„Make a video dancing in your home.“ Auf diesen Aufruf des Künstlers Sascha Engel in die professionelle Tanzcommunity hin entstand das Tanzvideo „Ay, no Corona“ – eine humorvolle Auseinandersetzung mit der weltweiten Lockdown-Situation. Doch beim Versuch der Veröffentlichung des Videos auf Facebook hieß es, der vollständige Upload sei nicht möglich, da die verwendete Musik Urheberrechte verletze. Das klingt zwar plausibel, die Erlaubnis war jedoch direkt vom Rechteinhaber erteilt worden. Trotzdem konnte das Video erst nach einem zweiwöchigen Widerspruchsverfahren komplett hochgeladen werden.
Wenn Uploadfilter kulturelle Live-Streams blockieren
Ähnliche Berichte höre ich auch aus meinem Wahlkreis in
Mainz, wo Live-Streams von Künstlern abgebrochen wurden. Das ist kein neues
Phänomen. Doch jetzt in der Corona-Krise, in der Konzerte, Lesungen und
ähnliche Veranstaltungen nur online stattfinden können, tritt das Problem drastischer
als je zuvor zutage. Wer Künstlerinnen und Künstlern, die derzeit keine
Auftritte haben, rät, sie sollen doch einfach ihr Angebot ins Internet
verlagern, hat offenbar keine Ahnung von den Urheberrechts-Fallstricken, die
dort lauern können.
Wir erinnern uns: Vor knapp einem Jahr wurde die EU-Urheberrechtsrichtlinie nach hitzigen öffentlichen Auseinandersetzungen, unter anderem wegen so genannter Uploadfilter, verabschiedet. Bis Juni 2021 muss sie in deutsches Recht umgesetzt werden. Im Zentrum der Diskussionen standen die Fragen nach der Verantwortlichkeit von Plattformen für urheberrechtlich geschützte Inhalte, welche Dritte hochladen, und wie diese Uploads auf Urheberrechtsverletzungen überprüft werden können. Schon jetzt sind automatische Entscheidungssysteme, also Uploadfilter, im Einsatz und verantwortlich dafür, wenn Inhalte wie das Video von Sascha Engel beim Hochladen geblockt werden. Ein digitaler Fingerprint auf der Grundlage eines vom Rechteinhaber zum Beispiel bei YouTube hinterlegten Werkes bildet die technische Vergleichsgrundlage für die Entscheidung über Uploads.
Overblocking und Fehlentscheidungen: Bisher im Zweifelsfall offline
Doch dabei kommt es immer wieder zu Fehlentscheidungen. Oft ist die Datengrundlage falsch, auf welcher der Algorithmus entscheidet. Zudem ist die Bewertung der Rechtslage – ob ein Upload gegen das Urheberrecht verstößt – häufig komplexer als der Vergleich von Einsen und Nullen. Zum Beispiel kann sich ein Unberechtigter als Rechteinhaber ausgeben. Auch kann es vorkommen, dass große Labels, die früher mal die Nutzungsrechte an einem Inhalt besessen haben, nur vergessen haben, die Rechteerhebung wieder zurückzuziehen. Oder es kann sich um erlaubte Nutzungen handeln, zum Beispiel um Zitate, Kritiken, oder Parodien.
Das Problem besteht zwar bereits jetzt, es wird aber durch schwammige Formulierungen und die Haftungsverschärfung für Plattformbetreiber in Artikel 17 der EU-Urheberrechtsrichtlinie noch verschärft. Deswegen ist es jetzt wichtig, die Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht zu nutzen und Sicherungen vorzusehen, um solche unberechtigten Upload-Blockaden möglichst einzudämmen.
Vertrauenswürdige Uploader zertifizieren, Streitfälle online lassen
Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel eine sogenannte Stay-Up-Regelung für unklare Streitfälle. Bei einer streitigen Sach- oder Rechtslage könnte in dem Moment der Unsicherheit, also nur bis zur Klärung, die Plattform von der Haftung ausgenommen werden. Denn eine Plattform würde sonst im Zweifel immer vorsichtshalber den Beitrag sperren, um auf der sicheren Seite zu sein. Dies soll auf keinen Fall dazu führen, dass niemand für eine mögliche Urheberrechtsverletzung haftet. Der aktive Nutzer bleibt natürlich für seinen Upload vollständig verantwortlich.
Damit von einem Haftungsausschluss der Plattform nicht Dritte ungehindert profitieren, die ohne Berechtigung urheberrechtlich geschützte Inhalte hochladen, müsste hier zumindest eine Hürde eingebaut werden. Angedacht sind da beispielsweise sogenannte „Trusted Flagger“, also verifizierte Personen oder Organisationen, bei denen davon ausgegangen werden kann, dass sie die Urheberrechte geklärt haben. Diese Idee muss aber noch auf all seine Auswirkungen geprüft und zu Ende gedacht werden.
Standards für Plattformen entwickeln, statt die Entscheidungen an Algorithmen abzugeben
Interessanter erscheint mir eine Vermutungsregelung. In Artikel 17 der Richtlinie heißt es, dass Plattformbetreiber „nach hohen branchenüblichen Standards alle Anstrengungen“ unternehmen sollen, um Urheberrechtsverletzungen beim Upload zu verhindern. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff in der EU-Richtlinie wird derzeit meist so ausgelegt, dass dies nur über Uploadfilter zu erreichen ist. Alternativ könnte der Gesetzgeber Standards aus Normierungsgremien eine haftungsbefreiende Vermutungswirkung zusprechen. Hält ein Plattformbetreiber sich an die Vorgaben dieses mit allen Interessensvertretern zu besetzenden Gremiums, so wird vermutet, dass er seine Sorgfaltspflichten erfüllt hat. Diese Normierungstechnik existiert bereits in anderen Wirtschaftsbereichen (zum Beispiel rund um das Bundeslärmschutzgesetz). Aber auch dieser Vorschlag müsste konkretisiert und auf seine Wirkung genauer geprüft werden.
Wir brauchen sicher keine „Lex Corona“ im Urheberrecht, aber die Probleme mit Uploads von künstlerischen Darbietungen in der Coronakrise deuten darauf hin, dass über einen fairen Interessenausgleich und die Rolle und Verantwortlichkeit der Plattformbetreiber noch diskutiert werden muss.
Tabea Rößner ist Sprecherin für Netzpolitik und Verbraucherschutz in der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.