Die digitale Transformation entfaltet ihre Auswirkungen über Landesgrenzen hinweg und hat längst eine geopolitische Dimension erreicht. Es ist ein gutes Zeichen, dass nun auch die Abhängigkeit von globalen Chips-Lieferketten mitgedacht wird und ein Bewusstsein dafür entsteht, welche internationale Strahlkraft zum Beispiel der Data Act haben kann. Dennoch wird der digitalen Entwicklungszusammenarbeit noch zu wenig Beachtung geschenkt.
Nirgendwo zeigt sich die Problematik derzeit deutlicher als bei den Arbeitsbedingungen in der Gig-Economy im Globalen Süden. Im Rahmen einer Delegationsreise des Digitalausschusses des Bundestags nach Kenia und Ruanda konnten wir mit Content-Moderator:innen in Nairobi ins Gespräch kommen. Hier zeigt sich unbestreitbar: Die viel gefeierten Innovationen wie ChatGPT werden derzeit auf Kosten der Arbeitnehmer:innen im Süden ermöglicht. Unsere digitalen Lieferketten basieren auf Ausbeutung und prekären Arbeitsbedingungen: Große Tech-Konzerne lassen hier Clickworker:innen Algorithmen für ihre KI-Systeme trainieren. Niedrige Bezahlung, psychische Belastung durch verstörende Inhalte und Überwachung gehören dabei zur Normalität.
Die Zusammenarbeit mit dem Globalen Süden ist richtungsweisend
Wie wir unsere Digitalpolitik gestalten, hat also direkte Auswirkungen auf den Globalen Süden – und andersherum. Wir dürfen technologische Entwicklungen und ihre Konsequenzen daher nicht isoliert in unseren Systemen betrachten. Die gleichberechtigte Zusammenarbeit mit den Ländern im Süden ist ausschlaggebend dafür, wie wir global von den großen Potenzialen der Digitalisierung profitieren, wie wir effektiv und gemeinsam Problemen unserer Zeit begegnen und wir unsere demokratischen Werte im internationalen Raum langfristig verankern.
Deshalb ist es so wichtig, dass die internationale Digitalstrategie, die aktuell unter Federführung des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr erarbeitet wird, einen Schwerpunkt auf die digitale Entwicklungszusammenarbeit legt. Deshalb haben wir im letzten halben Jahr eine gemeinsame Webinar-Reihe gestartet, und mit lokalen Akteur:innen zentrale Leitplanken für die zukünftige digitale Entwicklungszusammenarbeit erarbeitet.
Digitale Entwicklungszusammenarbeit muss den Menschen in den Mittelpunkt stellen
Die Frage, ob und wie sehr ein Mensch von der Digitalisierung profitiert, ist immer noch massiv abhängig davon, wo die Person wohnt und ob sie eine benachteiligte Stellung hat. Der Zugang zu digitaler Infrastruktur bestimmt, inwiefern eine Person digitale Kompetenzen erwerben und Zugang zum Arbeitsmarkt der Zukunft finden kann. Mehr noch – in einem digitalisierten Alltag bestimmt er auch die demokratische Teilhabe und den Zugang zu Gesundheitsversorgung.
Digitale Entwicklungspolitik muss den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Daher müssen unsere Bemühungen im Rahmen des Global Gateways, die Länder des Globalen Südens im Aufbau globaler Konnektivität zu unterstützen, verstärkt werden. Gleichzeitig müssen wir Programme zur Förderung digitaler Kompetenzen, die die spezifischen Lebensbedingungen von Frauen und Mädchen sowie anderen marginalisierten Gruppen mitdenken, ganzheitlich unterstützen. Denn allein in Afrika nutzen nur etwa halb so viele Frauen das Internet wie Männer. Die feministische Außen- und Entwicklungsstrategie der Bundesregierung ist ein Schritt in die richtige Richtung, muss aber im Zusammenspiel von digitaler Governance und internationaler Entwicklungszusammenarbeit weitergedacht werden.
Voneinander lernen und gemeinsame Standards etablieren
Die digitale Souveränität stärken, digitale Teilhabe fördern und die digitale Transformation nachhaltig gestalten: Das alles sind Ziele, die Deutschland und seine Partnerländer sich gleichermaßen gesetzt haben. In diesen Bereichen müssen wir stärker kooperieren, Best Practices teilen und gemeinsam etablieren. Bei unserem Besuch in Kenia haben wir beispielsweise vor Ort mit Vertreter:innen des dortigen Digitalministeriums gesprochen: Die kenianische Regierung setzt für eine nachhaltige Digitalisierung auf klimaneutrale Rechenzentren. Mit einem Angemessenheitsbeschluss, der Übermittlung und Verarbeitung personenbezogener Daten nach DSGVO-Standards ermöglichen würde, wäre das eine große Chance. Für die einen zur Teilhabe an digitaler Wertschöpfung, für die anderen für klimaneutrale Datenverarbeitung. Deutschland kann hier viel von seinen Partnerländern lernen.
Globale Standards und Normen haben einen enormen Einfluss darauf, auf welchen Werten die digitale Transformation weltweit fußt. Dadurch sind internationale Standardisierungsgremien, wie die International Telecommunication Union (ITU), zunehmend zu Schauplätzen von geopolitischen Konflikten geworden. Wir benötigen eine stärkere Zusammenarbeit zwischen der EU und den Ländern des Globalen Südens, um gemeinsame Standards zu etablieren und gegen autokratische Werte vorzugehen. In der Praxis darf es nicht dazu kommen, dass die EU die Standards schreibt und anschließend exportiert. Im Gegenteil: Wir brauchen wahre Kooperationen auf multilateraler Ebene. Hier braucht es ein Umdenken: Deutschland muss mit mehr Engagement aktiv werden.
Eine Strategie mit finanziellen Ressourcen und dekolonialem Ansatz
Für den Erfolg der internationalen Digitalstrategie ist letztlich vor allem die Finanzierung entscheidend. Deutschland kann es sich nicht leisten, eine Strategie ohne Mittel auf den Weg zu bringen, die im Endeffekt nur als Richtlinie für die Bundesregierung gelten würde. Um wirkliche Schlagkraft zu entfalten und bi- sowie multilaterale Projekte effektiv umzusetzen, benötigen wir eine ausreichende Finanzierung. Nur so können wir unseren Partnerländern gegenüber glaubhafte Zusagen machen und unsere langfristige Zusammenarbeit stärken.
Unser gemeinsames Ziel muss es sein, eine menschenzentrierte und verantwortungsvolle Digitalisierung global zu gestalten und die digitale Kluft so zu verringern. Im Kern müssen wir jedoch vor allem begreifen, dass wir dieses Ziel nur in enger, gleichberechtigter Zusammenarbeit und Kooperation mit Partnern im Globalen Süden erreichen. Wir brauchen eine digitale Entwicklungszusammenarbeit, die gemeinsames Lernen mit Blick auf Regulierungsansätze, digitale Teilhabe, Standards und Nachhaltigkeit in den Fokus nimmt und sich final vom kolonialen Blick auf Entwicklungszusammenarbeit verabschiedet.
Wir setzen uns parlamentarisch dafür ein, dass sich dies in der internationalen Digitalstrategie widerspiegelt.
Tobias Bacherle (Bündnis 90/Die Grünen) und Armand Zorn (SPD) sind Mitglieder des Digitalausschusses des Deutschen Bundestags.