Große Sprachmodelle (Large Language Models, LLMs) haben sich als die wichtigste technische Innovation der letzten Jahre erwiesen und alles deutet darauf hin, dass ihre Bedeutung in Zukunft noch größer wird. Wer sich bisher lediglich mit den Fehlern beschäftigt hat, die diese Modelle gelegentlich produzieren – wie die Generierung eines Bildes, das eine Person mit sechs Fingern zeigt – sollte seinen Fokus jetzt ändern. Wir müssen uns mit den Konsequenzen beschäftigen, die der allzu offensichtliche Fortschritt der Künstlichen Intelligenz auf unsere Gesellschaft hat. Hier brauchen wir einen pragmatischen und strategischen Ansatz. Denn das ist Voraussetzung für die Souveränität und den künftigen Wohlstand Deutschlands und Europas.
Welche Risiken bringen Sprachmodelle mit sich?
Bislang haben die meisten Unternehmen und Einzelpersonen vor allem durch „Prompting” mit Sprachmodellen interagiert – so etwa mit ChatGPT. Diese Anwendung ermöglicht es beispielsweise Programmierern, Codeschnipsel zu generieren oder Studierenden, Abschlussarbeiten zu strukturieren. Die breite und flächendeckende Anwendung großer Sprachmodelle befindet sich jedoch noch im Anfangsstadium, da Unternehmen gerade erst beginnen, sie zu integrieren. In Zukunft werden uns Sprachmodelle nicht nur in der heutigen Form dienen, sondern vielmehr nahtlos und unbewusst – genauso unmerklich, wie wir heute die Relativitätstheorie einsetzen.
Einsteins Gleichungen finden beispielsweise Anwendung in unseren Navigationssystemen zur Bestimmung von Satellitenpositionen. Einen Unterschied gibt es jedoch zu Sprachmodellen: Die Relativitätstheorie ist kompliziert, trotzdem können Experten die Ergebnisse genau vorhersagen und berechnen. Dies gilt jedoch nicht für große Sprachmodelle. Sie sind so komplex, dass selbst ihre Schöpfer keine mathematische Sicherheit über ihre Funktionsmechanismen haben. Und das birgt ein großes Risiko.
Wer prägt die Werte der Sprachmodelle?
LLMs weisen auch im Vergleich zu anderen KI-Systemen eine wesentliche Besonderheit auf: Sie generieren ihr Wissen aus einer Vielzahl von Texten. Sprache ist dabei mehr als ein bloßer Kanal für die Informationsübermittlung. Die KI-Modelle gewinnen aus den Texten menschliche Denkmuster, moralische Werte und kulturelle Kontexte. Durch diesen vielschichtigen Lernprozess sind sie in der Lage, Verbindungen zwischen Informationen herzustellen, die nicht direkt auf der Hand liegen. Das verschafft ihnen eine beachtliche Bedeutung. Wir wissen allerdings nicht, wie unsere gesellschaftlichen Werte im Detail in die Modelle aufgenommen werden.
Wir behalten aber zumindest die Fähigkeit, sie während der Trainingsphase zu formen. In der Tat neigen die Modelle dazu, während ihrer Entwicklung eine Art Persönlichkeit anzunehmen. Das führt zu einer zentralen Frage: Wer sind die Eigentümer, wer trägt die Kosten der Entwicklung und wer prägt ihre Identität? Zu bedenken ist, dass die in ein bestimmtes LLM eingebetteten Werte jedes Mal bei dessen Anwendung weitergegeben werden. Bei jeder einzelnen Anfrage – sei es bei der Buchung von Flugtickets oder bei der bereits erwähnten Strukturierung von Arbeiten für das Studium.
Europa muss vorankommen
Die Entwicklung der größten und am meisten genutzten LLMs findet außerhalb der EU-Grenzen statt. Aktuell verfügen wir nicht über die Mittel, die in sie einfließenden Werte wirksam zu gestalten. Wir haben also keinen Einfluss auf die kulturellen, moralischen, ethischen, philosophischen und politischen Annahmen der KI, einschließlich ihrer politischen Unparteilichkeit. Und damit geben wir auch die Kontrolle über die Daten auf, die für ihr Training verwendet werden.
Derzeit stammen die bekanntesten und erfolgreichsten Modelle aus den USA. Ein Umstand, der durch die robuste nordatlantische Allianz und die gemeinsamen Werte gemildert wird. Stellen Sie sich jedoch ein Szenario vor, in dem die erfolgreichsten Sprachmodelle aus Nationen wie China stammen – die mit ihrer Nutzung verbundenen Gefahren würden für uns deutlich zunehmen.
Die Erstellung europäischer Sprachmodelle sollte ein gemeinsames Anliegen der EU-Mitgliedstaaten sein. Das Investitionsvolumen innerhalb der EU spiegelt diese strategische Bedeutung bislang nicht wider. Statistiken zufolge beliefen sich die Investitionen des Privatsektors in die KI-Entwicklung in den Vereinigten Staaten im Jahr 2022 auf 43,9 Milliarden US-Dollar. China folgt mit 12,5 Milliarden Dollar, während die gesamte EU mit kumulierten 10,2 Milliarden Dollar an dritter Stelle steht. Auch wenn es schwierig ist, genaue Zahlen zu ermitteln, so zeigen sie doch durchweg die gleiche Tendenz: Die meisten Investitionen in die KI-Entwicklung werden zweifellos in den Vereinigten Staaten getätigt, gefolgt von China an zweiter Stelle und der EU an dritter Stelle.
In der EU müssen wir daher unsere Bemühungen unbedingt beschleunigen. Damit erhalten wir unsere Souveränität und sichern unsere politische Handlungsfähigkeit nach innen und außen – und damit Europas Platz in einer sich schnell verändernden Welt.
Adam Hanka ist Head of Big Data & AI beim Corporate Venture Builder Creative Dock, der digitale Ventures für Unternehmen realisiert.