Der Verkehrsbereich ist der einzige Sektor, in dem die Treibhausgas-Emissionen 2019 exakt auf dem gleichen Niveau lagen wie 1990. Wenn man die Emissionen aus dem internationalen, Deutschland berührenden Flugverkehr hinzuzählt, die in die Berechnungen gar nicht einbezogen werden, oder die Emissionen aus Biokraftstoffen, sind die Gesamtemissionen sogar gestiegen. Die Gründe dafür liegen unter anderem bei den immer größer werdenden Pkw-Modellen und der steigenden Anzahl von Lastwagen auf den Straßen.
Die Politik hat aber auch wenig gegengesteuert. Jahrzehntelang lag ein sehr starker Fokus auf Individualverantwortung, nach dem Motto: mehr Fahrrad fahren, weniger fliegen. Es gab wenig gesetzliche Regulierung. Und wenn, dann vor allem halbherzige und aus der Perspektive sozialer Gerechtigkeit fragwürdige Pull-Maßnahmen wie Kaufprämien für E-Autos et cetera.
Mit der Verabschiedung des Klimaschutzgesetzes, das Emissionsgrenzen für die einzelnen Sektoren und bei einer Überschreitung sanktionierende Sofortprogramme vorsieht, wirkte es auf den ersten Blick so, als würde dieser Praxis ein Riegel vorgeschoben.
Ordnungsrechtliche Maßnahmen fehlen
Schaut man sich jedoch das Sofortprogramm an, zu dessen Vorlage Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) im vergangenen Juli aufgrund der Emissionsüberschreitung im Jahr 2021 verpflichtet war, wird deutlich, dass weiterhin ein Plan und der Wille zur effektiven Reduktion von Emissionen im Verkehr fehlen: Die Ankündigungen – mit Ausnahme der THG-Minderungsquote – erschöpfen sich in vorsichtigen Anreizen zum Umstieg auf klimafreundlichere Mobilität: Förderung effizienter Lkw-Trailer, Ausbauoffensive Rad- und Fußverkehr, Ausbauoffensive ÖPNV, Ausbau digitaler Arbeitsformen, Ausbau Ladeinfrastruktur.
Wir brauchen diese Angebote, keine Frage. Aber gegenüber politisch unbeliebten, aber effektiven ordnungsrechtlichen Maßnahmen (zum Beispiel ein Erstzulassungsstopp für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren) oder Mengensteuerungselementen (zum Beispiel einer Reform des Emissionshandels) weisen sie gravierende Nachteile auf: Der Bau eines Radwegs reduziert noch keine einzige Tonne THG-Emissionen. Die indirekten Reduktionswirkungen sind nicht leicht zu prognostizieren, und Schätzungen klaffen weit auseinander. Dadurch sind die Maßnahmen wenig zielgenau, dafür aber risikoreich. Keine gute Voraussetzung für eine Krisenpolitik.
Außerdem wirken diese Maßnahmen aus dem Sofortprogramm nicht „sofort“: In den nächsten zwei Jahren wird dadurch laut Expert:innen jeweils weniger als eine Megatonne CO2-Äquivalente eingespart. Bis 2030 könnten es zwar 13 Megatonnen CO2-Äquivalente sein – damit hätte Wissing auf den ersten Blick seine Aufgabe sogar übererfüllt, weil der Verkehrssektor im Jahr 2021 sein Jahresziel von 145 Megatonnen CO2-Äquivalente um „nur“ rund drei Megatonnen CO2-Äquivalente überschritten hat.
Wenn man aber den Blick schon bis auf den Zeitraum bis 2030 weitet, sollte man auch berücksichtigen, was im Projektionsbericht 2021 steht, der die THG-Entwicklung aufgrund der Politik – die sich im Verkehrsbereich seit dem Regierungswechsel kaum verändert hat – prognostiziert: „Das Klimaschutzziel in Höhe von 85 Megatonnen im Jahr 2030 [für den Verkehrsbereich] wird um 41,4 Megatonnen CO2-Äquivalente verfehlt. In den Jahren 2025-2029 liegt die Abweichung vom Sektorziel des Klimaschutzgesetzes bei durchschnittlich rund 32 Megatonnen CO2-Äquivalente.“
Was ein echtes Sofortprogramm braucht
Das ist also der Kurs, auf dem wir uns befinden: Eine Überschreitung der Emissionsgrenzen um fast 50 Prozent im Jahr 2030. Dazu kommen noch prognostizierte rund 33 Megatonnen CO2-Äquivalente – pro Jahr wohlgemerkt – aus dem internationalen Luftverkehr. Dessen Emissionen werden bisher im Sektorziel des Klimaschutzgesetz – das eigentlich wie auch das „1,5-Grad-Ziel“ weniger als „Ziel“, denn als „Grenze“ bezeichnet werden sollte – nicht mitgezählt.
Damit erscheinen die 13 Megatonnen CO2-Äquivalente, die ab jetzt bis 2030 durch das Sofortprogramm eingespart werden sollen, plötzlich in einem anderen Licht. Und nur zur Erinnerung: Der Emissionsreduktionspfad, der durch die sogenannten Sektorziele des Gesetzes vorgegeben wird, ist nicht 1,5-Grad-konform. Er entspricht einem deutschen Beitrag zur Erderwärmung von 1,8 Grad.
Ein echtes Sofortprogramm sollte daher
einen Erstzulassungsstopp für Pkw mit Verbrennungsmotoren ab 2025 und für Lkw ab
2030 vorsehen. Ebenso wäre eine Reform des Brennstoffemissionshandels
notwendig, bei der die Zertifikatemenge gedeckelt und anhand des Treibhausgas-Restbudgets
für 1,5 Grad ausgerichtet wird. Würden diese Zertifikate bis 2035 schrittweise
aus dem Verkehr gezogen, könnten damit zuverlässig fast alle direkten
Emissionen des Straßenverkehrs eliminiert werden.
Wünschenswerter Nebeneffekt: Verlagerung des Verkehrs
Ein wünschenswerter Nebeneffekt der damit einhergehenden Preissteigerungen fossiler Mobilität wäre auch eine Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf Busse, Fahrräder oder die Schiene. Und damit verbunden eine Steigerung der Lebensqualität, vor allem in Städten. (Nur) diejenigen Menschen, die über ein geringes Einkommen verfügen und über keine gute ÖPNV-Anbindung verfügen, könnten durch eine einmalige E-Mobilitätsprämie bei der Anschaffung eines E-Bikes oder E-Autos unterstützt werden. Es bleibt zu hoffen, dass diesbezüglich bis zum Herbst noch Nachbesserungen am Sofortprogramm aus dem Verkehrsministerium kommen.
Ohne Nachbesserungen besteht die Gefahr, dass die Lasten der Emissionsreduktion auf Kosten zukünftiger Generationen immer weiter nach hinten verschoben werden. Dass dies nicht passieren darf, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss zum Klimaschutzgesetz im vergangenen Jahr deutlich gemacht. Falls keine Nachbesserungen erfolgen, braucht es daher eine engere Definition eines „Sofortprogramms“ im Gesetz, die diese Lastenverschiebung verhindert. Denn sonst droht der sehr sinnvolle Kontroll- und Nachsteuerungsmechanismus der „Sofortprogramme“ zu einer Farce zu verkommen. Dann wird aus dem „Sofort“ ein ewiges „Später“.