Standpunkte Die Ideologie hinter KI: Wie faschistische Tendenzen auch in Europa Einzug halten




Künstliche Intelligenz ist keine neutrale Technologie, sondern auch eine Ideologie, schreiben Aline Blankertz von Rebalance Now und KI-Ethik-Professor Rainer Mühlhoff. Doch die Heilsversprechen von Singularität haben nichts mit der technischen Realität zu tun und lenken von drängenden Problemen ab.
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Jetzt kostenfrei testenSpätestens seit Donalds Trumps Amtseinführung im Januar ist es klar: Big-Tech-CEOs, Wagniskapitalgeber und andere Silicon-Valley-Größen bekennen sich öffentlich zu einer Allianz mit der autoritären und faschistischen Politik von Trump. Diese Allianz ist nicht plötzlich oder zufällig, sondern tief in der Weltanschauung dieser einflussreichen Gruppen verankert. Insbesondere in der KI- und Tech-Industrie kursieren seit Jahrzehnten anti-demokratische Ideologien, die nahtlos an die Eugenik des 20. Jahrhunderts anschließen und die Demokratie als ein Hindernis für Fortschritt bekämpfen.
KI als evolutionäre Kraft und Eugenik 2.0
Eine weit verbreitete Vorstellung ist, dass zukünftige KI – in der Form einer Superintelligenz oder AGI (Artificial General Intelligence) – es dem Menschen erlauben wird, seine biologischen Grenzen zu überwinden, sodass eine neue, unsterbliche und im Kosmos sich ausbreitende Existenzform entstehe. Organisationen wie OpenAI wurden gegründet, um eine solche AGI zu entwickeln; das Unternehmensportfolio von Elon Musk, das xAI, Space X und Neuralink enthält, orientiert sich an derselben Mission.
Nicht wenige derer, die die Entwicklung der KI-Technologie finanziell und ideell vorantreiben, sehen die Technologie als eine evolutionäre Kraft. Fortschritt bedeutet nach ihrer Logik darwinistische Selektion anhand des Intelligenzquotienten: Wenn wir – zum Beispiel durch Präimplantationsdiagnostik – besonders intelligente Menschen hervorbringen, können wir umso schneller AGI entwickeln.
Diese AGI würde dann durch Selbstverbesserung eine „Intelligenzexplosion“ oder „Singularität“ herbeiführen, die als das eigentliche Ziel dieses evolutionären Prozesses gilt. Immer mehr Beteiligte der KI-Industrie schließen sich der Ansicht an, dass demokratische Prinzipien wie Gleichheit, politische Partizipation und geteilter Wohlstand der vermeintlich „natürlichen“ Entwicklung der KI-Technologie im Weg stehen und daher eingeschränkt, wenn nicht abgeschafft gehören.
Die Vorstellung von AGI hat mit der technischen Realität von KI nichts zu tun. Gerade deshalb besitzt der Hype um AGI, der erhebliche Finanzinvestitionen mobilisiert, Forschungsprogramme prägt und politische Entscheidungen beeinflusst, ideologischen oder quasi-religiösen Charakter. Er ist die säkulare Form christlicher Heilsversprechungen wie Unsterblichkeit und ewiges Leben.
Die absichtliche Überzeichnung von KI-Möglichkeiten und -Risiken
Politisch schlägt sich diese Ideologie nieder in einer Debatte um „existenzielle Risiken“ und „KI-Sicherheit“: Es gelte das Risiko zu verringern, dass eine übermächtige KI sich die Menschheit unterjochen oder sie auslöschen werde. Elon Musk und andere finanzierte Forschende und Think Tanks wie das Future of Life Institute und die Effective Altruism-Bewegung tragen dieses Thema an die Politik heran, in Deutschland beispielsweise auch KIRA (Zentrum für KI-Risken und -Auswirkungen).
Besonders publik wurde das Thema, als 2023 viele Beteiligte der Branche, allen voran Elon Musk (der sich dann selbst nicht daran hielt), zu einem KI-Entwicklungsmoratorium aufriefen. Großbritannien hat ein AI Safety Institute gegründet (inzwischen umbenannt in AI Security Institute), das Future of Life Institute bringt sich mit umfassenden Ressourcen wie Teilnahme an Expert:innengruppen in die KI-Verordnung der EU ein.
Sowohl die utopische als auch die apokalyptische Überhöhung von KI lenkt außerdem von heutigen gesellschaftlichen Herausforderungen ab, wie wachsende Ungleichheit und der fortschreitende Klimawandel. Dabei werden all diese Missstände von KI-Technologien weiter befeuert. Die Debatten um „existenzielle“ KI-Sicherheit simulieren einen Verantwortungssinn, während sie an politische Entscheidungsträger:innen appellieren, stärker in KI zu investieren und Regulierung zurückzufahren – aus Angst, im vermeintlichen globalen Wettlauf um AGI zurückzufallen.
Langsames europäisches Abdriften in eine anti-demokratische Überhöhung von Technologie
Die vielfach beschwörte Angst davor, in der KI-Entwicklung etwas zu verpassen, zeigt bereits materielle Auswirkungen: Nicht nur möchte die EU-Kommission Europa zu einem KI-Kontinent machen und investiert mehrstellige Milliardenbeträge in KI-Gigafabriken. Nach der als „Solutionismus“ bezeichneten Ideologie setzt man auf Tech-Unternehmen, um sensible gesellschaftliche Bereiche zu organisieren und zu verändern. So hat die britische Justizministerin Big-Tech-Unternehmen um „gewagte Ideen“ für den Einsatz von Technologie wie KI im Rechtssystem gebeten. Und auch wenn in Deutschland die Skepsis gegenüber dem Einsatz von KI-basierter Polizei-Software des US-amerikanischen Tech-Unternehmens Palantir wächst, rufen Politiker:innen und Zivilgesellschaft eher nach einer „heimischen“ Alternative, statt die Technologie selbst in Frage zu stellen.
Mit der Gläubigkeit an KI geht vielfach eine Überhöhung der mit KI verwobenen Unternehmensform des Start-ups einher. So rief der französische Präsident Emmanuel Macron schon 2017 die „Start-up-Nation“ aus und auch der neue Digitalminister Karsten Wildberger spricht auf der Republica 2025 über das „Digitalministerium als Start-up“.
Dabei funktionieren demokratische Regierungen nach fundamental anderen Prinzipien als die auf hohes Risiko angelegten Start-ups: „Disruption“ ist für Staaten eher gefährlich und dient höchstens autoritären und faschistischen Kräften; ein Scheitern wäre für ihre Bevölkerungen enorm bedrohlich. Hinzu kommt, dass die Idee demokratischer Beteiligung dem Start-up-Denken diametral entgegensteht. Es ist kein Zufall, dass Peter Thiel, der Gründer von Palantir, eine fundamentale Hierarchie zwischen Gründer:innen und „durchschnittlichen“ Menschen sieht – und mit zahlreichen weiteren Silicon-Valley-Ideologen wie Elon Musk und Wagniskapitalgeber Marc Andreessen an Stelle der Demokratie eine nach dem CEO-Modell geführte Monarchie befürwortet.
Abwehr durch Entzauberung von KI und Eindämmung ihrer Anwendung
Wir brauchen dringend ein Bewusstsein dafür, dass KI-Technologie wie dafür gemacht ist, für autoritäre politische Zwecke eingesetzt zu werden: Sie dient zur Propaganda und Sortierung von Menschen. KI kommt vielerorts zum Einsatz, um abzuschätzen, wer anders behandelt werden sollte. Das bezieht sich zunehmend nicht nur auf die Personalisierung von Werbung und Social-Media-Feeds, sondern auch Entscheidungen über gesellschaftliche Teilhabe, Verfolgung und die Behandlung als „Sicherheitsrisiko“. Das Aufgreifen und Verstärken diskriminierender und schlichtweg falscher Inhalte kann dabei zu einem von faschistischer Politik erwünschten Feature werden: Generative KI-Anwendungen dienen zunehmend als Propagandamaschinen. Besonders deutlich ist das beim System „Grok“ von Elon Musks Unternehmen xAI, das auf Social Media rassistische Aussagen, Holocaust-Leugnungen und rechte Verschwörungserzählungen verbreitet.
Gerade in Zeiten des Rechtsrucks können wir nicht darauf vertrauen, dass Europa vor den faschistischen Tendenzen von KI, die sich in den Anwendungsmöglichkeiten und ideologischen Fundamenten der Technologie zeigen, gefeit ist. In vielen Bereichen haben sie schon Einzug gehalten, auch wenn die Rhetorik bisher weniger aggressiv ist als in den USA. Um eine weitere Verbreitung zu verhindern, ist es wichtig, KI-Ideologie, die sich oft als technische Expertise ausgibt, als solche zu enttarnen, und die übermäßige Anwendung von und Investition in KI einzudämmen. Gleichzeitig gilt es, demokratische Kontrollmechanismen und Werte wie Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit und Beteiligung zu stärken.
Aline Blankertz ist angewandte Ökonomin und arbeitet zu Themen der Datenökonomie, der Wettbewerbspolitik und der Plattformregulierung. Sie arbeitet als Tech Economy Lead bei der NGO Rebalance Now und hat das digitalpolitische Kollektiv Structural Integrity mitgegründet.
Rainer Mühlhoff, Philosoph und Mathematiker, ist Professor für Ethik und kritische Theorien der Künstlichen Intelligenz an der Universität Osnabrück. Er forscht zu Ethik, Datenschutz und Demokratieresilienz in der digitalen Gesellschaft. 2025 erscheint von ihm: „KI und der neue Faschismus“ (Reclam) und „The Ethics of AI: Power, Critique, Responsibility (Bristol)“.
Auf der Republica 2025 halten Aline Blankertz und Rainer Mühlhoff gemeinsam den Vortrag „Digitaler Faschismus: Wie KI-Ideologie die Demokratie untergräbt und wie wir sie verteidigen können“ (28.05.2025, 17:30 Uhr).
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