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Standpunkte Wie falsch verstandener Datenschutz wirksame Regulierung verhindert

Malte Engeler, Richter und Datenschutzexperte
Malte Engeler, Richter und Datenschutzexperte Foto: Privat

Immer mehr Daten lautet die Marschrichtung ökonomisch und politisch. Warum der Datenmarkt so unweigerlich mit dem Datenschutz in Konflikt gerät – und der Datenschutz deshalb nur gleichzeitig mit Datenmarktbegrenzung denkbar ist, erklärt der Jurist Malte Engeler.

von Malte Engeler

veröffentlicht am 30.09.2022

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Metaphern für die wirtschaftliche Bedeutung von Daten gibt es viele. So schief sie in der Regel sind, versuchen sie alle, die wirtschaftliche Realität in Worte zu fassen: Ohne die Verarbeitung personenbezogener Daten sei wirtschaftliche Tätigkeit kaum mehr möglich. Die Datenwirtschaft generiere eine ständig wachsende Menge an Daten, die eine unerlässliche Quelle für das Wirtschaftswachstum sei, verlautete die Europäische Kommission bereits 2017. Mehr Daten, mehr datengetriebene Geschäftsmodelle und mehr Wachstum sind die pausenlos wiederholten Ziele der Datenökonomie.

Dem stehen das Grundrecht auf Datenschutz gegenüber, sowie die Notwendigkeit, den Ressourcenverbrauch der Menschheit mit den Kapazitäten des Planeten in Einklang zu bringen. So sehr versucht wird, in datenschutzfreundlichen und nachhaltigen Geschäftsmodellen einen Wettbewerbsvorteil zu sehen, handelt es sich dabei doch oft genug um Wunschdenken. Denn marktwirtschaftlicher Wettbewerb kennt nur ein einziges Ziel: den Gewinn. Andere Prioritäten werden systembedingt untergeordnet. Konkurrenzdruck, Wettbewerb und Wachstumszwang lassen kaum eine andere Wahl, als im Wettkampf um Marktanteile immer wieder an die Grenze des rechtlich Zulässigen und des im Gemeinwohlinteresse Wünschenswerten zu gehen – und darüber hinaus.

Marktwirtschaftliche Fehlentwicklungen

Der Markt belohnt Streaming-Plattformen dafür, die konsumierten Inhalte der Nutzer:innen zu beobachten und zu analysieren, um passgenau weitere Inhalte zum automatischen Abspielen anzubieten, damit der Konsum nicht abreißt. Und der Markt lässt Wettbewerbern auch selten eine Wahl, sich gegen Tracking und personalisierte Werbung als Finanzierungsmodell zu entscheiden. Das Bedürfnis nach Datenschutz und nachhaltigem Ressourcenverbrauch tritt notwendigerweise hinter dem Ziel zurück, am Markt bestehen und erfolgreich sein zu können. Gleichzeitig verschlingen Streamingangebote immense Ressourcen und ein Großteil der Energie beim Besuch einer Webseite wird für die im Hintergrund laufenden Prozesse der maßgeschneiderten Werbeanzeigen verbraucht.

Derartigen Fehlentwicklungen müsste mit klaren gesetzlichen Vorgaben begegnet werden, die den problematischen Datenverarbeitungen und ihren ökologischen Folgen Grenzen setzen. Doch das ist selten der Fall. Und das ist zu einem gewissen Teil die Schuld des Datenschutzes selbst, jedenfalls in seiner klassischen deutschen Lesart: Seit dem Volkszählungsurteil von 1983 gilt in Deutschland das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Verkörperung des Datenschutzes. Eng verwandt damit sind geflügelte Formulierungen wie „Meine Daten gehören mir“. Wer heute in juristischen Kommentaren die Grundlagen des Datenschutzrechts nachliest, lernt in aller Regel, dass die Einwilligung dessen Grundpfeiler sei. Sie ist für das klassische Datenschutzverständnis geradezu identitätsstiftend.

Während diese Betonung der Selbstbestimmung als Abwehr staatlicher Datenverarbeitung nachvollziehbar ist, erweist sich die Einwilligung zur Regulierung des Datenmarktes aber als inhärent ungeeignet. Die Dynamiken einer Marktwirtschaft höhlen die Schutzwirkung der Einwilligung aus, weil Wettbewerb- und Konkurrenzdruck dazu zwingen, datenschutzfeindliche Methoden einzusetzen. Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten es Unternehmen ermöglicht, Produkte oder Preise so anzupassen, dass möglichst hohe Gewinne anfallen. Kostendruck und Wettbewerb zwingen diese Methoden anderen auf. Die Vorteile, die zunächst auch für Betroffene in Form reduzierter Preise oder verlockenderer Produkte existierten, verkehren sie sich mit fortschreitender Verbreitung ins Gegenteil. Wenn Wenige die Fähigkeit und den Anreiz zur Datenpreisgabe haben, werden letztlich alle gezwungen, es ebenso zu tun. In der Forschung wird dieser Effekt Unraveling genannt.

Einwilligung wird zur Formalität

Betroffene werden auf diese Art zu Konkurrent:innen und diese Konkurrenz erweist sich als eigenständiges abstraktes Zwangsmittel, das zwar die Einwilligung individuell als freiwillig erscheinen lässt, strukturell aber ihre Unfähigkeit offenbart, Schutzwirkung zu entfalten. Die Kritik an der klassischen politischen Ökonomie diskutiert dieses Phänomen als stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse. Betroffene können ihre Bedürfnisse nur noch befriedigen, sofern Sie sich den Forderungen des Marktes fügen. Sie werden durch eigene Interessen gezwungen, nicht durch äußeren Zwang. So kann der Markt sie zwingen, „freiwillig“ in eine Datenverarbeitung einzuwilligen.

Solange das Recht auf informationelle Selbstbestimmung mit dem Grundrecht auf Datenschutz gleichgesetzt wird, bleibt der Datenschutz machtlos gegen derartige Dynamiken. Sein vermeintlich schärfstes Schwert, die Einwilligung, wird auf eine Formalität reduziert. Die Einwilligung ist insofern kein Schutzinstrument gegen Datenschutzverletzungen, sondern nur das Recht, sein digitales Selbst der Verwertung preiszugeben

Die Notwendigkeit, sich von dieser Perspektive zu lösen, wird längst in der Forschung und Praxis erkannt. Als moderner Ansatz wird diskutiert, Datenschutz nicht als Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu begreifen, sondern als Recht auf Unverletzlichkeit beziehungsweise Integrität des digitalen Körpers, den es gegen Datenverarbeitungen zu schützen gilt. Nicht zuletzt der ehemalige hamburgische Datenschutzbeauftrage Johannes Caspar hat gefordert, die informationelle Integrität in der digitalpolitischen Diskussion stärker ins Bewusstsein zu rücken.

Ein solches Grundrechtsverständnis macht auch unmittelbar begreiflich, dass das Mantra der Selbstbestimmung allein nicht reicht, um der Erosion von Allgemeininteressen durch die Datenökonomie zu begegnen. Die Unversehrtheit des digitalen Körpers ist ebenso wie die des analogen Körpers eine Grundvoraussetzung für eine freie und nachhaltige Gesellschaft, die es durch konsequente und kollektive Beschränkung des Marktes zu gewährleisten gilt.

Malte Engeler ist Richter am Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht und politisch bei „Die Linke“ in der BAG Netzpolitik aktiv. Derzeit ist er an ein Bundesministerium abgeordnet, der Text spiegelt aber ausschließlich seine persönliche Haltung wieder. Er basiert auf einem noch nicht veröffentlichten wissenschaftlichen Fachaufsatz. Am Sonntag spricht Engeler dazu auf der Konferenz Bits & Bäume.

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