Herr Süme, beim Thema Blockchain in der Energiewende kursiert oft das Bild des „Stromhandels über den Gartenzaun hinweg“. Der PV-Anlagenbesitzer verkauft den erzeugten Strom direkt an seinen Nachbarn – der klassische Energieversorger entfällt. Der PV-Anlagenbesitzer wird damit eigentlich zum Versorger und müsste wohl auch rechtlich so bewertet werden, oder?
Wenn man sich an den reinen Wortlaut der gesetzlichen Definition des Energieversorgungsunternehmens hält, dann könnte man in der Tat zu diesem Schluss kommen. Tatsächlich agiert der PV-Anlagenbetreiber hier als sogenannter „Prosumer“, also als „Producer“ und „Consumer“ in einer untrennbaren Doppelfunktion als Stromkunde und Stromlieferant gleichzeitig. Solche Konstellationen konnte der Gesetzgeber beim Energiewirtschaftgesetz nicht im Auge haben. Eine rechtliche Klarstellung wäre daher möglicherweise sinnvoll, um der Entwicklung dieser neuen Technologie Raum zu geben.
Wie könnte eine Lösung aussehen?
Möglich wäre eine gezielte Privilegierung von Privatpersonen im Energiewirtschaftsgesetz unter der Bedingung, dass die Energie ausschließlich an andere Privatpersonen im Rahmen eines gegenseitigen Austausches erfolgt. Denkbar wäre auch, den Begriff „Prosumer“ gesetzlich zu definieren und diese Personengruppe in den einschlägigen Vorschriften ausdrücklich von der Regulierung für Energieversorger auszunehmen.
Gibt es eine Art Vertragsgrundlage zwischen dem PV-Anlagenbesitzer und dem Nachbarn?
Ja, eine Vertragsgrundlage muss es natürlich auch bei solchen Modellen geben und die wird in der Regel von den Initiatoren und Betreiber der Technologie vorgegeben werden. In der Regel werden die teilnehmenden Nachbarn eine Art Rahmenvertrag des Betreibers der Technologie unterzeichnen, der dann alle Rechte und Pflichten der Nachbarn untereinander, aber auch gegenüber dem Technologiebetreiber regelt.
Was passiert, wenn der PV-Anlagenbesitzer dann doch nicht liefern kann oder ein anderer Fehler passiert. Wie ist das dann rechtlich zu bewerten?
Das wird hauptsächlich von dem jeweiligen Modell und dem zugrunde liegenden Vertrag abhängen. Derzeit handelt es sich of noch um Pilotprojekte wie dem „Brooklyn Microgrid“ in New York, bei dem mit einer Teilnahme bewusst keine Kosten und rechtlichen Risiken entstehen sollen. Aber eben auch keine Ansprüche, wenn etwas nicht funktioniert.
Welche rechtliche Verantwortung trägt außerdem der potenzielle Bereitsteller der Blockchain-Infrastruktur?
In einem echten „Bezahlmodell“ hat der Betreiber natürlich eine ganze Reihe von Verpflichtungen, die sich aus dem Energierecht, aber auch aus dem IT- und insbesondere dem Datenschutzrecht ergeben können. Auch hier hängen Details vom jeweiligen Geschäftsmodell ab. In vielen Fällen wird es sich um Zusatzangebote eines Energieversorgers handeln, mit dem bereits ein Vertrag besteht. Dann sind die grundlegenden Rechte und Pflichten schon einmal definiert.
Schauen wir auf die Rollen anderer, derzeit wichtiger Marktakteure im Energiebereich. Wie könnte Blockchain die Rollen verändern und wie ist das rechtlich zu bewerten?
Die Blockchaintechnologie hat ein hohes Disruptionspotential und wird daher in vielen Branchen die Rolle der tradierten Akteure aufmischen, neue Player werden in den Markt treten. Gerade für stark regulierte Branchen wie die Finanz- und Energiewirtschaft bedeutet dies auch spannende regulatorische Herausforderungen, denen sich die Akteure wie die Bundesnetzagentur frühzeitig stellen müssen. Möglicherweise entstehen durch die Blockchain Anwendungen und Geschäftsmodelle im Energiemarkt, die nicht, weniger oder mit einem ganz anderen Ansatz reguliert werden müssen. Dazu muss man die weitere Entwicklung erst noch abwarten.
Experten gehen davon aus, dass die Blockchain-Technologie den Energiemarkt schon in den nächsten Jahren grundlegend transformieren könnte. Wenn es schon heute so viele ungeklärte Fragen gibt, hinkt der Gesetzgeber da nicht weit hinterher?
Ich glaube nicht, dass der Gesetzgeber schon hinterherhinkt. Aber er darf gerade jetzt nicht den Anschluss verpassen und muss sich auf vielen Ebenen intensiv mit der Technologie auseinandersetzen, um frühzeitig gesetzlichen Anpassungsbedarf zu erkennen und innovationsfreundlich umzusetzen. Im Wirtschaftsministerium beschäftigt man sich ja durchaus mit dem Thema, aber es müssen dann eben auch frühzeitig Weichen gestellt werden.
Wie sieht es in anderen Ländern Europas aus? Was kann Deutschland bei der rechtlichen Bewertung von Blockchain-Infrastrukturen möglicherweise übernehmen?
Wir beobachten die Entwicklungen in anderen europäischen Ländern über unsere internationale Blockchainexpertengruppe in der Kanzlei sehr genau. So sehen wir zum Beispiel interessante Entwicklungen in Frankreich, wo vergangenes Jahr der rechtliche Rahmen für sogenannte „crowdfunding“ Finanzierungen vor dem Hintergrund der Blockchaintechnologie angepasst wurde. Auch in Großbritannien hat die Finanzaufsicht einen spannenden Ansatz mit einem „Sandbox“ Modell entwickelt, in dem blockchainbasierte Geschäftsmodelle im Finanzbereich zunächst ohne die erforderlichen Lizenzen, aber im kontrollierten Raum ihre Technologie und Geschäftsmodelle testen können. Solche regulierungsfreien Räumen sind enorm wichtig, um Innovationen nicht zu behindern. Davon kann sich Deutschland durchaus etwas abschauen.
Oliver Süme ist Fachanwalt für Internet- und IT-Recht bei der Kanzlei Fieldfisher.