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Digitalisierung & KI

Standpunkte Pflichtfach Informatik: Die Grundlagen der digitalen Welt verstehen

Nadine Bergner, Präsidiumsmitglied der GI
Nadine Bergner, Präsidiumsmitglied der GI Foto: Gesellschaft für Informatik

Junge Menschen müssen verstehen, wie Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung im Kern funktionieren, meint Nadine Bergner. Nur dann können sie erfassen, welche Auswirkungen die Technik auf ihr Leben hat und entsprechende Systeme, zusammen mit Fachleuten, selbst gestalten.

von Nadine Bergner

veröffentlicht am 25.08.2020

aktualisiert am 17.10.2022

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Die Corona-Pandemie und die dadurch bedingten Einschränkungen haben das deutsche Schulsystem auf den Prüfstand gestellt. Viele Lehrkräfte haben mit großem Engagement und der Unterstützung durch die Eltern dazu beigetragen, den Herausforderungen der Krise zu begegnen und mithilfe digitaler Werkzeuge den Bildungsauftrag der Schulen zu erfüllen. Dabei hat sich gezeigt, dass diejenigen erfolgreicher waren, die die Digitalisierung in der Schule bereits vorangetrieben haben und dies auch aufgrund der Unterstützung durch Schulträger und Schulaufsicht konnten.

Die Macht, die von der Digitalisierung ausgeht und die Verantwortung, die das Bildungssystem hat, müssen endlich in Einklang gebracht werden. Dafür hat sich ein einmaliges Bündnis aus Schulpraxis, Wissenschaft, Wirtschaft und der Zivilgesellschaft für eine „Offensive Digitale Schultransformation“ formiert. Zwei zentrale Forderungen, die sich gegenseitig bedingen, sind, einerseits den verpflichtenden Informatikunterricht auszuweiten sowie die Nutzung von digitalen Werkzeugen in allen Fächern verbessern und andererseits Informatik- und Medienkompetenz durch verpflichtende Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften zu stärken.

Wer in der zukünftigen, durch Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung geprägten Arbeitswelt bestehen will, benötigt die richtigen Qualifikationen. Doch wie können wir sicherstellen, dass unsere Schülerinnen und Schüler diese Qualifikationen mit auf den Weg bekommen?

Lehrkräfte und Jugendliche brauchen mehr als Anwenderkenntnisse

Es ist mittlerweile eine Binsenweisheit, dass Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung zu veränderten Arbeits- und Organisationsprozessen führen. Natürlich ermöglichen sie auch neue Formen des Lernens. Eine Fokussierung auf den kompetenten Umgang mit Tablets oder Smartphones greift jedoch zu kurz. Denn schon morgen können die Benutzungsschnittstellen, die Werkzeuge und die digitalen Technologien völlig anders aussehen. Die Arbeitswelt der Zukunft erfordert also nicht nur eine Weiterentwicklung dahingehend, wie wir lernen, sondern auch dessen, was wir lernen. Neben dem Erwerb umfassender Kompetenzen im Bereich digitaler Medien ist der Erwerb informatischer Kompetenzen notwendig geworden.

Junge Menschen müssen verstehen, wie Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung im Kern funktionieren, welche Auswirkungen diese auf ihr (Arbeits-) Leben haben und wie man entsprechende Systeme, zumindest zusammen mit spezialisierten Fachleuten, selbst gestalten könnte. Müssen deshalb alle Schülerinnen und Schüler Programmiererinnen und Programmierer werden? Nein. Nur weil Mathematikunterricht verpflichtend gelehrt wird, werden auch nicht alle jungen Menschen Mathematikerinnen und Mathemathiker. Vielmehr geht es darum, auch die Grundlagen der „digitalen Welt“ allen Schülerinnen und Schülern zugänglich zu machen.

Ohne Informatik gäbe es keine digitale Welt

Wenn wir wollen, dass zukünftige Generationen kompetent in der durch Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung geprägten Arbeitswelt agieren, ja diese aktiv mitgestalten, dann müssen wir Informatik genauso selbstverständlich als obligatorisches Fach an Schulen etablieren, wie Physik, Chemie oder Biologie und dieses Fach von dazu ausgebildeten Lehrkräften unterrichten lassen. Das bedeutet nicht, andere wichtige Ziele schulischer Bildung zu vernachlässigen oder identifizierten Schwächen nicht auch mit Nachdruck nachzugehen.

Wir können aber nicht länger so tun, als habe Digitalisierung nichts mit Informatik zu tun. Ohne Informatik gäbe es keine „digitale Welt“. Wer Schülerinnen und Schüler ernsthaft auf die „digitale Welt“ im privaten wie im beruflichen Sinne vorbereiten möchte, muss das auch im Hinblick auf die Informatik machen.

Digitale Bildung in Deutschland: Ein Flickenteppich

Nur bezüglich des Fachs Informatik ist Deutschland im Jahr 2020 leider immer noch ein (kaum zu durchschauender) Flickenteppich. Einige Bundesländer haben schon seit Jahren verpflichtenden Informatik-Unterricht etabliert:

  • An Mittel- und Förderschulen in Bayern wird Informatik bereits ab Klasse 5 als eigenständiges Fach unterrichtet.
  • In Sachsen wird Informatik an allen Schulformen in der Sekundarstufe von Klassenstufe 7 bis 10 verpflichtend unterrichtet.
  • In Mecklenburg-Vorpommern gibt es einen Rahmenlehrplan für das durchgängige Fach Informatik und Medienbildung von Klasse 5 bis 10.

Einige Bundesländer haben den Bedarf erkannt und sich auf den Weg gemacht:

  • In Baden-Württemberg wurde zum Schuljahr 2017/18 der „Aufbaukurs Informatik“ in Klassenstufe 7 an allen allgemeinbildenden Gymnasien verpflichtend eingeführt.
  • In Nordrhein-Westfalen soll zum Schuljahr 2021/22 ein Pflichtfach Informatik an allen Schulformen in der Sekundarstufe eingeführt werden.
  • In Niedersachsen wird es ab dem Schuljahr 2023/2024 in der Sekundarstufe I eine Stunde Informatikunterricht wöchentlich geben – zunächst in der 10. Klasse und ein Jahr später auch in der 9. Klasse.

Die übrigen Bundesländer haben Informatik allenfalls als Wahlpflichtfach etabliert, so dass hier ein Großteil der Schülerinnen und Schüler die Schule verlassen können, ohne jemals in den Genuss eines qualifizierten Informatikunterrichts zu kommen.

Mit dem verpflichtenden Informatikunterricht wird auch das Interesse an Lehramtsstudierenden im Bereich Informatik steigen: Denn nur wenn es die entsprechenden Jobaussichten für angehende Lehrerinnen und Lehrer gibt, werden sich künftige Studierende für dieses Studium entscheiden. Auch der eigene (qualitativ hochwertige) Informatikunterricht wird Lust auf ein Informatikstudium machen. Und damit wird auch dem Argument, man könnte keinen Informatikunterricht anbieten, weil die Lehrkräfte fehlen, der Boden entzogen.

Nadine Bergner ist Mitglied des Präsidiums der Gesellschaft für Informatik(GI) und wurde schon 2016 zum Junior Fellow der GI ernannt. Seit April 2019 hat sie die Professur für Didaktik der Informatik an der TU Dresden inne. Seit Anfang des Jahres ist sie zudem Senatorin der TU Dresden und professorales Mitglied der Senatskommission Gleichstellung und Diversity Management. Wer mit ihr und anderen Vertreterinnen und Vertretern der Offensive digitale Schultransformation zum Thema „Digitale Bildung für alle – Wie kann die digitale Schultransformation nachhaltig und langfristig gelingen?“ diskutieren möchte, hat heute einem WebTalk ab 17 Uhr die Möglichkeit dazu. 

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