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Digitalisierung & KI

Standpunkte Urheberrechtsreform: Schonender Interessenausgleich

Foto: Bird & Bird

Mit der Urheberrechtsreform könnte dem Bund ein guter Kompromiss zwischen Urhebern, Uploadern und Plattformen gelungen sein, sagt Niels Lutzhöft von der Kanzlei Bird & Bird. Grund dafür sind wechselseitige Checks and Balances, die alle Beteiligten in einen konstruktiven Dialog zwingen.

von Niels Lutzhöft

veröffentlicht am 18.05.2021

aktualisiert am 07.08.2023

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Plattformen wie Youtube oder Facebook mögen etwas Neues sein – die Rechtsfrage, wie und wofür solche Intermediäre haften, kennen wir aus dem analogen Zeitalter. So haftet der Verleger einer Zeitung für „falsche“ oder irreführende Werbeanzeigen nur eingeschränkt. Und verkauft ein Buchhändler Werke, die falsch zitieren und fremde Urheberrechte verletzen, gilt: „Da ein thematisch spezialisierter Buchhändler keinen Einfluss auf den Inhalt eines Buches nimmt, kann ihm eine im Buch enthaltene Urheberrechtsverletzung regelmäßig nicht als Täter zugerechnet werden“ (Landgericht Berlin).

Kreative, Nutzer:innen, Plattformbetreiber: Wie löst der Gesetzgeber den Interessenkonflikt?

Bei der Nutzung von Upload-Plattformen stehen sich nun Eigentums- und Persönlichkeitsrechte der Kreativen, kommunikative und künstlerische Freiheiten der Nutzer und unternehmerische Freiheiten der Plattformbetreiber gegenüber. Mit dem neuen Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz versucht der Gesetzgeber, diesen dreipoligen Grundrechtskonflikt zu lösen. Dabei tut er mehr, als nur die zwingenden Vorgaben der zugrunde liegenden EU-Richtlinie umzusetzen. Er beschreitet einen innovativen Weg, löst Grundrechtskonflikte prozedural auf und beteiligt alle Akteure an der Konfliktlösung: Die Plattformen werden selbst zu Nutzern erklärt und müssen Lizenzen für hochgeladene Werke erwerben. Der Rechteinhaber – etwa der Dichter eines Songtextes – kann der Plattform vorab Daten zur Verfügung stellen, die sein Werk identifizieren, und die Sperrung nicht lizenzierter Uploads verlangen.

Für die Identifizierung und Sperrung fremder Werke werden „automatisierte Verfahren“ eingesetzt – die sogenannten Upload-Filter. Intelligente Filter, die zulässige Zitate und Parodien von illegalen Raubkopien unterscheiden können, gibt es aber nicht. Das Wesen der Parodie müsste in quantitative Kriterien übersetzt werden – ein unmögliches Unterfangen. So entschied das Bundesverfassungsgericht, dass Heiner Müller durchaus zwei Seiten aus Bertold Brechts „Coriolan“ ohne Lizenz von den Brecht-Erben übernehmen durfte. Das Zitatrecht musste unter Berücksichtigung der Kunstfreiheit im Einzelfall weiter ausgelegt werden. Derartige Einzelfallentscheidungen überfordern automatisierte Filter.

„Mutmaßlich erlaubte Nutzung“ statt Overblocking

Es blieb also die Frage: Was ist zu tun, wenn ein Urheber die Blockierung seiner Werke generell vorab oder später im Einzelfall verlangt? Zu hohe Haftungsrisiken hätten einen „chilling effect“: im Zweifel für die vorsorgliche Blockierung. Umgekehrt könnte ein temporärer Freibrief für Plattformen zeitgebundene Werke – man denke nur an den Release eines Kinofilms – praktisch entwerten.

Der Kunstgriff des Gesetzgebers, mit dem er über die Vorgaben der EU-Richtlinie hinausgeht: die Figur der „mutmaßlich erlaubten Nutzung“. Ein Upload ist mutmaßlich erlaubt und bleibt erstmal online, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: Der hochgeladene Clip enthält erstens weniger als die Hälfte etwa eines Musikstücks oder Films. Zweitens: Der Nutzer kombiniert diesen Teil eines Musikstücks oder Films mit anderen Inhalten. Drittens ist die Nutzung entweder geringfügig, beispielsweise 15 Sekunden eines Films oder einer Tonspur – oder der Uploader hat seinen Post als „erlaubt“ gekennzeichnet. Möchte ein Nutzer mehr ohne Lizenz reproduzieren, muss die Plattform zunächst automatisch blockieren. Umgekehrt darf der Upload-Filter den Zugang zu Clips nicht blockieren, die mutmaßlich erlaubt sind. Dies gilt bis zum Abschluss eines internen Beschwerdeverfahrens, das die Plattform bereitstellen muss.

Es gibt auch Sanktionen für alle Beteiligten: Werden mutmaßlich erlaubte Inhalte zu Unrecht gefiltert, muss die Plattform mit Abmahnungen rechnen. Missbrauchen die Uploader andererseits das Greenflagging, sind sie für einen angemessenen Zeitraum von der Nutzung des „Flagging-Buttons“ auszuschließen. Und schließlich: Verlangt ein Urheber wiederholt unberechtigt die Sperrung von Inhalten, wird er für eine angemessene Zeit von der Teilnahme am Sperrverfahren ausgeschlossen.

Der Gesetzgeber hat versucht, Rechtsunsicherheit zwischen Urhebern, Uploadern und Plattformen durch ein abgestuftes Verfahren mit wechselseitigen Checks and Balances aufzufangen – Grundrechtsschutz durch Verfahren. „In vielen Teilen vorbildlich“, kommentiert eine Sachverständige.

Kleinstnutzungen bleiben erlaubt

Von verschiedenen Seiten gibt es aber auch Kritik. Die Anforderungen an eine mutmaßlich erlaubte Nutzung seien zu restriktiv. Es würde erstmal zu vieles blockiert – und solche Beschränkungen müssten als Ausnahmen vom Grundsatz der „Nutzungsfreiheit“ gerechtfertigt werden. Doch einen solchen Grundsatz gibt es nicht. Vielmehr gehört mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts die „grundsätzliche Zuordnung des vermögenswerten Ergebnisses“ der Schöpfung an den Urheber zu den „konstituierenden Merkmalen“ dieses Eigentumsrechts. Es gibt aber gegenläufige Rechte und Interessen von Nutzern und Plattformen. Diese auszugleichen ist Sache des Gesetzgebers.

Dieser hat sich für einen risikobasierten Ansatz entschieden. Bei Kleinstnutzungen von wenigen Sekunden in Kombination mit anderen Inhalten ist ein Zitat zum Beleg einer eigenen artistischen oder politischen Meinungsäußerung wahrscheinlicher, als bei der integralen Wiedergabe eines fremden Musikstückes.

Andere Kritiker monierten bis zuletzt, der Schutz des geistigen Eigentums komme zu kurz. Kleinstnutzungen seien oft Höhepunkte eines Werkes: ein einprägsamer Refrain, die entscheidende Torszene, der Schlüsselsatz eines Textes („Mein Name ist Bond, James Bond“). Es sei eben nicht richtig, grundsätzlich anzunehmen, dass Uploader sich dabei auf die Meinungs- oder Kunstfreiheit berufen können. Denn sie könnten ihre Meinung auch anders äußern. Darauf dürfte es indessen nicht angekommen. Die Meinungsfreiheit schützt nämlich auch die „Mittel der Funktionserfüllung“. Meint also jemand, seine Meinung oder seine ästhetische Vorstellung könne er nur mit Hilfe fremder Werke artikulieren, dann können auch diese dem Schutz der Meinungs- oder Kunstfreiheit unterfallen.

Welche Dienste müssen künftig Upload-Filter und Beschwerdeverfahren umsetzen?

Unklar ist derzeit, welche Plattformen neben Youtube und Social Media Services noch den neuen Regelungen unterfallen. Während der Gesetzgeber in seiner Begründung „mittelfristig dreizehn Diensteanbieter“ betroffen sieht, existiert bereits heute eine wesentlich größere Zahl innovativer Plattformen, die den Upload und Austausch von User Generated Content ermöglichen – etwa in den Bereichen Games, Fan Fiction oder Comics. Bei solchen Anbietern herrscht große Verunsicherung, da eine Pflicht zum Einsatz teurer Uploadfilter das Ende des Geschäftsmodells bedeuten könnte – soweit passende Filter überhaupt existieren.

Im Ergebnis gibt es Bedarf für eine Nachjustierung im Detail, der gewählte Ansatz indessen verdient Beifall: Prognoseunsicherheit über das richtige Ergebnis zwischen „value gap“ einerseits und Overblocking andererseits prozedural zu lösen, bindet alle Beteiligten in einen konstruktiven Dialog und kann die Gerichte entlasten. Eine Richtlinienumsetzung eins zu eins hätte mittelfristig Rechtsunsicherheit erzeugt. Das wäre die deutlich schlechtere Wahl.

Niels Lutzhöft ist Partner bei der internationalen Anwaltskanzlei Bird & Bird. Er arbeitet als strategischer Berater und Litigator für Unternehmen in den Sektoren Life Science sowie Media und Entertainment. Lutzhöft ist außerdem Lehrbeauftragter für Geistiges Eigentum und Digitale Medien an der Universität Regensburg.

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