Herr Krischer, am heutigen Mittwoch beginnen die Sondierungsgespräche für eine Jamaika-Koalition. Freuen sich die Grünen auf die Möglichkeit der Regierungsbeteiligung oder überwiegt die Sorge, dass eigene Anliegen aufgeweicht werden?
Kategorien wie Freude oder Sorge sind dabei nicht entscheidend. Wir haben einen Wählerauftrag bekommen und jetzt geht es darum, eine gemeinsame Linie zwischen allen beteiligten Parteien zu finden. Natürlich gibt es ganz unterschiedliche Erwartungen, auch bei der Energiepolitik. Das wird sicherlich eine Herausforderung sein. Aber wir sehen das auch als Chance, grüne Politik umzusetzen.
Sie haben keine Sorge, dass die Positionen der Grünen in einer Jamaika- Koalition verwässern werden?
Ich habe keine Sorge, dass wir irgendwie unschärfer werden, denn wir werden weder das CDU-Programm beschließen noch das FDP-Programm. Wir haben einen Zehn-Punkte-Plan vorgelegt, mit den Themen, die für uns in einer Regierung Priorität haben müssen. Da muss es substanzielle Bewegung in die richtige Richtung geben.
Für die Grünen ist der Kohleausstieg ein Dreh- und Angelpunkt erfolgreicher Energie- und Klimapolitik. Ihre Partei hat zuletzt das Ausstiegsdatum 2030 genannt. Da haben FDP und CDU gesagt, dass dies mit ihnen nicht zu machen sei. Wie wichtig ist das konkrete Ausstiegsdatum bei der Braunkohle?
Mittlerweile ist zum Glück allen klar, dass die Zeit der Kohle vorbei ist. Das war vor vier Jahren noch ganz anders. Wenn es einmal zu dieser gesellschaftlichen Erkenntnis gekommen ist, muss der strukturierte Prozess einfach so schnell wie möglich eingeleitet werden. Deutschland hat schon mehrfach bewiesen, dass wir solche Prozesse schaffen. Je früher man anfängt, umso besser. Nehmen wir nur mal Nordrhein-Westfalen mit dem Ausstieg aus der Steinkohle. Oder auch den Atomausstieg.
Aber würden Sie auch von der konkreten Zahl abrücken, wenn denn mit anderen Wegen Klimaschutz erreicht würde?
Deutschland muss bis 2050 CO2-neutral sein, so steht es im Pariser Klimaabkommen. Aus meiner Sicht ist es da ziemlich klar, dass der Kohleausstieg bis Anfang der 2030er-Jahre erfolgen muss. Und ziemlich klar ist dann auch, dass ab dann kein fossil betriebener Verbrennungsmotor mehr zugelassen werden darf. Das sind nun einmal physikalische Gesetzmäßigkeiten. Wenn uns jemand eine andere Lösung präsentieren kann, wie die Klimaschutzziele zu erreichen sind, sind die Grünen dafür offen. Es geht ja nicht um Verbote, und ich habe auch kein persönliches Problem mit dem Verbrennungsmotor. Dieser kann gerne weiter existieren, wenn er mit CO2-neutralen Kraftstoffen betrieben wird. Die Politik muss nicht den Technologie-Schiedsrichter spielen.
Die Grünen sagen also, der Markt soll es entscheiden?
Es ist Aufgabe der Politik, die klaren Rahmenlinien zu setzen. Festgelegt wird, dass jeder Sektor einen bestimmten Beitrag zum Klimaschutz leisten muss. Es ist den Herstellern zu überlassen, welche Modelle sie auf den Markt bringen, aber in jedem Fall müssen sie zur Erreichung der festgelegten Ziele beitragen. Nur muss man ja ganz ehrlich sagen, dass in den letzten Jahren zumindest in der Automobilindustrie kaum etwas passiert ist. Das Ziel der Bundeskanzlerin von 2007, eine Million Elektroautos bis 2020 auf den Markt zu bringen, hat sich erledigt, weil die Bundesregierung lange nichts dafür getan hat. Die Bundesregierung hat in Brüssel immer konsequent gegen die Festsetzung ambitionierter CO2-Grenzwerte für Pkw lobbyiert. Diese scheinbar schützende Hand der Bundesregierung hat der deutschen Automobilindustrie am Ende extrem geschadet. Damit muss Schluss sein.
Welche Hürden mit Sicht auf die Energiepolitik sind die höchsten bei den anstehenden Gesprächen?
Für uns Grüne ist ganz zentral, die Klimaschutzziele zu erreichen. Grüne Regierungspolitik bedeutet, dass zu den Energie- und Klimazielen auch entsprechende Maßnahmen gehören müssen. Es kann nicht so laufen wie im Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb in NRW: Sich erst zum Pariser Klimaabkommen bekennen und drei Zeilen weiter den kohlelastigen Strommix nicht verändern wollen – das geht nicht. Es bedarf tatsächlicher Veränderung und, um die Ziele zu erreichen, auch ein Stück weit mutiger Politik. Und es ist absolut nicht so, dass dies der Industrie schaden würde. Ganz im Gegenteil: Wir sehen Klimaschutz als ein Modernisierungsprogramm für Deutschlands Industrie. Und da gibt es Anknüpfungspunkte mit Union und FDP. Unser gemeinsames Anliegen sollte doch sein, dass die wegweisende Technologie für den Energie- und Verkehrssektor der Zukunft nicht in China hergestellt wird, sondern in Deutschland.
Wie mutig kann die Politik denn sein, ohne dass die Industrie mauert?
Die Industrie schreit bei jedem mutigen Vorstoß für den Klimaschutz erstmal auf. Dass es ihnen nicht geschadet hat, sehen sie meist erst hinterher. Ich nenne ein Beispiel: Die sogenannte REACH-Verordnung, die unter anderem den sicheren Verkehr gefährlicher Chemikalien regelt, trat 2007 in Kraft, und die etablierten Chemiekonzerne waren nicht glücklich damit. Sie haben gesagt: Wenn ihr das einführt, wird es keinen einzigen Chemie-Arbeitsplatz mehr in Deutschland geben. Ich habe vor einiger Zeit mit einem Manager von Bayer diskutiert und der sagte: Dank dieser Verordnung haben wir gegenüber Konkurrenten aus Asien einen Wettbewerbsvorteil, weil es dort gerade eingeführt wird, wir das aber schon lange kennen. Er konnte sich natürlich noch genau daran erinnern, dass es damals anders gesehen wurde. Und ich erinnere an das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Das war ein mutiger Vorstoß, ohne den unser Energiemarkt keinesfalls so aussähe, wie es heute der Fall ist – und vor allem ohne die Stromerzeugung aus Wind und Sonne nicht konkurrenzlos günstig geworden wäre.
Die FDP will das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) abschaffen. Das ist auch ein Streit, der auf Sie zukommen wird.
Dann sollen sie bitte einen anderen Vorschlag machen, wie wir den Ausbau der erneuerbaren Energien voranbringen. Wir haben einen Strommarkt, bei dem erneuerbare Energien ohne EEG gegen alte, abgeschriebene Kohlekraftwerke konkurrieren müssten. Auf dieser Basis kann niemand eine Windkraftanlage an Land bauen. Dann wird der weitere Ausbau sehr schwierig.
Was wäre ein großer Wurf ähnlich wie das EEG, den die Grünen in der kommenden Legislaturperiode angehen wollen?
CO2 muss über alle Sektoren endlich einen angemessenen Preis bekommen. Das umzusetzen, könnte der Jamaika-Koalition eine Chance bieten. Denn CO2-Ausstoß über Bepreisung zu reduzieren, ist ja ein zutiefst marktwirtschaftlicher Ansatz. Dem kann sich doch auch eine FDP nicht verweigern.
Welche Rolle wird denn ein Oliver Krischer in der nächsten Bundesregierung haben?
(lacht) Darüber entscheide nicht ich. In bin gewählter Abgeordneter im neuen Bundestag und kümmere mich aktuell bei Sondierungen und möglichen Verhandlungen um die Themen Umwelt, Klima, Energie, Verkehr und Bauen. Alles weitere werden wir sehen.
Oliver Krischer ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der
Grünen im Deutschen Bundestag. Er ist Koordinator des Arbeitskreises
Umwelt & Energie, Verkehr & Bau sowie Ernährung &
Landwirtschaft und wird in den Koalitionsverhandlungen aller Voraussicht
nach die Arbeitsgruppe Energie leiten.