Die Bundesregierung versucht bei der Umsetzung der umstrittenen EU-Urheberrechtsreform eine Gratwanderung, um alte Konflikte um das Urheberrecht nicht erneut aufflammen zu lassen. Doch die Angst vor der Lobby der Presseverlage, auf die auch YouTuber Rezo kürzlich in einem Streitgespräch mit FAZ-Herausgeber Carsten Knop eindrücklich hingewiesen hat, verhindert eine faire Lösung.
Deutsche Umsetzung des Urheberrechts: Versprechen wurden nicht gehalten
Bereits während der Urheberrechtsreform auf EU-Ebene kritisierten europaweit über 100.000 Demonstrant:innen, dass die Reform auf Uploadfilter hinauslaufen würde. Ihre Sorge: Wenn alle von Nutzer:innen hochgeladenen Inhalte sofort und automatisch auf Urheberrechtsverletzungen durchleuchtet würden, wäre es vorbei mit dem freien Internet, in dem Zitat und Remix zentrale Rollen spielen. Ob Uploadfilter überhaupt mit den Grundrechten vereinbar sind, muss der Europäische Gerichtshof noch entscheiden. Für die Umsetzung der EU-Richtlinie in Deutschland versprach die CDU, vollständig auf Uploadfilter zu verzichten. Dieses Versprechen bricht der Entwurf zur Urheberrechtsreform, der heute durch das Bundeskabinett verabschiedet wird.
Immerhin aber bemüht sich die Bundesregierung um Schadensbegrenzung, indem sie der automatischen Sperrung Grenzen setzt. Dazu ist sie auch verpflichtet, denn die EU-Richtlinie schreibt vor, dass legale Inhalte nicht gesperrt werden dürfen. Algorithmen können aber nicht zwischen Urheberrechtsverletzungen und legalen Nutzungen, wie beispielsweise Zitaten, unterscheiden. Deshalb sperren sie regelmäßig zu viel, Einschränkungen der Meinungsfreiheit sind vorprogrammiert. Um diese Gefahr zumindest zu reduzieren, schlug die Bundesregierung im Sommer 2020 technische Schwellenwerte vor, die Plattformen beim Einsatz von Uploadfiltern berücksichtigen müssen. Unter diesen Bagatellgrenzen darf nicht automatisch gesperrt werden, weil die Wahrscheinlichkeit zu hoch ist, dass es sich um erlaubte Nutzungen wie Zitate oder Parodien handelt.
Die Bundesregierung kommt den Verlagen (zu) weit entgegen
Nach einer massiven Lobbykampagne der Presseverlage ist von den Bagatellgrenzen, insbesondere was die Verwendung von fremden Texten angeht, aber kaum noch etwas übriggeblieben. Nur noch bis zu 160 Zeichen gelten im Regierungsentwurf als „mutmaßlich erlaubt“ – statt der ursprünglich geplanten 1.000 Zeichen. Das ist weniger als ein Tweet (280 Zeichen) und kürzer als viele Zitate, die auch die Presse selbst in ihren Artikeln regelmäßig und legal verwendet. Der Pressefreiheit haben die Verlage mit ihrer Kampagne also einen Bärendienst erwiesen. Problematisch ist auch, dass Plattformen für Zitate eine Vergütung zahlen sollen, die bislang immer kostenfrei waren. Es ist ein gefährlicher Paradigmenwechsel, die Ausübung von Grundrechten mit einem Preisschild zu versehen, das hatten namhafte Wissenschaftler:innen kürzlich in einem offenen Brief kritisiert.
Verlage waren gegen die Bagatellregelung Sturm gelaufen, weil sie angeblich die Wirkung des Leistungsschutzrechts für Presseverleger aushebeln würde. Das ist Panikmache, denn die Bagatellgrenze gilt nur für Inhalte, die Einzelpersonen auf Plattformen hochladen, ohne damit signifikante Einnahmen zu generieren. Solche privaten oder nichtkommerziellen Nutzungen sind aber ohnehin vom Leistungsschutzrecht ausgenommen, die Bagatellregelung betrifft dieses Recht also gar nicht. Die Bundesregierung kommt den Verlagen mit ihrem Vorschlag so weit entgegen, dass sie sogar gegen EU-Recht verstoßen könnte. Laut der EU-Richtlinie können sich Presseverlage zur Durchsetzung ihres Leistungsschutzrechts nämlich überhaupt nicht auf Artikel 17, den berüchtigten Uploadfilter-Paragrafen, berufen.
Audio- und Videoschnipsel: Bessere, aber keine gute Regelung
Mit 15 Sekunden ist die Bagatellgrenze für die Verwendung von Audio- und Videoschnipseln weitaus praxistauglicher als die für Texte. Dennoch bleibt zu befürchten, dass es auch bei Musik und Videos zur Sperrung legaler Inhalte kommen könnte: Die Bundesregierung möchte, dass Inhalte noch andere Voraussetzungen erfüllen, um einer automatischen Sperrung zu entgehen. Um als mutmaßlich erlaubt zu gelten, darf ein Upload nicht mehr als 50% eines fremden Werks enthalten, selbst dann nicht, wenn der Upload als erlaubtes Zitat oder Parodie gekennzeichnet wurde. Das bedeutet, dass etwa Parodien ganzer Lieder, wie der virale Hit der Familie Marsh, die den Leonard Cohen-Song „Hallelujah“ zu einem Impfaufruf umgedichtet und liebevoll selbst eingespielt hatte, automatisch gesperrt würden. Schließlich verwenden sie 100% der Cohen-Komposition, wenn auch völlig legal.
Für zusätzliche Rechtsunsicherheit sorgt die Bundesregierung mit dem Vorschlag, Parodien nur zu erlauben „sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist“. Die Familie Marsh müsste sich also die Frage stellen, ob es wirklich „gerechtfertigt“ war, für ihre Parodie das gesamte Lied zu verwenden – eine äußerst subjektive Frage. Damit weicht die Bundesregierung von den EU-Vorgaben ab, wonach alle Parodien erlaubt sein müssen. Was eine Parodie ist, hat der Europäische Gerichtshof bereits abschließend geklärt.
Absurde Vorgaben für Bibliotheken und Lehrkräfte könnten die Folge sein
Auch an anderer Stelle haben sich die Verlage mit absurden Forderungen durchgesetzt. Die Urheberrechtsausnahmen für die Bildung und Wissenschaft, die in zwei Jahren auszulaufen drohen, sollen nun nur insoweit entfristet werden, wie die Umsetzung der EU-Richtlinie das zwingend erfordert. Das führt zu einem komplexen Flickenteppich an Regelungen, die kein Lehrer und keine Bibliothekarin mehr wird durchschauen können. Es ist absolut unverständlich, dass die Bundesregierung mitten in der Pandemie die digitale Bildung erschweren will. Eigentlich müsste sie genau das Gegenteil tun und etwa den Verleih von E-Books legalisieren, wie über 600 Bibliotheken es fordern.
Ein modernes Urheberrecht, das sich an den Rechten der Nutzer:innen und der freien Presse orientiert statt an Lobby-Interessen, käme allen Menschen zugute. Und es könnte verhindern, dass Deutschland bei der digitalen Bildung noch weiter abgehängt wird.
Felix Reda ist Leiter des Projekts control © bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Von 2014 bis 2019 war Reda Mitglied des Europäischen Parlaments innerhalb der Fraktion Die Grünen/EFA.