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Digitalisierung & KI

Standpunkte Digitalstrategie: Open Data kommt zu kurz

Stefan Kaufmann von Wikimedia Deutschland
Stefan Kaufmann von Wikimedia Deutschland Foto: Wikimedia Deutschland

Open Data und Open Government haben in der Digitalstrategie nicht genug Raum, findet Stefan Kaufmann von Wikimedia Deutschland. Warum es für die Verwaltung schädlich ist, dass Open Data ein Nischendasein fristet.

von Stefan Kaufmann

veröffentlicht am 31.08.2022

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„Unterambitioniert“ – wohlwollender ließ sich der erste Entwurf einer Digitalstrategie der Ampelregierung nicht beschreiben. Das Papier wirkte wie eine Aufzählung einzelner Projekte, die sowieso in den Ministerien auf der Tagesordnung standen. Langfristige Ziele, die sich ressortübergreifend in den Handlungsfeldern niederschlagen, waren nicht zu erkennen. Besonders enttäuschend: Der Abschnitt zu Open Data und Open Government wirkte wie ein hastig dazu geschriebener Nachtrag; der im Koalitionsvertrag vereinbarte Rechtsanspruch auf Open Data fand nicht einmal Erwähnung.

Im neuen Entwurf sind nun Open Data und Rechtsanspruch aufgeführt – interessant ist jedoch, dass einzig dieser Abschnitt wirklich offene Daten hervorhebt. An anderen Stellen wird zwar die Zusammenführung verschiedener Datenquellen als praktisches Alltagsbeispiel genannt; so sollen Konzert- und Theatertermine mit Mobilitätsdaten für eine bequeme Anfahrt und Information über barrierefreie Zugänge verbunden werden, um Kulturangebote einfacher wahrnehmen zu können. Der Bund scheint dabei aber stets auf zentralisierte Datenportale oder sogenannte Datenräume hinarbeiten zu wollen, die all diese Daten einsammeln und dann für Apps zur Verfügung stellen. Diese rückschrittliche Architekturvorstellung verwundert im Jahr 2022.

Dezentrale Datenbereitstellung statt Privatisierung durch Datenräume

Schon 2009 hatten die Macher:innen der vielfach eingesetzten Datenportal-Software CKAN eine Zukunft skizziert, in der ein ganzes Netzwerk dezentraler Datenrepositories automatisiert angesprochen und genutzt werden kann. Seither ist zudem das Konzept von Linked Data erwachsen geworden, in dem komplexe Abfragen über mehrere Datenquellen möglich sind. Da diese Daten maschinenlesbar codieren, was sie darstellen – beispielsweise einen Zeitpunkt, eine Stadt oder einen Zählwert – sind sie weitgehend ohne menschliches Zutun miteinander verknüpfbar.

Die freie Wissensdatenbank Wikidata nutzt dieses Konzept, und aus der zivilgesellschaftlichen Community sind damit viele praktische Anwendungsbeispiele entstanden. Durch die Verknüpfung von Wikidata mit Open Street Map ist beispielsweise die räumliche Suche nach Geldautomaten eines bestimmten Servicenetzwerks möglich – ganz ohne zentrale Datenplattform. Die Stärke dieses Ansatzes liegt in seiner modularen Erweiterbarkeit: So wie Klemmbausteine können sie zu immer neuen und gerade passenden Aufbauten zusammengefügt werden, egal, woher sie kommen. Der zentralistische Ansatz geht dagegen von einem fertigen Produkt aus, das architekturbedingt nur durch den Hersteller verändert werden kann.

Dem Linked-Data-Prinzip folgend wäre die in der Digitalstrategie skizzierte Zusammenführung von Theaterspielplan, ÖPNV- und Hoteldaten problemlos mit dezentralen Datenquellen möglich. Es müsste lediglich auf etablierte, vielfach genutzte und international anerkannte Standards gesetzt werden. Und natürlich müssten diese Daten als Open Data allen Menschen zu jedem Zweck frei zur Verfügung stehen. In den zivilgesellschaftlichen Ehrenamtsgruppen, die sich mit den Möglichkeiten offener Daten beschäftigen, werden diese Prinzipien seit Jahren diskutiert.

Wirtschaftliche Interessen bestimmen zu oft die Debatte

Der Drang zu „Datenräumen“ und zentralisierten Datenplattformen lässt sich dagegen vor allem mit Wünschen aus der Wirtschaft erklären. Hier stehen nicht offene, frei für jeden Zweck verwendbare Daten im Vordergrund, sondern der exklusive Tausch zwischen Geschäftspartner:innen, oder gar der Handel damit. Dabei handelt es sich vielfach um Faktendaten, also reine Sachbeschreibungen der Realität. Eine Auflistung, wann und wo welche Theatervorstellung stattfindet, ist keine schöpferische Leistung, sondern eine möglichst objektive Realitätsbeschreibung. Das heißt auch, dass diese Fakten regelmäßig nicht urheberrechtlich schützbar sind.

Erst dieser Umstand erklärt den Wunsch aus der Wirtschaft, zentralisierte Datenplattformen mit Tausch- und Handelsfunktionen einzuführen. Die Einführung Digitalen Rechtemanagements (DRM) als Baustein vieler Datenraumkonzepte konstruiert künstlich einen Zustand, in dem solche Daten auch ohne das Vorliegen von Urheber- oder Patentrechten in ihrer Verbreitung und Nutzung regulier- und einschränkbar sind. Manch einer fühlt sich hier vielleicht an die DRM-Debatten der 2000er-Jahre erinnert – nur dass es damals um die Kontrolle der digitalen Verbreitung tatsächlich urheberrechtlich geschützter Inhalte ging. Nun fehlt selbst dieser Part.

Open Data als Indikator für Verwaltungs-IT auf der Höhe der Zeit

Zugunsten solcher vermeintlicher Lösungen, die häufig als Innovationsprojekte unter Einbezug der öffentlichen Hand vorangetrieben werden, wird die Ertüchtigung einer soliden IT- und Dateninfrastruktur seit Jahren sträflich vernachlässigt. Zwar müssen Bundesbehörden seit dem 13. Juli 2017 aufgrund von §12a EGovG elektronisch gespeicherte Daten über Tatsachen außerhalb der Behörde auch „unverzüglich und entgeltfrei“ bereitstellen. Damit wurde aber weder ein Rechtsanspruch verbunden, noch wurde in Systeme und Verfahren investiert, welche die Bereitstellung zu einem automatischen „Abfallprodukt“ der ohnehin stattfindenden Datenverarbeitung machen. Selbst offizielle Handreichungen für Open-Data-Beauftragte gehen stattdessen weitgehend von „Turnschuh-Open-Data“ aus, bei dem die Datensätze händisch extrahiert und dann „zu Fuß“ in ein Datenportal geladen werden.

Open Data fristet daher bis heute ein Nischendasein als vermeintliche Zusatzaufgabe. Das wird sich langfristig bitter rächen – denn viele weitere Digitalisierungsvorhaben der Verwaltung bedürfen derselben Infrastrukturen, die auch für die automatisierte Bereitstellung von Open Data nötig wären. Egal ob eine interne Datennutzung, die Vereinfachung von Verwaltungsverfahren oder die immer aussichtsloser erscheinende Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes: Sie alle sind auf zeitgemäße IT- und Datengrundlagen angewiesen. Die Open-Data-Anforderungen des EGovG hätten ein Impulsgeber für die notwendige Modernisierung sein können – durch den fehlenden Rechtsanspruch konkurrieren bisher stattdessen Investitionen in den internen Kompetenzaufbau auf der Infrastrukturebene mit tatsächlichen Pflichtaufgaben.

Ehrenamtliche Expertise besser einbinden

Ein offenes Ohr für die umfangreichen Erfahrungen des digitalen Ehrenamts hätte längst ein Gleichgewicht zu den Forderungen der Industrie herstellen können, die immer noch untote Pferde wie den europäischen Datenwunschtraum Gaia-X reiten will. Es bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung bei diesem Ungleichgewicht noch nachsteuert und ehrenamtliche Communitys durch aufsuchende Beteiligung einbezieht. Wikimedia Deutschland hat bereits in einem Positionspapier skizziert, wie anhand dieser Erfahrungen ein Rechtsanspruch auf Open Data praktisch ausgestaltet sein sollte. Dieser könnte indessen diejenigen Akteure in der Verwaltung stärken, die die Zeichen der Zeit längst erkannt haben, denen aber bislang die Mittel für den unbedingt notwendigen Aufbau von Infrastrukturen und Kompetenzen bislang verwehrt geblieben sind.

Stefan Kaufmann ist Referent Politik und öffentlicher Sektor bei Wikimedia Deutschland.

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