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Energie & Klima

Standpunkte Eine Lösung für das Klimaschutz-Wohnkosten-Dilemma

Michael Zahn, Vorstandsvorsitzender Deutsche Wohnen
Michael Zahn, Vorstandsvorsitzender Deutsche Wohnen

Der Gebäudesektor verfügt über einen mächtigen Hebel zur Erreichung der Klimaziele: energetische Sanierungen. Hier ein höheres Tempo zu erreichen, erfordere ein schlüssiges Anreiz- und Finanzierungskonzept. Klimaschutz und Kostenverantwortung ließen sich ausbalancieren, schreibt Michael Zahn, CEO des Immobilienkonzerns Deutsche Wohnen, in seinem Standpunkt.

von Michael Zahn

veröffentlicht am 16.03.2021

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Ein Ende der Coronapandemie ist weiterhin nicht absehbar. Während diese in der öffentlichen Aufmerksamkeit seit mehr als einem Jahr allgegenwärtig ist, rückten die Themen Klimaschutz und Klimawandel in den öffentlichen und medialen Debatten zwischenzeitlich in den Hintergrund. Das hat sich zum Glück geändert – nicht erst, seit die USA dem Pariser Klimaschutzabkommen wieder beigetreten sind. Aus dem Bewusstsein der Bürger in Deutschland ist das Thema ohnehin nie verschwunden: 72 Prozent der Befragten halten laut einer repräsentativen Umfrage im Auftrag der Deutsche Wohnen den Umwelt- und Klimaschutz für das wichtigste Thema, wenn die Pandemie kontrolliert und beherrscht ist.

Ich sehe das ganz genauso. Wir dürfen diese existenzielle Zukunftsaufgabe nicht aus den Augen verlieren. Und wir wissen, dass der Immobilienbranche hier eine entscheidende Rolle zukommt. Denn der Gebäudesektor ist über den Wärmeverbrauch für ein Drittel aller CO2-Emissionen in Deutschland verantwortlich.  

Strategisches Gesamtkonzept für den Klimaschutz erforderlich

Um die Klimaziele zu erreichen, braucht es neben dem Umbau hin zu erneuerbarer Energie- und Wärmeversorgung vor allem einen energieeffizienten Gebäudebestand. Schlüsselfaktor für letzteren wird sein, die Rate der energetischen Sanierungen deutlich nach oben zu treiben. Aus unserer Sicht braucht es dafür ein ganzheitliches Anreiz- und Finanzierungskonzept.

Die Akzeptanz vor allem der Wohnungsnutzer zu finden, wird elementar sein. Eine faire Kostenverteilung bei der CO2-Kompensation und sozialverträgliche energetische Sanierungen: Dies sind zwei wesentliche Bausteine eines Gesamtkonzepts, das für die unbedingt notwendigen Sanierungsanstrengungen im Gebäudebereich Breite und Tiefe zugleich schafft.

Sanierungsbreite ausdehnen: Die Lösung für das Dilemma

Einen merklichen Schub für energetische Gebäudesanierungen wird es nur geben, wenn es gelingt, die Mieter mitzunehmen und sozialverträgliche Lösungen zu etablieren. Wir haben einen Vorschlag entwickelt, der zeigt: Das Klimaschutz-Wohnkosten-Dilemma ist lösbar.

Unser Modell sieht vor, dass die Erlöse aus der neuen CO2-Bepreisung des Wärmemarktes, die in den Energie- und Klimafonds (EKF) fließen, wieder in den Gebäudesektor reinvestiert werden und die Mieter entlasten: Dazu übernimmt der EKF im ersten Jahr nach der energetischen Sanierung einer Immobilie die vollen acht Prozent der Modernisierungsumlage, die ansonsten der Mieter tragen müsste.

In den darauffolgenden 14 Jahren schmilzt die Förderung in diesem Szenario linear auf null ab. Der Mieter profitiert so ab dem ersten Tag von einem niedrigeren Energieverbrauch und höherem Wohnkomfort, während er erst langsam in die Klimakosten einsteigt. Seine Bruttowarmmiete kann durch die eingesparten Energiekosten unter dem Strich sogar deutlich sinken – selbst für den absehbaren Fall, dass die CO2-Preise steigen. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat berechnet, dass unser Modell die Mieter bis 2050 um rund 123 Milliarden Euro entlastet, das sind rund vier Milliarden Euro jährlich. Individuelle Härtefälle würden weiterhin berücksichtigt. Für Selbstnutzer von Immobilien würde eine analoge Förderung greifen.

Die Umsetzung dieses Konzepts würde die Akzeptanz energetischer Sanierungen deutlich erhöhen – und hätte nach den IW-Berechnungen eine Modernisierungswelle mit zahlreichen positiven Effekten zur Folge: Die CO2-Emissionen im Gebäudesektor würden von aktuell
121 Millionen Tonnen auf 74 Millionen Tonnen im Jahr 2030 und 33 Millionen 2050 sinken. Im gleichen Zeitraum könnten rund 179 Milliarden Euro (rund sechs Milliarden Euro jährlich) an Umweltkosten vermieden werden – gerechnet als Klimafolgeschäden, die ansonsten durch die Energieerzeugung aus fossilen Brennstoffen entstanden wären.

Sanierungstiefe steigern: Bonus-Malus-System für faire Kostenaufteilung

Auch wenn es über den Hebel EKF-Modell gelingt, die Anzahl der Wohnungssanierungen zu steigern, erreichen wir einen klimaneutralen Gebäudebestand bis 2050 nur dann, wenn die Sanierungen auch die entsprechende Tiefe mitbringen. Gefordert ist auch hier ein Lösungsweg, der im Rahmen der neu gestarteten CO2-Bepreisung die Kosten und Anreize fair ausbalanciert.

Die Kosten dieser „CO2-Abgabe“ stellen aktuell Versorger von Heizenergie den Gebäudeeigentümern in Rechnung, welche diese wiederum über die Nebenkostenabrechnung komplett an die Mieter weiterreichen können. Diese pauschale Regelung sorgt für politischen Zündstoff. Denn in der Regel haben Mieter keinen Einfluss auf den energetischen Standard des Gebäudes, also auf Zustand von Gebäudehülle und Haustechnik.

Allerdings können sie sehr wohl einen Beitrag zum Klimaschutz leisten – indem sie ihren individuellen Verbrauch beispielsweise durch richtiges Lüften und Heizen senken. Die Kosten der CO2-Emissionen also umgekehrt vollständig den Vermietern aufzubürden, wie es teils auch politisch gefordert wird, wäre deshalb ebenso wenig zielführend und würde die falschen Anreize setzen.

Wir als Deutsche Wohnen setzen uns daher für ein Bonus-Malus-Anreizsystem ein, das die finanziellen Belastungen durch die CO2-Bepreisung nach dem Verursacherprinzip aufteilt: Die Verteilung der Kosten zwischen Mieter und Vermieter sollte sich nach dem energetischen Zustand des Gebäudes richten, der im Bedarfsausweis mit der Einordnung in eine bestimmte Energieeffizienzklasse dokumentiert ist. Hat ein Objekt einen sehr hohen Energiebedarf, sollte der Vermieter stärker zur Kasse gebeten werden als seine Mieter. Wohnen die Mieter hingegen bereits in einem sanierten Gebäude und verursachen gleichwohl hohe Energiekosten, sollte deren Eigenanteil höher liegen.

Dieses Modell entfaltet eine doppelte Lenkungswirkung: Die Vermieter haben einen Anreiz, zur energetischen Sanierung – und die Mieter werden gleichzeitig dazu motiviert, klimaschonend zu leben.

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat für die Deutsche Wohnen berechnet, dass die Sanierungsrate bundesweit auf jährlich 2,5 Prozent steigen müsste, damit Deutschland seine Klimaziele erreichen kann. Dafür ist ein großer Sprung notwendig, denn seit längerem stagniert die Rate bei rund einem Prozent. Konkret müssen bis 2050 jährlich rund eine Million Wohnungen durch Wärmeschutzmaßnahmen energetisch ertüchtigt werden.

Es bleibt also viel zu tun – und 2050 ist nicht so weit entfernt, wie mancher glaubt. Wir wissen, wie groß der Hebel unserer Branche ist, wenn es darum geht, zum Erreichen der Klimaziele beizutragen. Deutschland muss die notwendigen politischen Rahmenbedingungen schaffen und einen gesamtgesellschaftlichen Impuls geben, um diesen Hebel zu lösen. Unser Konzept zur Steigerung der energetischen Sanierungen verstehen wir als Anstoß in einer immens wichtigen Debatte.

Michael Zahn ist Chief Executive Officer der Deutsche Wohnen SE mit Sitz in Berlin. Der börsennotierte Konzern gehört zu den größten Immobilienunternehmen Europas.

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