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Energie & Klima

Kohleausstieg IG BCE in harter Abwehrstellung gegen Teilausstieg aus der Kohle

Auf einer Betriebsräte-Konferenz kritisiert die Gewerkschaft IG BCE die Pläne zur Stilllegung von Kohlekraftwerken scharf, will das Klimaziel 2020 nicht akzeptieren und schreckt auch vor Zuspitzungen nicht zurück. Unterstützung gab es von RWE und Evonik, während Fachpolitiker aus dem Bundestag sich eher zurückhaltend äußerten.

veröffentlicht am 11.12.2017

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Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) hat sich auf einer Betriebsrätekonferenz in Berlin mit harter Kritik gegen einen möglichen Teilausstieg aus der Kohleverstromung für die anstehenden Koalitionsverhandlungen in Stellung gebracht. Gewerkschaftschef Michael Vassiliadis sagte, es gebe nun eine „neue Intensität“ in der Auseinandersetzung und hielt sich anschließend selbst nicht mit markanten Worten zurück. Die Politik bestelle, aber die Beschäftigten der Energiebranche und der energieintensiven Industrie bezahlten die Zeche. „Es muss nun Schluss sein mit der Zechprellerei, so geht es nicht weiter, jedenfalls nicht ohne Strukturbrüche“, sagte er.


Es stelle sich grundsätzlich die Frage, so Vassiliadis weiter, ob man sich denen anschließe, die Klimaschutzziele überhöhten, fundamentalistisch angingen und in eine „religiöse Dimension“ höben. Wer den Eindruck erwecke, dass in den Braunkohlerevieren in der Lausitz und im Rheinland dafür gesorgt werde, „dass die Welt schneller untergeht“, sei zynisch. Im Energiesektor würden einige Technologien heroisiert und andere verteufelt. „Da war die DDR noch effizienter.“


Neben dieser Fundamentalkritik der deutschen Energiepolitik äußerte sich der IG-BCE-Vorsitzende auch zu den konkreten politischen Zielen. Die Gewerkschaft unterstütze zwar das Zwei-Grad-Ziel der globalen Klimapolitik und sei erfreut über die Einigung auf dem Klima-Gipfel in Paris im Jahr 2015. Das nationale Klimaziel, die Emissionen Deutschlands bis 2020 im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu senken, griff er allerdings an: „Ich kann der Politik nur empfehlen, ihr 2020-Ziel so zu verstehen, dass es um die 20er-Jahre und nicht 2020 geht“, sagte. Deshalb sei es keine Sünde, das 20er-Ziel zu dehnen und am besten mit den großzügigeren Klimazielen von Paris zu synchronisieren.


2020 würden Reduktionen von 34 bis 35 Prozent erreicht. Kein Land dieser Erde habe das geschafft, so Vassiliadis weiter. „Wer 2020 termingenau halten will, wird Strukturbrüche verursachen“, sagte er mit Blick auf die Braunkohlereviere am Niederrhein und in Ostdeutschland. Das 2020-Ziel beizubehalten, aber dann zu verfehlen, löse zudem „große Frustration“ bei den Wählern aus.


Wenn man aber eine Politik des Strukturwandels betreibe, erwarte die IG BCE, das sozialverträglich hinzubekommen. Die betroffenen Unternehmen seien anders als früher am Rande der Leistungskraft. „Wer politisch Arbeitsplatzverluste erzwingt, der muss auch bezahlen.“ Hier seien insbesondere Union und SPD in der Pflicht, die das Thema Strukturwandel gut kennten.


Spitzenmanager von großen Industrieunternehmen – ein ungewöhnlicher Schritt – suchten auf dem Gewerkschaftstreffen den engen Schulterschluss mit den Beschäftigten der Branche. Rolf Martin Schmitz, der Vorstandschef von RWE, kritisierte in seiner Rede zunächst die deutschen Umweltorganisationen. Diese hätten auf Englisch die treffendere Bezeichnung Pressure Groups und übten Druck aus. „Wir erleben das massiv“, beklagte er sich. Dies reiche von etablierten Organisationen bis zu „gewalttätigen Splittergruppen“.


Schmitz ging weiter vor allem auf das Thema Versorgungssicherheit und die Jamaika-Koalitionsverhandlungen ein. „Mich hat schon sehr gewundert, dass in den Jamaika-Verhandlungen immer neue und höhere Gigawatt-Zahlen die Runde machten“, sagte er zu den Abschalt-Plänen, die Union, FDP und Grüne ohne Einigung diskutiert hatten. „All das sollte einfach mal so vom Netz genommen werden. Offenkundig ging es um Symbole, ohne an die Konsequenzen zu denken.“ Stattdessen solle man auf Fachexpertise setzen. Das hieße zum Beispiel die Bundesnetzagentur zu befragen, so Schmitz.


Der Kraftwerkspuffer in Deutschland schrumpfe, gleichzeitig sinke auch die Kapazität in den Nachbarländern. Sich auf Stromimporte aus dem Ausland zu verlassen, sei deshalb „sehr, sehr riskant“. „Mit der Versorgungssicherheit zu spielen, heißt, mit der Schlagader unserer Industriegesellschaft zu spielen“, sagte Schmitz und erntete dafür lauten Applaus von den rund 1000 Betriebsräten, die sich auf dem Treffen in Berlin versammelt hatten. Auch Schmitz forderte, dass das 2020-Ziel aufgegeben wird. „Statt Symbolpolitik 2020 brauchen wir langfristige europäische Rahmenbedingungen. Dafür sollten wir gemeinsam streiten“, sagte er.


Auch Christian Kullmann, der Vorstandsvorsitzende des Chemiekonzerns Evonik, äußerte deutliche Kritik an der deutschen Klimaschutzpolitik vor den Gewerkschaftern. Ohne Subventionen in Höhe von 25 Milliarden Euro pro Jahr seien regenerative Energien nicht wettbewerbsfähig. Durch die Unterstützung drängten sie aber wiederum Gas- und Kohlekraftwerke aus dem Markt. „Das macht unseren Industriestandort nicht attraktiver“, sagte Kullmann.


Einen fixen CO2-Preis in Ergänzung zum europäischen Emissionshandel lehnte Kullmann ab. „Das hieße, dass wir heute schon wissen, was gute und was schlechte Technologien sind“, sagte er. Wer an technologische Brücken glaube und den Forschern vertraue, „der kann und der darf nicht für einen Mindestpreis bei der CO2-Emission sein“. Er könne den Lockruf der französischen Politik gut verstehen, fügte Kullmann hinzu. Am Ende sei es nicht unattraktiv für Frankreich, „wenn alte französische Atommeiler von uns subventioniert werden“.


CDU stellt ebenfalls Klimaziel 2020 infrage


Im Vergleich zu den scharfen Worten und harten Positionierungen der Branchenvertreter nahm sich die anschließende Diskussionsrunde von Bundestagsabgeordneten mit dem Schwerpunkt Energie deutlich gemäßigter aus. Die Klimaexpertin der Grünen, Annalena Baerbock, betonte, Grundlage für die Forderung der Grünen in den Jamaika-Verhandlungen, die 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke vom Netz zu nehmen, sei auch eine Analyse der Versorgungssicherheit gewesen. Sonst hätten die Grünen schließlich die Abschaltung aller Kohlekraftwerke gefordert. „Der Strukturwandel treibt mich um“, reagierte sie zudem auf Kritik, das Schicksal der Braunkohleregionen sei den Grünen nicht wichtig. Genau deshalb habe sie dafür gekämpft, eine Milliarde Euro für diesen Strukturwandel bereitzustellen.


FDP-Energieexperte Michael Theurer bestritt, dass es eine Einigung in den Jamaika-Gesprächen auf die Abschaltung von Kohlekraftwerken mit sieben Gigawatt Leistung bis 2020 gegeben habe, was zwischenzeitlich verbreitet worden war. „Wir waren der Meinung, drei bis fünf Gigawatt ist das Maximale, was geht. Es war richtig, auf diesen Standpunkt zu bestehen“, betonte er.


Thomas Bareiß von der CDU stellte erneut infrage, ob, das 2020-Ziel erreicht werden müsse. Stattdessen solle sich die Politik auf die 2030-Ziele konzentrieren. Der Strukturwandel müsse Stück für Stück erfolgen. „Wenn wir in der Lausitz 50 Prozent AfD-Wähler wollen, dann müssen wir so weitermachen“, sagte Bareiß.


Bernd Westphal von der SPD, selbst IG-BCE-Mitglied, äußerte sich trotz der jüngsten Forderung seines Parteichefs Martin Schulz, aus der Kohle auszusteigen, äußerst zurückhaltend. Energiepolitik sei „nicht das wichtigste Thema“ etwaiger Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD. „Wohlstand und Wertschöpfungsketten, das muss man besonders berücksichtigen, wenn man den energiepolitischen Kurs festlegt“, sagte er. In die Verhandlungen werde man ohne Berücksichtigung des Zwischenstandes der Jamaika-Gespräche einsteigen. „Wir werden neu beginnen. Die Zwischenergebnisse, die man von außen mitbekommen hat, sind nicht in er energiepolitischen Realität zuhause“, schloss er.


Die „Berliner Erklärung“ der IG BCE, die auf dem Kongress anschließend diskutiert und beschlossen wurde, fiel weit hinter die Schärfe der mündlich vorgetragenen Äußerungen zurück. Dort heißt es zum Beispiel, „wer beschleunigt einen einseitigen Ausstieg zum Beispiel aus der Kohle und anderen fossilen Energieträgern erzwingen will, riskiert eine zuverlässige Stromversorgung und setzt leichtfertig die Zukunft guter Arbeit in der Industrie aufs Spiel“.

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