Europa steht an einem Scheideweg und muss sich entscheiden, welche Art von Internet es wirklich will. Wollen wir, dass beliebte Online-Dienste und -Inhalte für Nutzer, die sich nicht an personalisierter Werbung stören, kostenlos bleiben, oder will die EU für das Internet der Zukunft alle zu einem reinen Abomodell drängen?
Die jüngsten Leitlinien des Europäischen Datenschutzausschusses (EDSA) deuten auf einen beunruhigenden Wandel hin, der letzteres begünstigen könnte. Der Leitfaden versucht, großen Online-Plattformen vorzuschreiben, dass sie Nutzer:innen Optionen anbieten müssen, die wirtschaftlich unhaltbar sind – ein Schritt, der die kostenlosen Zugangsmodelle, die das Fundament des Internets bilden, drastisch verändern könnte.
In den zunehmend verworrenen Regeln des digitalen Datenschutzes hat sich ein sogenanntes „Pay-or-consent“-Modell herausgebildet. Früher galt der allgemeine Grundsatz, dass eine Plattform verhaltensbezogene Werbung schalten konnte, ohne den Nutzer:innen ein Zustimmungsfeld anzuzeigen. In den vergangenen Jahren haben die Aufsichtsbehörden zunehmend darauf bestanden, dass diese Werbung – gemäß der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) – auch die ausdrückliche Zustimmung der Nutzer erfordert.
Generische Werbung, kostenloser Zugang
Um Nutzer:innen entgegenzukommen, die kein Einverständnis zur Anzeige personalisierter Werbung geben wollen, haben Online-Plattformen begonnen, kostenpflichtige Abonnements anzubieten, die ein werbefreies Nutzererlebnis ermöglichen. Nun will der EDSA jedoch von großen Plattformen verlangen, dass sie den Nutzer:innen drei statt zwei Möglichkeiten anbieten: die Zustimmung zu personalisierter verhaltensbezogener Werbung, die Zahlung für einen werbefreien Zugang oder die Akzeptanz von weniger zielgerichteter generischer kontextbezogener Werbung bei weiterhin kostenlosem Zugang.
Dabei ist klar: Diese kontextbezogenen Anzeigen sind bei weitem nicht die magische Lösung, als die sie von einigen dargestellt werden. Laut einer Studie des Europäischen Parlamentarischen Forschungsdienstes ist die Klickrate bei dieser Art von Werbung mehr als fünfmal niedriger als bei verhaltensorientierter Werbung.
Wie sich herausstellt, sind Anzeigen ohne jegliche Personalisierung einfach weniger effektiv und weniger nützlich für Werbetreibende und Verbraucher. Und die Kosten, um die gewünschte Zielgruppe zu erreichen, schießen in die Höhe. Online-Plattformen müssten die Nutzer mit sich wiederholenden, breit angelegten Anzeigen überschwemmen, um ein ähnliches Engagement für die Werbetreibenden zu erreichen, und die Newsfeeds mit irrelevanten Anzeigen überfrachten.
Online-Plattformen: Bald nicht mehr kostenfrei?
Darüber hinaus zeigen Studien und Experimente immer wieder, dass der Verzicht auf verhaltensbezogene Werbung zu Einnahmeeinbußen führt. Eine Studie über den wirtschaftlichen Wert des Nutzer-Trackings für Verlage ergab, dass die Anzeigenpreise in der EU im Durchschnitt um 18 bis 23 Prozent sinken, wenn kein Nutzer-Tracking verfügbar ist.
Auch auf die Gefahr hin, das Offensichtliche zu sagen: Beliebte Online-Plattformen benötigen ausreichende Einnahmen, um etwas kostenlos anbieten zu können. Die verhaltensorientierte Werbung hat in dieser Hinsicht eine wichtige Rolle gespielt und es ermöglicht, dass viele Online-Dienste für europäische Nutzer:innen in verschiedenen Bereichen kostenlos bleiben. Sie hat auch entscheidend dazu beigetragen, dass europäische Unternehmen und KMU im gesamten Binnenmarkt mit potenziellen Kunden in Kontakt treten können.
Drohen schiefe Datenschutzregelungen?
Doch es steht noch mehr auf dem Spiel. Durch die Beschränkung auf große Online-Plattformen besteht die Gefahr, dass der EDSA auf eine schiefe Bahn gerät und für die Europäer:innen Datenschutzrechte in zwei Geschwindigkeiten schafft. Eine Reihe von Regeln würde für die Nutzer:innen großer Online-Plattformen gelten und eine andere für alle anderen. Der EDSA scheint der Meinung zu sein, dass Verbraucher:innen ganz andere Erfahrungen machen sollten, wenn sie mit Verlagen oder App-Entwicklern zu tun haben als mit den Diensten der so genannten „großen“ Online-Plattformen.
Aber mal ehrlich, ist das Macht(un)gleichgewicht nicht identisch, unabhängig von der Größe des Unternehmens? Wenn ein Nutzer auf einen Dienst oder einen Inhalt zugreifen möchte, entscheidet er sich entweder für ein kostenpflichtiges Abonnement oder er stimmt zu, dass ihm die Werbung angezeigt wird, die die Plattform für rentabel hält, um ihre Kosten zu decken. Haben die Menschen wirklich das Gefühl, dass sie bei einer kleinen mobilen App mehr Kontrolle über ihre Privatsphäre haben als bei einer großen Social-Media-Plattform?
Ein solcher Weg, bei dem die EDSA diktiert, welche Art von Werbung den Nutzenden freien Zugang gewähren soll, würde Europa dazu zwingen, sich mit grundlegenden Fragen des Internetzugangs, der Nutzer:innenrechte und der Verantwortung der Plattformen auseinanderzusetzen. Die DSGVO war nie dazu gedacht, den Internetnutzer:innen eine Reihe von Einheitslösungen aufzuerlegen oder Geschäftsmodelle vorzuschreiben, sondern einen fairen und ausgewogenen Umgang mit Daten in allen Online-Diensten zu gewährleisten.
Inmitten dieser Debatte müssen wir uns fragen: Werden durch diese Art von regulatorischen Eingriffen (und durch die Neuinterpretation der DSGVO) nicht unbeabsichtigt neue Barrieren errichtet, die die Offenheit und Zugänglichkeit untergraben, die das Internet eigentlich bieten sollte?
Ist das Internet, das einst als großer Gleichmacher gefeiert wurde, nun dazu bestimmt, in der EU zu einer Gated Community zu werden, zu der nur diejenigen Europäer:innen Zugang haben, die den Preis dafür zahlen können?
Daniel Friedlaender ist Senior Vice President bei der Computer & Communications Industry Association (CCIA Europe) und Leiter des Büros der CCIA Europe.