespräch zum Straßen(verkehrs)recht der Deutschen Umwelthilfe.