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Digitalisierung & KI

Standpunkte Wie können wir den digitalen Unterricht sichern?

Stephan Bayer von Sofatutor
Stephan Bayer von Sofatutor Foto: Sofatutor

Schule soll digitaler werden. Doch wie kann sinnvoll geregelt werden, welche Tools wo zugelassen werden? Stephan Bayer vom Online-Nachhilfeanbieter Sofatutor beschreibt, worauf es aus seiner Sicht ankommt.

von Stephan Bayer

veröffentlicht am 04.01.2022

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Schule soll digitaler werden. So sieht es auch der neue Koalitionsvertrag vor, laut dem die neue Regierung „Länder und Kommunen bei der Digitalisierung des Bildungswesens unterstützen“ will. Die Schulen haben während der Pandemie viele Tools ausprobiert. Noch bleibt die Frage bei Lehrkräften und Schulleitungen: Dürfen wir unsere Favoriten im Unterricht einsetzen?

Eine Positivliste für Berlins Schulen

Um Sicherheit zu gewähren, wollte die Berliner Senatsverwaltung Ende August einige Änderungen in das Schulgesetz einbringen. In §7 Absatz 2a wird eine sogenannte Positivliste für digitale Tools (Apps oder Webseiten) angestrebt. Erarbeitet werden soll die Liste von der Senatsverwaltung für Bildung, die diese dann den Schulen bereitstellt und in Rücksprache mit ihnen „regelmäßig aktualisiert“. Ich möchte auf die nötigen Voraussetzungen eingehen, damit dieses Vorhaben funktioniert.

Neue Prozesse für digitale Lernmaterialien

Die Digitalisierung ist eine der Hauptaufgaben des deutschen Bildungssystems. Es gibt bereits eine Menge Start-ups und mittelständische Unternehmen, die sich in der digitalen Bildungsbranche engagieren. Ihnen gegenüber steht ein Oligopol aus Schulbuchverlagen, deren Medien einem klaren Veröffentlichungszyklus folgen: Immer, wenn sich der Lehrplan ändert, wird ein auf das Bundesland, die Klassenstufe und den Schultyp angepasstes Lehrbuch zusammengestellt, das infolge geprüft und dann zugelassen wird. Bei den sich täglich ändernden digitalen Produkten ist eine solche Bewertung nicht möglich. Was vor allem benötigt wird, ist eine pädagogische Einschätzung, ob die digitalen Inhalte für den Unterricht eingesetzt werden können.

Evaluation mit Zeitverzug

Dazu eine Anekdote: Sofatutor wurde im März 2021 vom Thüringer Landesdatenschutzbeauftragten in Bezug auf den geeigneten Einsatz an Schulen eingeordnet. Knapp 30 Tools wurden in einem Brief an Thüringens Schulleiter:innen mit „Hinweisen zu schulischen Softwareprodukten“ versehen. Dadurch kann der Brief alleinstehend noch nicht als „Positivliste“ gelten, sollte aber Empfehlungen bei der Lehr- und Lernmittelwahl geben. Sofatutor wurden in diesem Brief einige Datenschutzbedenken zugesprochen. Das Problem war nicht, dass diese geäußert wurden, sondern dass wir von der Datenschutzbehörde nicht darüber informiert wurden. Dadurch konnte von unserer Seite nicht darauf hingewiesen werden, dass die Bedenken zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits behoben waren. Im Zuge einer Positivliste muss es einen Prozess geben, in dem Unternehmen bzw. NGOs und Prüfstellen miteinander in den Dialog treten können.

Jedes Land für sich oder zentral gebündelt?

Für das Projekt „Positivliste“ ist pädagogisches Personal am allerwichtigsten. Um diverse Angebote im Vier-Augen-Prinzip zu sichten und zu bewerten, müssen das an die 30 Lehrkräfte sein. Hinzu kommen zwei bis drei Expert:innen für Datenschutz. Das ist dann, inklusive Projektsteuerung, Verwaltung, IT-Administration und Personalmanagement, ein 40-köpfiges Team, das zukünftig im Schulamt, Senat oder der Landesmedienstelle unterkommen müsste. Dieses mehrheitlich pädagogisch geschulte Team kostet, wenn wir von einem durchschnittlichen Lehrkräftegehalt samt Nebenkosten ausgehen, ungefähr 2,7 Millionen Euro im Jahr – pro Bundesland.

Dabei müsste streng genommen jede Änderung am Angebot in jedem Bundesland bei den Prüfstellen für digitale Schulprodukte angemeldet und geprüft werden. Das wäre das befürchtete „Bürokratiemonster“, vor dem die Berliner Schulleitungsverbände in ihrem Protestbrief als Reaktion auf die Schulgesetzänderungen warnen. Eine Bundeslösung wäre vorzuziehen – auch wenn die Landesdatenschützer:innen darüber nicht glücklich sein werden.

Schulen in ihrer Wahlfreiheit stärken

Wir sollten Schulen die Autonomie zusprechen, digitale Tools im Unterricht eigenständig zu testen und die Wahlfreiheit der Lern- und Lehrmittel nicht durch Positivlisten beschränken. Wichtig ist eine Befähigung mithilfe von Checklisten und Schulungen, die die größten Ängste adressieren: Wie finde ich werbefreie Inhalte? Wie kann ich die didaktische Korrektheit sicherstellen? Wie sieht ein vertrauenswürdiges Impressum aus? Was ist bei den Cookies zu beachten? Kann ich durch gewisse Einstellungen datensparsam unterrichten?

Die Checklisten werden dabei von den regionalen Schulverwaltungen erstellt. Ihnen kommt also eine extrem wichtige Aufgabe im Digitalisierungsprozess zu. Außerdem schulen die Verwaltungsmitarbeiter:innen auf Grundlage der Listen die Datenschutzbeauftragten an den Schulen sowie in den Bezirken und Landkreisen.

Sollten akute Verstöße aufgedeckt werden, braucht es eine bundesweite Meldestelle. Diese kommunikative Schnittstelle fehlte beispielsweise im Fall von Thüringen, aber es braucht sie dringend, wenn wir uns nicht selbst lahmlegen wollen. Legen daraufhin die Anbieter ihre Nachbesserungen beispielsweise innerhalb von 30 Tagen vor, werden sie von der „Warnliste“ genommen. Schulen können sich selbstständig in einer Datenbank über den Status ihrer Wunschprodukte informieren und dort Beschwerden einreichen. Das ermöglicht uns mithilfe der 32.000 allgemeinbildenden deutschen Schulen, die seit über anderthalb Jahren prüfen und testen, mehrere hundert Tools für den Unterrichtseinsatz zu evaluieren.

Eine Inspiration ist das Bundesland Bremen, das seine Schulen bereits seit über zehn Jahren digitalisiert. Dort hat sich vor Jahren im Zentrum für Medien (heute: Stabsstelle Digitalisierung) eine Gruppe von engagierten Lehrkräften zusammengefunden, um die Verwaltung zu unterstützen. Die Bremer Lehrkräfte testen in kleinen Teams neue Lehr- und Lernprodukte im Unterricht. Sie bieten außerdem mit ihrem Praxiswissen gezielt Fortbildungen für Kolleg*innen im gesamten Bundesland an. Auch hier sind die Kapazitäten begrenzt. Aber ich glaube, dass ein übergeordnetes Bewusstsein geschaffen wird, digitale Schulgestaltung nicht nur von Vorgaben der Verwaltung abhängig zu machen. Viel mehr geht es um die Schaffung dauerhafter Synergien zwischen Verwaltung, Schulen und Anbietern.

Stephan Bayer (38) ist studierter Soziologe und Politologe, Experte für digitale Bildung und Gründer sowie CEO des Berliner EdTechs Sofatutor.



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