Vor über 50 Jahren wollte ein deutscher Bundeskanzler mehr Demokratie wagen. Heute sollten wir mehr Fehler wagen. Denn wer Digitalisierung will, muss Neuland betreten. Und wer sich auf unerforschtes Terrain begibt, der macht zwangsläufig auch Fehler. Fehler zu akzeptieren führt in Summe zu mehr Fortschritt als der Anspruch an unbedingte Fehlervermeidung. Die Verwaltung muss daher lernen, Fehler zuzulassen. Sie sollte mehr Start-up wagen.
Da die vordergründige Zielsetzung des Konjunkturpakets darin besteht, Geld in den Wirtschaftskreislauf zu pumpen, kann damit endlich auch die Bereitschaft zu einer neuen Fehlerkultur einher gehen. Wie kann nun ein milliardenschweres OZG-Konjunkturpaket mit der dringend benötigten Vereinfachung der Verwaltung unter einen Hut gebracht werden? Unser dreiteiliger Vorschlag: Wir gründen Inkubatoren für OZG-Standardsoftware und für eine OZG-Bildungsoffensive und legen zusätzlich noch ein OZG-Expertenprogramm oben drauf. Dann kommen wir mit Wumms aus der Krise.
1.) Inkubator für OZG-Standardsoftware
Es ist unrealistisch zu glauben, dass die zahlreichen Herausforderung bei der Digitalisierung der Kommunen vor Ort gelöst werden können. Vielmehr sollten den Kommunen benutzbare OZG-Lösungen angeboten werden. Es muss also Standardsoftware geschrieben, getestet und zur Produktreife gebracht werden. Dazu wird eine nichtstaatliche Organisation benötigt, welche einen Teil des OZG-Konjunkturpakets als Risikokapital für die Entwicklung von OZG-Standardsoftware großzügig und maximal unbürokratisch bereitstellt. Mit diesem Risikokapital werden Neugründungen im Bereich Softwareentwicklung gefördert. Das Credo ist agil: Schnell ein benutzbares Pilotprodukt entwickeln, schnell erfolgreich sein oder eben schnell scheitern; aber sich solange jedenfalls nicht um die Liquidität sorgen.
Die Bewilligung des Risikokapitals geschieht niedrigschwellig und der Nachweis der Mittelverwendung wird schlank gehalten. Denn der Hauptzweck des Konjunkturpakets besteht ja darin, die Wirtschaft anzukurbeln. Grundvoraussetzung für die Bewilligung von Risikokapital ist die Selbstverpflichtung der künftigen OZG-Standardsoftwarehersteller, das gemeinsame Architekturkonzept „Einer für Alle“ (EfA) flächendeckend umzusetzen.
Fachlicher Input zur Entwicklung von OZG-Standardsoftware kann aus einer Fülle von Quellen geschöpft werden, beispielsweise aus dem OZG-Umsetzungskatalog oder den Ergebnissen der Digitalisierungslabore. Der methodische Rahmen wird dabei durch die bereits vorhandenen Standards und Beschlüsse des IT-Planungsrats vorgegeben.
2.) Inkubator für die OZG-Fortbildungsoffensive
Damit aus diesen OZG-Standardsoftwarepaketen in den Kommunen integrierte Fachverfahrenslandschaften entstehen, ist eine kommunale Fort- beziehungsweise Bildungsoffensive erforderlich. Denn selbst bei der Einführung benutzbarer OZG-Lösungen stehen die Kommunen noch den klassischen Herausforderungen, die bei der Implementierung von Standardsoftware zur Unterstützung von Geschäftsprozessen in arbeitsteiligen Organisationen gemeistert werden müssen. Das stellt selbst innovative Industrieunternehmen vor große Herausforderungen und dafür sind derzeit nur die wenigsten Kommunen gerüstet. Es wird also eine weitere Organisation benötigt, welche den zweiten Teil des OZG-Konjunkturpakets als Risikokapital für eine OZG-Fortbildungsoffensive bereitstellt.
Die Zielsetzung ist Ertüchtigung und vor allem Ermutigung (!) der Mitarbeiter im Handwerk der Digitalisierung. Denn für Verwaltungsmitarbeiter ohne nennenswerte IT-Projekterfahrung ist die OZG-Umsetzung vor allem eine kulturelle Herausforderung. Es braucht also zunächst einmal ein Aufklärungsprogramm, damit den Mitarbeitern in den Kommunen die Angst vor dem digitalen Wandel genommen wird. Noch viel dringender aber wird ein inhaltliches Fortbildungsprogramm benötigt. Gesucht werden innovative und im Kontext der kommunalen Verwaltung funktionierende Ansätze, wie den Mitarbeitern ein elementares Prozess- und Digitalisierungsverständnis dezentral, spielerisch und vor allem altersgruppengerecht vermittelt werden kann.
Durch die OZG-Fortbildungsoffensive werden regionale Neugründungen in den Bereichen Fort- und Weiterbildung, Online-Training, Zeitmanagement sowie Soziale Netzwerke für regionale Lerngruppen oder für überregionale Expertengruppen der jeweiligen Fachdomänen ermöglicht. Die Selbstverpflichtung der Trainings- und Lösungsanbieter zur Ausrichtung ihrer Formate und Inhalte an den bereits vorhanden Standards des IT-Planungsrats ist auch hier Grundvoraussetzung für die Bewilligung des Risikokapitals.
3.) Das OZG-Expertenprogramm
Der dritte Baustein des OZG-Konjunkturpakets hat die Mobilisierung des in der Verwaltung vorhandenen Know-hows zum Ziel. Das OZG-Expertenprogramm besteht aus zwei einfachen Komponenten: aus einer Anpassung des Dienstrechts und dem Auffangen der daraus resultierenden Mehrausgaben der Verwaltung.
Verwaltungsmitarbeiter, die in ihrer Fachdomäne über die nötige Expertise verfügen, dürfen im OZG-Expertenprogramm Gründergeist zeigen. Sie bekommen die Möglichkeit, ihre Verwaltungstätigkeit bei vollen Bezügen für ein Jahr ruhen zu lassen. Während dieser Zeit gründen sie ihr eigenes Start-up im Kontext OZG-Standardsoftware oder OZG-Fortbildungsoffensive.
Wo langjährige Expertise abgezogen wird, da entstehen Lücken. Das ist unangenehm für das berufliche Umfeld, aber ohne Sarkasmus kann man sagen, dass gerade die Verwaltung damit eine gewisse Übung hat. Freistellungen für ehrenamtliche Tätigkeiten, für die Wahrnehmung von Aufgaben der Interessenvertretungen oder für kirchliche oder soziale Zwecke sind im Dienstrecht vorgesehen. Um die unangenehmsten Folgen im Kollegium der jeweiligen Behörde zu mildern, wird der dritte Teil des OZG-Konjunkturpakets bereitgestellt. Er kann für befristete Neueinstellungen, für Zeitarbeitskräfte oder für temporäre (!) externe Unterstützungsleistungen verwendet werden.
Jetzt wirklich: Die Verwaltung sollte mehr Start-up wagen
Mit der Corona-Krise und dem OZG-Konjunkturpaket hat sich ein historisches Fenster geöffnet. Selten war Verwaltungsmodernisierung so spannend wie heute. Und eins ist klar: Bund und Länder verkraften kein zusätzliches Mammutprojekt. Aber mit dezentralen, unternehmerischen Ansätzen und einer neuen Fehlerkultur könnte sogar der ambitionierte OZG-Zeitplan noch eingehalten werden!
Falk Lepie ist IT-Experte in der Landesverwaltung von Sachsen-Anhalt. Freiberuflich ist er als OZG-Berater und FIM-Coach tätig.
Christian Kuczera ist Berater für den Public Sector bei Cassini Consulting. Seine Schwerpunkte sind integrierte Fachverfahrenslandschaften und E-Government-Architekturen.
Ihren ausführlichen Diskussionsbeitrag zur Operationalisierung des OZG-Konjunkturpakets finden Sie hier.