Das Thema Bildung ist nicht hip. In den Medien taucht das Thema im Grunde nur auf, wenn eine weitere Studie veröffentlicht wurde, die erschreckende Ergebnisse produziert. Politisch wird seit Jahren darüber gesprochen, wie die Ausstattung an Schulen, die Lehrer*innenbildung und viele andere Dinge verbessert werden müssten – mit wenig Konsequenzen. Außerschulische Bildungsprojekte erhalten medial wenig Aufmerksamkeit und auf politischer Ebene mangelt es immer noch an institutioneller Förderung.
Während der ersten Corona-Wellen war die Bildungspolitik in aller Munde: Plötzlich spürten viele Menschen sehr direkt die Auswirkungen der zähen Digitalisierung deutscher Schulen. Vor allem die fehlende technische Infrastruktur an den Schulen war ein Thema, über das alle gesprochen haben – und das obwohl im Grunde nichts neues zu sagen war: Es gibt weiterhin kaum schulisches WLAN. Eine Bildungscloud, über die schulübergreifende Angebote geteilt werden können, existiert bei nicht einmal 50 Prozent der Schulen. Das Homeschooling hat dementsprechend in den meisten Fällen mehr schlecht als recht funktioniert – davon können vor allem die Jugendlichen ein Lied singen.
Digital Literacy ist demokratische Teilhabe
Tatsächlich ist aber die digitale Infrastruktur gar nicht das einzige und vermutlich auch nicht das Kernproblem, wenn wir über digitale Bildung in Deutschland sprechen. Die Fähigkeit mit digitalen Tools und Themen zu arbeiten, sie zu verstehen und sie in einen gesellschaftlichen Kontext zu setzen, sind Kompetenzen, die für eine gesellschaftliche Teilhabe mittlerweile unerlässlich sind. Diese Kompetenzen fehlen aber immer noch den meisten Lehrkräften. Während an vielen Schulen der Informatikunterricht nicht über die Formatierung von Word-Dokumenten hinausgeht, sind viele Jugendliche, die sich für Computer, digitale Themen oder sogar Programmieren interessieren an dieser Stelle schon deutlich weiter – zumindest aus der Perspektive von außerschulischen Bildungsangeboten wie „Jugend hackt“.
Bildung, die motiviert
Bei „Jugend hackt“ kommen in unterschiedlichen Settings Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren zusammen, um gemeinsam zu coden, zu tüfteln und dabei die Welt zu verbessern, wie es im Slogan von „Jugend hackt“ heißt. Bei „Jugend hackt“ erfahren Jugendliche Selbstwirksamkeit und können ihre eigenen Kompetenzen und Interessen einbringen, sich mit Gleichgesinnten austauschen und ihre Fähigkeiten vertiefen.
Die Jugendlichen, auf die wir bei „Jugend hackt“ treffen, sind nicht der Durchschnitt. Es handelt sich überwiegend um jene Jugendliche, die bereits eine hohe Technikaffinität mitbringen. Der Ausspruch „Endlich normale Menschen“ ist mittlerweile ein geflügeltes Wort unter Jugend-hackt-Teilnehmer*innen, die damit ausdrücken, wie erleichternd es sein kann, plötzlich von Personen umgeben zu sein, die ähnlich großes Interesse an Technik haben wie sie selbst. Diese Jugendlichen kommen zu Jugend hackt, weil sie Lust darauf haben, ihre Kompetenzen auszubauen und sie sinnvoll einzusetzen, um ihre Umwelt mitzugestalten. Im Kontext Schule haben sie genau diese Chance meistens nicht.
Einige Jugendliche haben während der ersten Corona-Jahre versucht, die Schulen aktiv beim Aufbau und der Administration einer digitalen Infrastruktur zu unterstützen. Andere Jugendliche haben im Zuge der Hackathon-Events Prototypen entwickelt, die Probleme der digitalen Infrastruktur aus ihrer Sicht angehen. Die Kompetenzen und Ideen dieser Jugendlichen sind in ihrer Schulwelt zu einem Großteil nicht gefördert und häufig nicht einmal gesehen worden.
Es ist nicht sonderlich überraschend, dass Jugendliche über Schule nicht immer nur positiv sprechen. Häufig hören wir von Teilnehmer*innen Sätze wie diese: „Man vergisst in der Schule manchmal, dass Lernen etwas ist, das Spaß macht und dass auch Arbeiten etwas ist, das man gerne macht. Und dann geht man einmal zu Jugend hackt und sieht dann, da sind 30 bis 40 Jugendliche, die freiwillig ihr Wochenende opfern, weil sie die Welt ein bisschen besser machen wollen.“ Außerschulische Angebote bieten häufig einen Rahmen, in dem Kinder und Jugendliche sich freier bewegen und daher Kompetenzen anders entfalten.
(Digitale) Bildung für alle?
An außerschulischen Angeboten nehmen die Jugendlichen in der Regel freiwillig teil, und auch die Mentor*innen sind Ehrenamtliche. Aber es können nur diejenigen an unseren Angeboten teilnehmen, die von uns wissen und sich zu uns trauen. Das heißt natürlich, dass wir einen großen Teil der Jugendlichen nicht erreichen können.
Schule hingegen hat die einmalige Chance, alle Kinder und Jugendlichen zu erreichen. Häufig hören wir von Jugendlichen negative Berichte über die Schule. Es gibt aber immer wieder auch positive Beispiele. Lehrer*innen können wichtige Rolemodels sein. Und die sind gerade für Jugendliche wichtig, die sich häufig nicht repräsentiert sehen, wie zum Beispiel Mädchen in der Informatik.
Außerschulische Bildung fördern
Das System Schule braucht Veränderung, da sind sich alle einig. Aber wir müssen realistisch bleiben: Durch den institutionellen Rahmen, in dem Schule sich bewegt, wird es noch lange dauern, bis wir die Veränderungen sehen, die wir uns wünschen. Einigen Ansprüchen wird Schule vielleicht nie gerecht werden. Muss sie aber auch gar nicht: Es ist sinnvoll, schulische Angebote durch außerschulische zu ergänzen. Wichtig ist dabei, dass sich die Angebote gut ergänzen und ineinandergreifen. Und wenn außerschulische Bildungsangebote einen großen Teil der digitalen Bildung in Deutschland stemmen, ist eine Anerkennung dieser Arbeit durch institutionelle Förderung wünschenswert.
Nina Schröter ist seit Anfang 2020 für die „Jugend hackt“-Events bei der Open Knowledge Foundation Deutschland zuständig, seit März 2022 als Programmleitung. Vor ihrer Zeit bei „Jugend hackt“ hat sie viele Jahre Beteiligungsprozesse konzipiert und begleitet.