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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Wo der Einsatz von Robotaxis sinnvoll ist

Gereon Meyer, Leiter der Abteilung Europäische und Internationale Geschäftsentwicklung bei der VDI/VDE Innovation – Technik GmbH in Berlin
Gereon Meyer, Leiter der Abteilung Europäische und Internationale Geschäftsentwicklung bei der VDI/VDE Innovation – Technik GmbH in Berlin Foto: promo

Die Fahrt in einem Robotaxi in den USA beeindruckt. Doch es gibt Widerstände gegen die Technologie. Dabei birgt sie großes Potenzial, insbesondere für ältere und mobilitätseingeschränkte Menschen. Wie die Integration der Dienste dennoch gelingen kann.

von Gereon Meyer

veröffentlicht am 21.07.2023

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„Want a ride?“ lautet die kurze Nachricht, die mir William „Billy“ Riggs nachmittags in San Francisco per WhatsApp aufs Handy schickt. Billy ist Professor an der School of Management der University of San Francisco und untersucht das Verhalten der Nutzer von Robotaxis. Daher kann er auch tagsüber die Fahrzeuge von Cruise in der Stadt buchen.

Wenig später stehe ich gespannt neben ihm an einer Straßenecke in einem belebten Stadtviertel mit viktorianischen Häuschen, kleinen Läden und gemütlichen Cafés. Hier beginnt das Betriebsgebiet der fahrerlosen Taxis von Cruise, das tagsüber auf die Wohnviertel rund um den Golden Gate Park im Westen der Stadt begrenzt ist und nur nachts das gesamte Stadtgebiet umfasst.

Kurze Zeit später rollt „Mandolin“ heran – alle Robotaxis tragen solch putzige Eigennamen, vielleicht weil sie dann weniger technisch wirken. Mandolin ist ein Chevy Bolt, ein Elektrofahrzeug des amerikanischen Fahrzeugherstellers General Motors, zu dem auch Cruise gehört. Auf dem Dach sind fünf Laserscanner und mehrere Kameras montiert. Zusammen mit den Radarsensoren erfasst das Steuerungssystem damit kontinuierlich das Verkehrsgeschehen im 360-Grad-Umfeld des Fahrzeugs. Mandolin hält ordnungsgemäß in zweiter Reihe hinter der Bushaltestelle. Die Tür lässt sich per Smartphone-App öffnen.

„Humans are horrible drivers“

Billy hat als Ziel die holländische Windmühle nahe dem Ocean Beach am Pazifik angegeben. Mandolin wählt die Route entlang der Fulton Street, durch einige Wohnstraßen in Richmond und dann über den John-F-Kennedy Drive, der sich durch den Golden Gate Park zieht. Die Fahrt verläuft zügig, unaufgeregt und vorausschauend. Mandolin hält sich penibel an das Tempolimit von 25 Meilen pro Stunde, bewältigt Bodenschwellen mit Vorsicht und meistert umsichtig die für Europäer ungewohnten „Four-Way-Stops“, Straßenkreuzungen an denen nicht „rechts vor links“, sondern „wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ gilt.

Schon nach kurzer Zeit vergesse ich, dass der Fahrersitz leer ist und das Lenkrad scheinbar von Geisterhand bewegt wird. Es fühlt sich an, als säßen wir in einem Taxi oder einem Uber mit einem ortskundigen und erfahrenen Fahrerund nicht in einem computergesteuerten Fahrzeug der Automatisierungsstufe 4.

Einmal bemerken wir, dass Mandolin trotz grüner Ampel stehenbleibt. Erst einige Momente später wird der Grund klar: Ein Notarztwagen mit Martinshorn rauscht von hinten heran. Mandolin hatte ihn lange vor uns erkannt und lässt ihn passieren. Bei einem Systemausfall würde sich das Flottenmanagement per Mobilfunk melden und gemeinsam mit den Passagieren nach einer Lösung suchen. 

Investitionen in zweistelliger Milliardenhöhe waren nötig, um diesen beeindruckend gut funktionierenden Service aufzubauen. Einige Konkurrenten sind auf der Strecke geblieben. Neben Cruise stehen mit Waymo und Zoox auch Tochterfirmen von Google und Amazon in den Startlöchern. Der Druck, nun Gewinne zu erzielen, ist enorm und bestimmt das Narrativ: Am Tag nach unserer Fahrt startete Cruise eine groß angelegte Werbekampagne mit dem Slogan „Humans are horrible drivers“ und verwies auf eine Studie, die angeblich einen 90-prozentigen Rückgang von Verkehrsunfällen durch Robotaxis belegten soll. Immerhin fahren sie nie zu schnell und sind weder abgelenkt noch betrunken.

Technologie würde auch in Deutschen Städten funktionieren

Was bedeutet das alles für Deutschland? Grundsätzlich würde die neue Technologie sicher auch in deutschen Städten funktionieren. Rechtlich wäre dies ebenfalls möglich. Vor zwei Jahren hat die Bundesregierung ein Gesetz zum autonomen Fahren erlassen, das den Einsatz autonomer Kraftfahrzeuge der Stufe 4 im öffentlichen Straßenverkehr in festgelegten Betriebsbereichen ermöglicht. Die Anwendbarkeit ist zunächst auf bestimmte Szenarien begrenzt, wie zum Beispiel Nachfragedienste in Randzeiten oder die Beförderung von Personen auf der ersten oder letzten Meile. Genau dazu sind Robotaxis da.

In Deutschland erteilt das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) die Betriebserlaubnis für autonom fahrende Fahrzeuge und führt die erforderlichen Prüfungen durch. Es müssen verschiedene Anforderungen erfüllt sein, wie die Ausrüstung und technische Überwachung der Fahrzeuge, die Festlegung des Betriebsgebiets, die Datensicherheit und der Schutz vor Manipulationen sowie Verfahren zur Risikominimierung im Falle von Fehlfunktionen.

In den USA ist die Situation etwas anders. Fahrzeughersteller, die Autos mit automatisierten Fahrfunktionen auf die Straße bringen wollen, müssen selbst bestätigen, dass diese Fahrzeuge die Anforderungen an Sicherheit, Funktionalität und technische Überwachung erfüllen. Die Marktzulassung obliegt dann einer weiteren Regulierungsbehörde auf Ebene des Bundesstaats, der California Public Utilities Commission (CPUC). Die CPUC hätte eigentlich vergangene Woche über die Ausweitung der Angebote von Cruise und Waymo auf das gesamte Stadtgebiet von San Francisco beraten sollen, hat aber den Termin erneut um vier Wochen vertagt.

Doch es gibt auch gesellschaftliche Unterschiede: Das Mobilitätsverhalten in San Francisco ist anders als das der Berlinerinnen und Berliner. Rund sechzig Prozent der Menschen legen ihre Arbeitswege mit dem Auto zurück. In Berlin sind es deutlich weniger. Die Auswirkungen auf den Verkehrsfluss, die Emissionsreduzierung und die Verbesserung der Verkehrssicherheit könnten daher in San Francisco zunächst größer sein als in Berlin, argumentiert John Reynolds, Mitglied der Kommission, die über die Ausweitung der Dienste entscheiden soll.

Mobilitätsgarantie für Menschen ohne ÖPNV-Anschluss

Gleichzeitig gibt es in San Francisco ganze Stadtviertel, die nicht vom öffentlichen Nahverkehr bedient werden. Hier könnten Robotaxis eine wichtige Zubringerfunktion erfüllen, insbesondere für ältere oder behinderte Menschen oder im kostengünstigen Ridesharing-Betrieb.

In San Francisco gibt es in der Bevölkerung gerade einigen Widerstand gegen die neuen Services, die an die Blockade der Shuttlebusse von Google oder die Zerstörung von Elektrorollern erinnern. Eine mögliche Erklärung könnte in einem Gefühl der Ohnmacht liegen, da Entscheidungen über Straßenzulassung und Markteinführung auf Ebene des Bundesstaats Kalifornien getroffen werden, aber lokale Auswirkungen haben. Zum Beispiel, wenn ein liegengebliebenes Robotaxi eine Kreuzung blockiert oder ein Rettungsfahrzeug behindert.

Man könnte sogar mutmaßen, dass mit jeder Innovation im Straßenverkehr langjährige Schwachstellen des Status quo sichtbar werden, die die Mobilität und Sicherheit einschränken, sei es das Fortbestehen von Unfallschwerpunkten an Fußgängerübergängen, das Fehlen von Fahrradwegen oder die Präsenz überdimensionierter SUVs in der Stadt. Auf der Suche nach Schuldigen richten sich die Bedenken dann leicht mal gegen die vermeintlichen Probleme der Neuerungen.

Um Konflikte künftig zu vermeiden und die wirklichen Potenziale von Robotaxis auch hierzulande nutzen zu können, ist es höchste Zeit für ein umfassendes, vorausschauendes und gestaltendes Handeln der städtischen Verkehrsplanung. Dabei müssen sowohl bestehende als auch neue Angebote kritisch hinterfragt und womöglich an die Bedürfnisse angepasst werden.

Hilfreich ist dabei die Herangehensweise von Jeffrey Tumlin, Chef der Stadtverkehrsbehörde von San Francisco SFMTA helfen. Er schlägt sechs Leitfragen zur Bewertung neuer urbaner Verkehrsangebote vor:

  1. Befördert es mehr Menschen?
  2. Reduziert es den CO2- und Schadstoffausstoß?
  3. Bietet es benachteiligten Gruppen mehr Möglichkeiten?
  4. Erhöht es die Verkehrssicherheit?
  5. Wird die Öffentlichkeit an der Gestaltung beteiligt?
  6. Werden Nutzungsdaten zur Evaluierung verfügbar gemacht?

Wenn diese Fragen konsequent und vergleichend beantwortet werden und zu proaktiven Entscheidungen über Regeln und Anreize führen, dann wird das Miteinander der Verkehrsmittel zwar vielleicht etwas anders aussehen als manche sich das zunächst dachten, aber es besteht die Chance, dass Robotaxis Bestehendes wie öffentliche Verkehrsmittel, zu Fuß gehen und Rad fahren und, ja, auch Taxis mit Fahrer sinnvoll und nachhaltig ergänzen – sowohl in San Francisco als auch in Berlin. 

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