Die weltpolitische Lage hat sich durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine weiter verschlechtert. Einerseits hat sich der als beendet geglaubte kalte Krieg in einen heißen Krieg mitten in Europa gewandelt und leitet eine Zeitenwende der europäisch/atlantisch-russischen Beziehungen ein. Andererseits nimmt auch die Heterogenität der internationalen geopolitischen Blockbildung zu, lehnen doch bei weitem nicht alle Länder den Krieg und die Verurteilung Russlands ab. Demokratisch verfasste Marktwirtschaften à la G7 sind zunehmend unter Druck, autokratische Staaten scheinen auf dem Vormarsch. Traditionelle Ansätze internationalen Austauschs, von denen Deutschland in den letzten Jahrzehnten stark profitiert hat, scheinen zu zerbrechen.
Es ist unmöglich, insbesondere angesichts des Kriegs in der Ukraine, der aktuellen Situation etwas Positives abzugewinnen. Doch müssen Bemühungen des Klimaschutzes weitergehen. Und hier erscheint die Situation ein Beschleuniger für den Klimaschutz, stärkt sie doch die vorhandenen Alternativen zum fossil-fissilen Energiesystem, die sowohl Kohle/Öl/Gas als auch der Atomkernkraft in allen Punkten überlegen ist (Ökonom*innen sprechen von Pareto-Superiorität): Erneuerbare Energien sind heute sauberer, günstiger und steigern die dezentrale Versorgungssicherheit.
Klimapolitik ist ein besonders komplexes Politikfeld an der Schnittstelle von lokalen, nationalen, europäischen und globalen Maßnahmen. „Die“ Klimapolitik gibt es nicht, vielmehr handelt es sich um ein Mehr-Ebenen System. Im Folgenden werden die Auswirkungen der aktuellen Situation auf jeder der Ebenen diskutiert und somit die These des Beitrags gestützt.
I. Globale Klimaschutzverhandlungen sind durch die aktuelle Lage nicht existenziell gefährdet und Anreize zum Ausstieg aus teuren und schmutzigen fossilen Energien steigen
Die globalen Klimaverhandlungen sind zäh, haben aber in den letzten Jahren Fortschritte generiert, zum Beispiel den Konsens zum Ausstieg aus der Verbrennung fossiler Energien. Die Isolierung Russlands in internationalen Gremien sowie die heterogene Blockbildung können die internationalen Klimaschutzverhandlungen schwächen, da ein Kernland mit großen Emissionen als Außenseiter auf weitere Klimaschutzbemühungen verzichten könnte. Somit wären anderen Großemittenten noch größere Anreize für Trittbrettfahrerverhalten gegeben als bisher. Angesichts der globalen Dynamik der Klimaschutzbemühungen ist die Gefahr eines Zusammenbruchs der globalen Klimaschutzbemühungen aber als gering einzuschätzen.
II. Verbesserte Rahmenbedingungen in der EU für Klimaschutz durch beschleunigte Abkehr von fossilen Energieimporten und aus der Atomkernkraft
Die Bemühungen der EU zur Unabhängigkeit von fossilen Energieimporten aus Russland und zur Steigerung der Versorgungssicherheit ermöglichen einen Fokus auf EU-weite und nationale Potenziale an Erneuerbaren. Kurzfristig kann es dabei zum Ersatz von Erdgas durch Kohle im Stromsektor sowie zu temporären Mehr-Importen aus anderen Regionen kommen. Jedoch wird deutlich, dass erneuerbare Energien nicht nur günstiger und sauberer, sondern, in Zusammenhang mit Flexibilitätsoptionen, auch besser für die Versorgungssicherheit sind. Somit bleiben die „Fit-for-55“-Ziele erreichbar, aber bitte ohne Plutonium! Auch wenn man die dort implizit angelegten Emissionseinsparungen durch den massiven Neubau von Atomkernkraftwerken rausrechnet, können die Ziele durch mehr erneuerbare Energien immer noch erreicht werden. Die EU kann daher noch konsequenter für Klimaschutz eintreten.
III. Beschleunigung des Ausbaus Erneuerbarer in den Nationalstaaten
In Deutschland (und natürlich in anderen Nationalstaaten) führt die Entwicklung zu einer Beschleunigung auf dem Weg zu Klimaneutralität, im Sinne der Energiewende hier interpretiert als ein System mit 100 Prozent erneuerbaren Energien. Der bereits von der Ampelkoalition vor dem 24. Februar 2022 vorgenommene Richtungswechsel zu Erneuerbaren wird auch von Parteien unterstützt, die bisher wesentlich weniger enthusiastisch für die Energiewende eingetreten sind. Der Kohleausstieg 2030 und die Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke im Dezember 2022 sind möglich, ohne die Sicherheit des Energiesystems zu gefährden, wie in unserem DIW aktuell 84 gerade gezeigt wurde. Der Erdgasausstieg, der nächste dringende Schritt für Versorgungssicherheit und Klimaschutz, ist greifbar geworden, der Erdölausstieg beschleunigt sich.
IV. Die dezentrale Klimawende beschleunigt sich ebenfalls
Auch auf niedrigeren föderalen Ebenen (Länder, Gemeinden, Quartiere) führt die aktuelle weltpolitische Lage zu verstärkten Anstrengungen zur Abkehr von fossilen Energien und dem Übergang zu Erneuerbaren. Die Perspektive erheblich eingeschränkter fossiler Energieimporte und hoher Importrechnungen führen zu einer Stärkung der zivilgesellschaftlichen Unterstützung für lokale Energiewenden. Hohe Energiepreise erleichtern die Umsetzung lokaler Prosumage-Gemeinschaften, zum Beispiel durch Mieterstrommodelle und lokale Wärmenetze. Anreize zur effizienten Nutzung von Energie steigen. Darüber hinaus fördert die aktuelle Krise weitere Einspar- und Flexibilitätspotentziale, die auch zu verändertem Verbrauchsverhalten („Suffizienz“) beitragen können.
V. Fazit:
Die Vordenkerinnen und Vordenker der Energiewende, unter
anderem E.F. Schumacher (1973, „Small is beautiful“) sowie Amory und Hunter
Lovins (1977, „Sanfte Energie“) sahen diese als Teil der sozial-ökologischen
Transformation, in der der Ausbau erneuerbarer Energien auch zu einer
friedlicheren und gerechteren Welt beiträgt. Heute, ein halbes Jahrhundert
später, ist die damalige Vision einer weitgehend erneuerbaren Energieversorgung
Realität geworden, die von einer friedlichen Welt leider noch nicht. Dennoch
sind erneuerbare Energien gerade in der aktuellen Situation die Alternative
zum fossil-fissilen Energiesystem und stärken damit auch die Perspektiven
für den Klimaschutz.
Dieser Text ist nach einem Streitgespräch auf der
Abschlusskonferenz des „Dialogs zur Klimaökonomie“ entstanden, die Ende Mai in
Berlin stattfand. Sie wurde vom IfW Kiel mit Unterstützung des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung organisiert. Nach dem heutigen Beitrag von Christian
von Hirschhausen von TU Berlin und DIW Berlin wird im Laufe der Woche eine
Replik von Jens Boysen Hogrefe (IfW Kiel) veröffentlicht mit dem Titel: „Der
Krieg ist kein Klimaschützer“.