Die Coronapandemie ist unverkennbar ein Beschleuniger für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung – und ein Weckruf. Mit drei Milliarden Euro aus dem Konjunkturpaket will die Bundesregierung mehr Tempo in die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) bringen. 300 Millionen Euro fließen in die Registermodernisierung. Genau letztere sollte zum Schlüssel werden, um Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen nicht nur von Bürokratie zu entlasten, sondern sie möglichst gar nicht mehr damit zu behelligen.
Derzeit ist die Registerlandschaft in Deutschland nicht dafür geeignet, den Informationsreichtum der öffentlichen Verwaltung optimal zu nutzen. Bürger müssen laufend Informationen übermitteln, die der Staat schon hat. Der anstehende Zensus 2021 kostet beispielsweise auch aufgrund umständlicher Datenerhebung mehr als eine Milliarde Euro.
Die EU will das in den kommenden Jahren ändern und einen jährlichen, registerbasierten Zensus durchführen lassen. Dafür müssen in Deutschland umfassende Modernisierungen durchgeführt werden. Die Architektur der öffentlichen Register wird dahingehend verändert, dass die einzelnen Register stärker oder überhaupt miteinander vernetzt werden. Ziel ist, personenbezogene Daten von Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen nur ein einziges Mal erfassen zu müssen.
Wie die Registermodernisierung gelingt
Nach diesem sogenannten Once-Only-Prinzip können Behörden künftig wichtige Nachweise, die sie für einen Antrag benötigen, direkt elektronisch bei anderen Behörden abrufen. Anstatt eine Geburtsurkunde, eine Meldebescheinigung oder ein anderes amtliches Dokument umständlich bei Bürgerinnen und Bürgern abzufragen, bedienen sich Sachbearbeiter aus dem Melderegister und den weiteren Fachregistern.
Um Daten zu jedem Bürger eindeutig zuzuordnen, ist die Steuer-ID eine gute Grundlage. Wichtig aus Bürgersicht ist, dass keine direkte Kommunikation zwischen Registern stattfindet, sondern über eine überbehördliche Stelle, zum Beispiel direkt angesiedelt beim Bundesdatenschutzbeauftragten (BfDI). Die einzelnen Stellen führen nur sogenannte bereichsspezifische Personenkennziffern und bereichsspezifische Personendaten. Jedes Register führt nur die in seiner Verantwortung stehenden Daten, eine übergreifende Datensicht wird es nicht geben. Die Bürgerinnen und Bürger müssen dem Austausch zustimmen und können sich über die ausgetauschten Daten informieren.
MinGov: Staatliche Leistungen automatisch statt auf Antrag gewähren
Die bloße Vernetzung der Register darf allerdings nur ein Etappensieg sein. In dieser Digitalisierungsmaßnahme verbirgt sich die große Chance, Deutschlands öffentliche Verwaltung konsequent neu auszurichten und schon beim Design von Verwaltungsleistungen den Grundsatz einer Minimal-Verwaltung zu verfolgen.
Dieser Minimal-Government-Ansatz (oder kurz: MinGov) bedeutet einen Perspektivwechsel: Nicht mehr der Antragssteller, sondern der Leistungsempfänger steht im Mittelpunkt. Die Verwaltungen stellen staatliche Leistungen, die einem Bürger oder Unternehmen zustehen, aktiv bereit, möglichst ohne Zutun der Leistungsempfänger.
Wird ein Kind geboren, prüft die zuständige Behörde beispielsweise automatisch, ob und in welchem Umfang Anspruch auf Kindergeld besteht und stellt einen passenden Bescheid aus. Der Vorteil: Antragsverfahren entfallen, Bürgerinnen und Bürger werden nicht länger unnötig behelligt. Der Staat nutzt stattdessen jene Informationen, über die er ohnehin schon verfügt, gestützt durch die datenschutzkonforme Verknüpfung von Registern.
Die Automatisierung ist dabei durchaus im Interesse des Staates selbst. Staatliche Leistungen entfalten ihre Steuerungswirkung dann am besten, wenn sie alle betroffenen Bürgerinnen und Bürger erreichen – und nicht nur jene, die in der Lage oder willens waren, das Antragsformular einzureichen.
Ansätze konsequent und offen weiterdenken
Ein Schritt in Richtung Minimal Government ist das geplante Gesetz zur Digitalisierung von Familienleistungen: Indem Bürgerinnen und Bürger zustimmen, dass ihre Daten zwischen Behörden ausgetauscht werden, können mehrere Leistungen innerhalb einer Lebenslage in Anspruch genommen werden. Das Einreichen von Einkommensnachweisen beim Elterngeld entfällt so beispielsweise.
Ein weiterer richtiger Ansatz ist die mit dem BEG III beschlossene elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU). Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen im Krankheitsfall nichts mehr unternehmen. Dauer und die Ursache einer Krankschreibung werden automatisch übermittelt. Allein darüber rechnet das Bundeswirtschaftsministerium mit Einsparungen in Höhe von 549 Millionen Euro.
Wir müssen weg von der Zettelwirtschaft
Die Richtung stimmt somit: Eine gehörige Portion Konsequenz wäre allerdings wünschenswert, damit die Durchführungsverantwortung bei der Inanspruchnahme von Verwaltungsleistungen tatsächlich von den Bürgerinnen und Bürgern zu den Behörden wandert. Bei der eAU entfällt zwar der gelbe Schein. Doch dafür sind die Unternehmen gefordert, die Krankmeldung digital abzurufen und der Arbeitnehmer muss sie zumindest noch in Papierform verwalten. Das MinGov-Konzept sieht vor, dass der Arbeitgeber die Benachrichtigung vollautomatisch in sein System erhält, ohne dass er sich weiter kümmern muss, ob die elektronische Krankschreibung den korrekten Weg genommen hat.
Darüber hinaus empfiehlt es sich, bereits heute eine erweiterte Registervernetzung mit Anbindungen von Unternehmen mitzudenken. Banken, Versicherer, aber auch Dienstleister wie Anbieter von Carsharing-Diensten benötigen für bestimmte Prozesse und Geschäfte Zugriff auf Behördendaten – beispielsweise bei Kontoeröffnungen und beim Nachweis einer Fahrerlaubnis. Es lohnt sich, bereits heute über den Zuschnitt dieser öffentlich-privaten Register nachzudenken und Konzepte zu erarbeiten.
Mit diesem Weitblick bei der Registermodernisierung kann die öffentliche Verwaltung in Deutschland bei Bürokratieabbau, bei der Bürgerorientierung und bei der Effizienz einen gehörigen Sprung nach vorne machen. In Deutschland heißt es seit jeher: „Von der Wiege bis zur Bahre – Formulare, Formulare.“ Jetzt hätten wir die Chance, das ein für alle Mal zu ändern.
Bernd Baptist ist als Division Director verantwortlich für die Geschäftssparte Public Sector bei Sopra Steria. Der Diplom-Physiker war bereits von 2000 bis 2011 für das Unternehmen tätig, 2012 wechselte er zum IT-Beratungshaus CSC und war dort für das Public-Sector-Consulting-Geschäft in Zentral- und Osteuropa zuständig.