In der Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) fordert die Bundesregierung die Kunststoffindustrie zum fundamentalen Umbau ihres Geschäftsmodells auf, weg vom Erzeuger linearer Kunststoffprodukte hin zum Zirkularitätsdienstleister für Kohlenstoffe. Dies setzt ein radikales Umdenken bei Shareholdern und Management der Kunststoffindustrie voraus und wird ohne flankierenden gesetzlichen Rahmen Wunschvorstellung bleiben. Daher ist es wichtig, durch Steuerungsinstrumente wie etwa eine gezielte Kunststoffsteuer einen Business Case für die Kreislaufführung von Kunststoffen zu schaffen.
Lineare Produktion und einmalige Nutzung von Kunststoffprodukten müssen im Ergebnis zu unrentablen Geschäftsmodellen führen, während die Bundesregierung zumindest für den Beginn des Transformationsprozesses lenkend in den Markt eingreifen und einen Rahmen setzen muss, der die wirtschaftlichen, technologischen und sozialen Nachteile von Mehrweg-Modellen beziehungsweise von der Produktion von Kunststoffrezyklaten überkompensiert.
KI als Schlüssel für eine erfolgreiche Kreislaufwirtschaft
Weiterhin sollte die Bundesregierung die Rolle der künstlichen Intelligenz für das erfolgreiche Schließen des Kunststoffkreislaufes berücksichtigen, hier auch bei der F&E-Maßnahmen erwägen, inwiefern gesondert Mittel für diesen Bereich zur Verfügung gestellt werden können. Insofern sind alle Maßnahmen zu begrüßen, die die Transparenz und Datenerfassung der Stoffströme in der Kunststoffkreislaufwirtschaft erhöhen.
Etwaige Interessen an Geschäftsgeheimnissen, die in Spannung zu dem Ziel erhöhter Transparenz stehen, können unter anderem über Regelungen für den Digitalen Produktpass erfasst werden dahingehend, dass eine Datenweitergabe in Anlehnung an das Datenschutzrecht nur gemäß eines “Need-to-know”-Prinzips verankert wird. Dementsprechend erhalten Marktteilnehmer nur Zugriff auf die Daten, die für das Erreichen erhöhter Zirkularität im Umgang mit dem Material auf der jeweiligen Wertschöpfungsstufe tatsächlich relevant sind.
Reduzierung des Einsatzes von Neukunststoffen
Die Bundesregierung sollte zudem die absolute Senkung von neuem Kunststoffverbrauchs explizit in der Vision für die Kunststoffkreislaufwirtschaft aufnehmen. In der jetzigen Form enthält der Entwurf lediglich eine Senkung der Kunststoffabfälle als visionäres Ziel, damit bleibt es insofern hinter dem ersten strategischen Ziel der Senkung des Primärrohstoffverbrauchs aus Kapitel 2 zurück.
Neben der Durchsetzung von Reyzklateinsatzquote sollte konsequent die Einführung einer Steuer für den Verbrauch von Primärkunststoffen geprüft und klimaschädliche Subventionen für die Neuwareproduktion abgeschafft werden, mit dem Ziel, ein “Unlevel Playing Field” zugunsten der Sekundärrohstoffe zu schaffen. Noch wird die lineare Kunststoffproduktion politisch begünstigt, weshalb sich die Skalierung der Kunststoffkreislaufwirtschaft schwertut, weil der Business Case nicht gesichert ist. Ein Einspeisevorrang für Kunststoffrezyklate bzw. eine Einspeisevergütung sollte in seiner konkreten Ausgestaltung von der Bundesregierung geprüft werden.
Bei der Ausarbeitung der Kunststoffsteuer sollte auch berücksichtigt werden, dass Unternehmen auf Materialalternativen zurückgreifen, die eine hohe Kreislauffähigkeit und einen geringeren Carbon Footprint aufweisen als die Verwendung von Neukunststoff als Ausgangsmaterial.
Die Lobbymacht des chemischen Recyclings
Wichtig ist außerdem, dass das chemische Recycling nicht als “komplementär/ergänzend”, sondern als “subsidäre/nachrangige” Technologie klassifiziert wird. Denn das Kreislauf- und Klimaschutzpotenzial bei fortschrittlichem mechanischen Recycling ist um den Faktor 10 größer als das des chemischen Recyclings, wie auch die Studie der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften aus dem Jahr 2020 herausgestellt hat.
Eine Komplementarität ist kontraproduktiv, da es eine Gleichwertigkeit in den Anstrengungen bei Forschungsförderung und Technologieausbau zementiert: Die existierenden mechanischen Recycler kümmern sich um den Ausbau des mechanischen Recyclings, die petrochemische Industrie um den Ausbau des chemischen Recyclings.
Ein solcher Ansatz aber läuft Gefahr der massiven Fehlsteuerung. Denn: Bei der postulierten technologischen Grenze des mechanischen Recyclings handelt es sich um eine fließende, die auch und gerade deswegen im mechanischen Recycling noch nicht ausgeschöpft wurde, weil in der Vergangenheit hier der Business Case und damit Investitionen in Forschung, Entwicklung und Kapazitätsaufbau ausgeblieben sind.
Wirkliche Technologieoffenheit
Die petrochemische Industrie hat einen solchen prioritären Ausbau der mechanischen Recyclingtechnologien bisher weder unterstützt noch selbst gefördert mitentsprechenden Ressourcen. Insofern ist der Verweis auf das chemische Recycling als “Ergänzung” zum mechanischen eine (nur schwach verkleidete) Schutzbehauptung dafür, warum man sich in der Petrochemie überproportional stark im chemischen Recycling engagiert, ironischerweise ganz im Widerspruch von der von ihr immer wieder eingeforderten “Technologieoffenheit”. Ein derart verzerrter Wandel hin zu einer wirklichen nachhaltigen Chemieindustrie schadet am Ende nicht nur dem Planeten, sondern vor allem dem Industriestandort Deutschland.