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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Politik

Gerhard Hillebrand, ADAC-Verkehrspräsident
Gerhard Hillebrand, ADAC-Verkehrspräsident Foto: ADAC

Es reicht nicht, ambitionierte Ziele zu setzen – auch das Regierungshandeln muss darauf ausgerichtet sein. Am Beispiel Elektromobilität zeigt sich: Für Verbraucher sind kurzfristige Planbarkeit und Verlässlichkeit elementar. Aber die Bundesregierung wird ihrer Verantwortung nicht gerecht.

von Gerhard Hillebrand

veröffentlicht am 05.06.2023

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Das Ziel ist gesetzt und wurde vom Koalitionsausschuss Ende März nochmals bekräftigt: In Deutschland sollen bis 2030 15 Millionen E-Fahrzeuge zugelassen sein. Zusätzlich hat sich die Bundesregierung mit dem Masterplan Ladeinfrastruktur II im vergangenen Herbst erneut auf die Schaffung von einer Million öffentlich zugänglicher Ladepunkte verständigt. 

Was bei der Zielsetzung in Sachen Klarheit gelungen ist, fehlt jedoch im Regierungshandeln. Und Maßnahmen zahlten zuletzt immer weniger konsequent und eindeutig auf das Ziel ein. Hinzu kommt, dass die Orientierung am Verbraucher, der letztlich den Umstieg mitmachen muss, immer häufiger fehlt.  

Vom Gelingen des Hochlaufs der Elektromobilität hängt in hohem Maße ab, ob die Klimaschutzziele im Verkehr erreicht werden können. Und die E-Mobilität ist der Schlüssel, um individuelle Mobilität mit Pkw im Rahmen der gesetzlich verankerten Klimaneutralität 2045 zu ermöglichen: Der elektrische Antrieb ist derzeit die einzige in der Breite umsetzbare realistische Perspektive für den klimaneutralen Pkw. Um die Flotte von 48 Millionen Pkw erfolgreich zu transformieren und vor dem Hintergrund eines durchschnittlichen Fahrzeugalters von zehn Jahren, muss die Antriebswende jetzt augenblicklich an Tempo gewinnen. Anderenfalls waren dann im Rückblick zwar die Ziele klar, wurden aber ebenso klar verfehlt. 

Auch die Autobauer sind gefordert

Das klare Bekenntnis der Bundesregierung zur E-Mobilität sowie die hohen Ambitionen für den Hochlauf reichen also nicht. Und auch die Hersteller müssen ihrer Verantwortung stärker gerecht werden. Zwar setzen sie für Deutschland und Europa, aber auch andere wichtige Märkte in der Welt vielfach klar und konsequent auf den elektrischen Antrieb. Aber in den Modellpaletten gibt es noch erhebliche Lücken – insbesondere was kleinere und günstigere Fahrzeuge betrifft. 

Dass die Neuzulassungen von batterieelektrischen Pkw in diesem Jahr stagnieren, ist das sichtbare Zeichen der Defizitpolitik. Im April ist ihr Anteil gegenüber Verbrennerfahrzeugen sogar gesunken. 

Für den ADAC liegt auf der Hand, dass die Antriebswende nur mit einer klaren Orientierung an den Verbrauchern gelingen kann. Wenn es nicht gelingt, sie zu überzeugen, haben wir beim Klimaschutz und als Industriestandort ein Problem.

ADAC-Umfragen belegen, dass jene Menschen, die sich für den elektrischen Antrieb entschieden haben, in der Regel sehr überzeugt sind. Doch für einen Großteil der Menschen ist ein Umstieg noch nicht denkbar. Fahrzeuge sind kurzfristig kaum verfügbar, die Anschaffungspreise weiterhin hoch und noch immer zweifeln Menschen an einer ausreichenden Reichweite. Lademöglichkeiten fehlen. 

Unser Unverständnis richtet sich allerdings vor allem auf jene kontraproduktiven administrativen Signale, die Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Bundesregierung bei der Zielerreichung aufkommen lassen. Denn die gesetzlichen Rahmenbedingungen wurden in den letzten Monaten eher verschlechtert. 

Förderung wird reduziert

So wurde die Förderung von E-Fahrzeugen reduziert und ist für Verbraucher – insbesondere vor dem Hintergrund langer Lieferzeiten – nun mit noch größeren Unsicherheiten behaftet. Dabei wäre es ein Leichtes, wenigstens die Fördermodalitäten verbraucherfreundlich umzugestalten. Dazu müsste die Förderung bereits direkt nach dem Kauf zugesagt werden und nicht erst nach Zulassung, sodass Verbraucher nicht mehr fürchten müssen, bei der Lieferung am Ende leer auszugehen, weil sie so lange auf ihr Fahrzeug warten müssen. Die Weigerung der Politik in dieser Sache ist nicht nachzuvollziehen, denn aus der Abwicklung der Wallbox-Förderung ist ein solches Verfahren erprobt. 

Hinzu kommt jetzt erschwerend, dass der Fördertopf für die Jahre 2023 und 2024 begrenzt ist. Niemand weiß, wann die Mittel ausgeschöpft sind und ob er angesichts langer Lieferzeiten bei heutiger Bestellung die Fördersumme in die Finanzierung eines Neufahrzeuges einkalkulieren kann. Anschließend soll die Förderung ganz auslaufen, obwohl fraglich ist, ob die weiterhin vergleichsweise hohen Anschaffungspreise bis dahin gesunken sein werden. 

Für den ADAC liegt auf der Hand, dass in der Förderpolitik ein Umsteuern dringend notwendig ist, damit der Hochlauf der E-Mobilität gelingt: Die Deckelung der Fahrzeugförderung für dieses und das kommende Jahr muss im Rahmen der Haushaltsgesetzgebung aufgehoben werden, und die Förderung muss in der Mittelfristplanung für die Folgejahre fortgeschrieben werden. Aus Sicht des ADAC sollten die Förderregularien für 2024 danach weiterhin gelten, das heißt, Privathaushalte sollten profitieren und die Förderung für Fahrzeuge bis zu einem maximaler Nettolistenpreis von 45.000 Euro greifen. 

Strompreisbremse wirkt an der Ladesäule nicht

Als verlässliches Förderinstrument hat sich die THG-Quote erwiesen. E-Auto-Nutzer können die eingesparten Emissionen geltend machen und erhalten jährlich zusätzlich einige hundert Euro für die klimafreundliche Mobilität. Noch in diesem Monat wird die Verordnung, die die Abwicklung der THG-Quote regelt, nun novelliert. Fraglich ist allerdings, warum auch hier das Interesse der Verbraucher aus dem Blick gerät. Denn Stand jetzt soll die Frist, bis zu der E-Auto-Besitzer ihre Quote anmelden können, verkürzt werden. Das ist absurd und erweckt den Eindruck, als wolle die Bundesregierung selbst den Erfolg des Instruments schmälern. 

Auch die Strompreisbremse kam an öffentlichen Ladepunkten in der Regel nicht beim Verbraucher an, und dies scheint sich bei der aktuellen Novellierung nicht zu ändern. Komplexe Regeln für Ladepunktbetreiber und fehlende gesetzliche Verpflichtungen zur Weitergabe an den Ladekunden sorgen für Verdruss, der auch potenziellen E-Autokäufern nicht verborgen bleibt.

An der Bedeutung einer flächendeckenden öffentlichen Ladeinfrastruktur kann schließlich kein Zweifel bestehen, wenn auch jenen der Zugang zur E-Mobilität gewährt werden soll, die im städtischen Raum in Mietwohnungen leben. Besorgniserregend ist es vor diesem Hintergrund, dass Deutschland auch beim Ausbau der Ladeinfrastruktur von anderen Ländern abgehängt wird. So gibt es etwa in den Niederlanden im Vergleich heute bereits fast viermal so viele öffentliche Ladepunkte je 1000 E-Pkw. 

Staat muss verlässlich handeln

Dabei wird absolut entscheidend sein, dass 2030 jeder Haushalt in seinem nahen Umfeld Zugang zu einem privaten Ladepunkt oder einem bedarfsgerechten Angebot an öffentlicher Ladeinfrastruktur hat. Wir brauchen daher definitiv keine Diskussionen darüber, ob womöglich dann weniger als eine Million Ladepunkte benötigt werden. Auch das Laden unterwegs muss im In- und Ausland problemlos möglich sein und darf im privaten Bereich nicht beschränkt werden. Das ist bei der Regulierung der Anreize zum Lastmanagement zu berücksichtigen.

Unter dem Strich sehen wir, dass Verbraucher sich stark für Elektromobilität interessieren und über die Elektromobilität informieren. Damit das Vertrauen wächst und der Umstieg gelingt, kommt es jedoch nicht nur auf langfristige Zielsetzungen und Bekenntnisse an. Elementar für Verbraucher sind kurzfristige Planbarkeit und eine Verlässlichkeit staatlichen Handelns. 

In aktuellen Gesetzgebungsverfahren hat die Bundesregierung die Möglichkeit, zu zeigen, wie ernst ihr die selbstgesteckten Ziele sind. Dafür muss sie jetzt Maßnahmen umsetzen, die nachvollziehbar sind und zuverlässig wirken. Die Signale weisen in die entgegengesetzte Richtung.

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