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Digitalisierung & KI

Standpunkte Wie wir die digitale Schule schaffen

Dieter Dohmen, Direktor des FiBS-Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie
Dieter Dohmen, Direktor des FiBS-Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie Foto: Dieter Dohmen

Das Schulsystem steht im kommenden Jahrzehnt vor grundlegenden Strukturreformen. Digitalisierung spielt dabei eine wichtige Rolle: Jugendliche und Lehrkräfte müssen digital hochkompetent sein, schreibt Dieter Dohmen, Direktor des FiBS-Forschungsinstituts. Allerdings braucht es neue Finanzierungsmöglichkeiten, um die Veränderungen voranzubringen.

von Dieter Dohmen

veröffentlicht am 17.09.2021

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Wir schreiben das Jahr 2021, und leben seit März 2020 mit wiederholten Schulschließungen. Eigentlich Anlass genug, dass alle Schulen über eine digitale Infrastruktur, digital kompetente und ausgestattete Lehrkräfte und Content verfügen sollten. Die Realität sieht anders aus: Zwar gibt es gut ausgestatte Schulen mit digitalen Lehrkräften und Schüler:innen, aber nicht flächendeckend. Es ist eher eine kleine „Elite“. In vielen Schulen fehlt schon die Basis-Infrastruktur, also BreitbandWLAN etc. – vor allem im ländlichen Raum. Dabei wissen wir spätestens seit 1995, dass Schulen digitaler werden müssen.

Ein Jahrzehnt der Schulreform ist nötig

Natürlich ist die Digitalisierung der Schulen nur eines von vielen Themen im Schulsystem. Dieses steht vor grundlegenden Reformen, hin zu einer verstärkten Ausrichtung auf Kompetenzen, um junge Menschen auf das 21. Jahrhundert und seine hoch dynamischen Veränderungen vorzubereiten. Kinder, die heute geboren werden, sind womöglich bis zum Jahr 2100 (!) im Arbeitsmarkt.

Dabei wird übergreifendes, strukturelles und Zusammenhangswissen weiterhin wichtig bleiben. Fächerübergreifende Lerninhalte brauchen neue Curricula und Lernmaterialien, neue Didaktik und Pädagogik. Somit ist auch die Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte anzupassen.

Natürlich spielt Digitalisierung dabei eine wichtige Rolle, sie muss sich in diese Veränderungen einpassen: Jugendliche und Lehrkräfte müssen digital hochkompetent werden, um zukunftsfit zu sein. Das betrifft weniger die technische Seite als die Verstehensseite. Lesen, Schreiben, Rechnen werden dadurch noch wichtiger. Digitaler Unterricht ist Mittel zum Zweck und soll dort eingesetzt werden, wo es Mehrwerte verspricht.

Reformkräfte an die Macht

Ein stärker in die Zukunft ausgerichtetes Mindset von Schulleitungen, Lehrkräften und Bildungsverwaltung trägt zum Gelingen von Veränderungen bei – statt eines Stillstandspaktes, des vergleichsweise einfachen Verhinderns. Solange das nicht gelingt, wird die Digitalisierung zwar nicht überflüssig, führt aber nicht zu den notwendigen – und erwarteten – Veränderungen.

Digitalisierung heißt: Investitionen in Infrastruktur und Technologie, inklusive Hard- und Software, Lernmanagementsystem, und vieles mehr. Laufende Kosten sind nicht minder bedeutsam: für Software- und Zugangslizenzen, Personal (unter anderem Administratoren) sowie Fortbildungen. Auch muss die Ausbildung reformiert und mehr auf digitalisierten Unterricht ausgerichtet sein. Alle (!) Schüler:innen brauchen digitale Endgeräte und ausreichenden Internetzugang zuhause. Viele Sozialleistungen sehen dies aber – immer noch nicht – vor.

Bildungsföderalismus zwischen Gaspedal und Bremse

Die damit verbundenen Kosten sind zu erheblichen Teilen von den Kommunen zu tragen, auch wenn es ergänzende Landes- und Bundesmittel gibt. Dabei stehen viele Kommunen unter Haushaltssicherung und dürfen nur Ausgaben tätigen, die zwingend sind.

Diese Kommunalzuständigkeit ist ein wesentliches Hemmnis, warum der Digitalpakt nicht in die Gänge kommt. Daneben sind Prozesse viel zu langsam, bürokratisch und kleinteilig, Projektfinanzierungen zu temporär und punktuell, zu spät und zu gering ausgestattet.

Gerne als Wettbewerbsföderalismus gepriesen, verkommt er zum Stillstandsföderalismus und politischem Pille-Palle-Spielen. Obwohl sich die Länder gerne die Einmischung des Bundes verbitten, geht der erste Schrei, wenn es um Geld für zusätzliche Ausgaben geht, nach zusätzlichem Bundesgeld.

Langwierige Aushandlungsprozesse und komplizierte Vorschriften verzögern den Start, bevor die Kommunen überhaupt anfangen können, Anträge zu erarbeiten. Solange der Antrag nicht bewilligt ist, darf die Kommune nicht mit den Anschaffungen beginnen. Ein wichtiger kommunaler Faktor dabei: Wie hoch sind die Folgekosten und wer trägt sie?

Neue Finanzierungsquellen erforderlich

Egal, ob Bund, Länder, Kommunen, egal, ob Investitionen oder laufende Kosten – die vorhandenen Mittel sind unzureichend, die Finanzierung der laufenden Kosten ohnehin nicht abgesichert, sondern Teil der jährlichen Haushaltsplanung. Nicht im notwendigen Umfang bewilligt, kommt es zum Investitionsrückstau.

Ergo: Das Bildungssystem hat einen großen Bedarf an zusätzlichem Geld. Die öffentlichen Haushalte können dies nicht alleine bewältigen. Es braucht einen Education Investment Fund, der Mehrausgaben privat vorfinanziert und dafür einen fairen Anteil an den zukünftigen Erträgen erhält – vom Status quo zur Zukunftsorientierung der Bildungsfinanzierung. Große Skalenerträge legen schon lange eine übergreifende, bundesweite Plattform nahe, über die Schulen, Lehrkräfte und Schüler:innen auf Technologie und Content zugreifen können; egal, von wem dieser Content kommt. Diese Art nationaler Plattform, die ich bereits 2003 vorgeschlagen habe, ist anders aufgestellt und angelegt als das mit viel Geld vom Bund geförderte Projekt.

Stattdessen macht jedes Land, jede Schule sein eigenes Ding, das dadurch begrenzt wird, was der entsprechende Anbieter gerade leisten kann. Auch hier steht der Föderalismus, aufgrund der betriebenen Kleinstaaterei, im Weg.

Wem gehören die Daten?

Dabei darf die Frage nicht vernachlässigt werden: Wem gehören die Daten? Aktuell gehören sie dem Anbieter der Lernmanagement- beziehungsweise Softwaresysteme – und nicht dem Bildungssystem. Entsprechend ist der Wettbewerb nicht nur, aber gerade für die großen Anbieter von großem Interesse und Kampfpreise naheliegend. Das führt zur Verdrängung innovativer lokaler Angebote.

Hier steht meines Erachtens nach eine Grundsatzentscheidung an: Wollen wir unsere (Schüler:innen-)Daten an diese Anbieter „verscherbeln“ oder wollen wir – wie beim Flugzeugbau – eine deutsche oder europäische Lösung. Und selbst dann bleibt die Frage, wer zu welchem Zweck auf die Daten zugreifen und sie nutzen darf. Hier beginnt der fließende Übergang zum Thema „KI in der Bildung“, bei dem mir unklar ist, inwieweit dessen strategische und grundsätzliche Relevanz, jenseits technischer Lösungen, in den Kultusministerien wirklich verstanden wird. Wer heute eine Ausschreibung auf Landes- oder Bundesebene gewinnt, hat einen riesigen Startvorteil, der kaum wieder aufgeholt werden kann. Sofern nicht vereinbart wird, dass die gesammelten Daten ausschließlich dem Land, und nicht dem Anbieter, gehören, besitzt sie der Anbieter. Dabei sind diese Daten die zentrale Grundlage für jede zielgerichtete Nutzung und Anwendung von ITS (Individuelle Tutoring-Systeme), die Lehrkräfte unterstützen, nicht deren Diagnosekompetenz ersetzen.

Digitale Kompetenzentwicklung ist entscheidend

Diese eher technischen Aspekte erfordern eine Kompetenzentwicklung bei Lehrkräften und Schüler:innen. Das betrifft nicht nur die Bereitschaft, sich den Themen Inhalte, Strukturierung und eigene Kompetenzen zu stellen, sondern erfordert hochwertige Aus- und Fortbildungsangebote, die neben dem Selbstlernen by doing stehen müssen. Betrachtet man aber die Budgets für Aus- und Fortbildung, so sind diese vor etwa zehn Jahren massiv eingedampft worden. Auch fahren viele Fortbildungseinrichtungen noch den alten Trott.

Es kann dabei nicht bei der Freiwilligkeit – oder geringen Stundenkontingenten – für Fortbildung bleiben, sondern es muss Teil des Berufsethos und der Eigenverantwortung der Lehrkräfte werden. Zwar ist ein Teil der Lehrkräfte hier sehr aktiv, aber große Teile sind kaum aktiv. Nach einem Jahr Corona-Pandemie geben fast 40 Prozent der Lehrkräfte an, digital nur wenig kompetent zu sein. Die ausschließliche Umstellung des Unterrichts auf digitalen Frontunterricht oder gar das Versenden von PDFs sind kein wirklich digitaler Unterricht. Vermutlich ist nur ein begrenzter Teil der Lehrkräfte in der Lage, anregungsreichen und vielfältigen Digitalunterricht anzubieten.

...und nicht zu vergessen: die Schüler:innen

Obwohl die meisten Schüler:innen Digital Natives sind, heißt das nicht, dass alle mit 10 oder 14 Jahren bereits digital kompetent sind. Hier bedarf es realistischer Erwartungen über die Leistungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen, ohne sie zu unterfordern. Eine wichtige Voraussetzung sind dabei auch eigene Endgeräte, von NotebookiPad über Smartphones hin zu Druckern und einer schnellen Internetverbindung zuhause. Hier zeigt sich die große soziale Ungleichheit: Während das alles für viele Kinder und Jugendliche selbstverständlich ist, gibt es eine Gruppe von 20 bis 25 Prozent, die sich zumindest Teile davon nicht leisten kann. Jedes fünfte Kind in Deutschland in Armut auf. Auch wenn, nach einem Jahr Corona-Pandemie, versucht wurde, teilweise Abhilfe zu schaffen, muss dies Teil der Sozialleistungen sein. Andernfalls werden diese Kinder und Jugendlichen nicht nur sozial, sondern von Bildungsprozessen ausgegrenzt – und damit von Zukunftschancen!

Dieter Dohmen ist Inhaber und Direktor des FiBS-Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie sowie geschäftsführender Gesellschafter der FiBS ElternHotline, eines social Edutech-Start-ups. Er ist Unternehmer, Berater, Forscher und Analyst.

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