Wie bewältigen Stadtwerke das Zusammenwachsen der Energiesysteme, also des Strom-, Mobilitäts- und Wärmesektors? Das wird unter der Überschrift Sektorenkopplung ja derzeit überall diskutiert.
Sie bewältigen das auch jetzt schon, weil es ja für klassische Stadtwerke keine neuen Themen sind. Das klassische Stadtwerk hatte ja schon immer Netze, Versorgungssparten, den Nahverkehr, manchmal noch Fernwärme oder eine Energieerzeugungssparte. Da gibt es auch Synergien. Wuppertal ist ein gutes Beispiel dafür. Da wurde ein Kohlekraftwerk abgeschaltet und ein Müllheizkraftwerk angeschaltet. Das hat beachtliche Einspareffekte bei den Kohlendioxid-Emissionen. Das andere ist über das Stadtwerke-Modell hinausgedacht, ist die Rolle der Stadtwerke als Systemmanager. Das sage ich jetzt auch als Oberbürgermeister einer Stadt, die wächst, wenn auch nicht ganz so stark wie Berlin. Wir schaffen Wohnraum, weil es hohen Bedarf dafür gibt. Da setzen wir das Stadtwerk bewusst als Infrastrukturmanager ein. Wir schauen uns das Gebiet nicht nur aus der Perspektive der Stadtentwicklung an, oder aus der Perspektive der sozialen Zusammensetzung. Sondern wir schauen es uns integriert an: wie ist die Luftqualität in der Stadt, wie können wir die Fernwärme hinlegen, wie muss eine Stellplatzverordnung aussehen, dass man gar nicht auf die Idee kommen muss, alles mit dem Auto zu machen. Da werden dann eine Fahrradabstellstation, Elektroladestation, der W-Lan-Spot für das Quartier und der Nahverkehr mitgeplant.
In Wien werden neue Stadtviertel nur noch an Orten zugelassen, wenn auch Abwärme beispielsweise von Industrieunternehmen für die Wärmeversorgung genutzt werden kann. Ist das für Sie auch ein Thema?
Das kann ein Thema sein. Das ist regional sicher unterschiedlich zu beantworten. Ich kenne im eigenen Bundesland ja auch Gebiete, wo man nach Industrie lange suchen muss. Aber dort, wo es passt, kann man solche Überlegungen mit in die Planung aufnehmen. Da gibt es Möglichkeiten für die Kommunen, das planerisch zu gestalten. In Mainz setzen wir stark auf Fernwärme, die aus der eigenen Müllverbrennung kommt. Aber das zu verbinden, halte ich für sinnvoll und notwendig. Denn wir haben uns ja auch auf die Klimaziele verpflichtet. Übrigens auch als Verband. Wir waren der erste Verband in der Energiewirtschaft, der sich auf die Dekarbonisierung bis 2050 verpflichtet hat. Das ist ein gewollter Anspruch.
In Sachen Elektromobilität wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Verteilnetze in den Städten gar nicht in der Lage seien, viele Schnellladestationen auch zu versorgen. Wie sehen Sie das?
Wir sehen es nicht so. Das ist ja Physik. Der normale Hausanschluss hat 30 Kilowatt Leistung. 30 Föhne könnte ich anschließen. Derzeit haben wir kein Netz- und Stabilitätsproblem. Mit mehr Elektroautos werden wir aber auch die Netze ausbauen müssen. Dies muss im Gleichklang einhergehen. Die Netze werden durch die Digitalisierung aber auch schlauer. Und mit intelligentem Laden lässt sich auch da mehr Effizienz gewinnen. Die Netze sind dann kein Ausbauhemmnis für die Elektromobilität. Ganz bestimmt nicht. Wir managen die Netze als Stadtwerke seit Jahrzehnten professionell und verlässlich. Zukünftig werden wir noch stärker die Ladeinfrastruktur ausbauen. Da kommt man auch weg von der Bürgermeister-Ladesäule der vergangenen fünf Jahre…
Bürgermeister-Ladesäule?
Nach dem Motto: Wir laden mal die Presse ein und machen ein schönes Foto von einer Ladesäule direkt vor dem Rathaus.
Hatten Sie auch eine?
Nein. Ich hatte nie eine. Da wurde dann öffentlichkeitswirksam gesagt: Die Elektromobilität ist auch bei uns zu Haus. Auch wenn die Ladesäule am denkbar ungünstigsten Standort stand. Der Symbolgehalt war erkennbar. Davon kommen wir schnell weg. In der Fläche wird die Infrastruktur zügig ausgebaut. Aber: Wirtschaftlich gehen wir damit in die Vorleistung. Verdienen tun wir daran nichts. Wann die Investition in die Elektroladesäule, die wir gerade in Mainz in Parkhäusern einführen, wieder reinkommt, weiß niemand. Ganz klassisch, weil Stadtwerke sich solcher Themen annehmen, bevor sich das bis zum letzten Cent gelohnt haben wird. Aber daraus werden sich auch neue Geschäftsmodelle entwickeln. Da bin ich mir sicher.
Die Digitalisierung, die für all diese Aufgaben nötig sind, ist die Basis für neue Geschäftsmodelle für die Stadtwerke, kann aber auch eine echte Herausforderung für sie sein. Wo sehen Sie die Unternehmen derzeit?
Wir haben als Verband ja damit angefangen, Stadtwerke mit Start-ups zusammenzubringen, um da weiter zu kommen. Das war ziemlich gut, fanden wir. Am Anfang war das ein bisschen verrückt. Aber es hat gut funktioniert. Wir sind nicht besser als die Industrie aber auch nicht schlechter. Die kleineren Unternehmen werden bestimmt stärker auf Kooperationen setzen als die größeren, damit sie die neuen Chancen auch ergreifen können. Ich habe aber keine großen Sorgen. Unsere Unternehmen mit ihrer Nähe zu den Kunden halten wirklich gut mit. Die Kundenanforderungen kommen auch bei den Unternehmen an. Fragen zur intelligenten Haussteuerung kommen auch bei uns an. Da gibt es auch gute Antworten. Wir gucken aber mit Sorge auf das Gemeindewirtschaftsrecht. Denn wir sind natürlich alle noch im subsidiären Denken, aber die Entwicklung 4.0 braucht auch eine rechtliche Absicherung 4.0. Wenn wir im Mainzer Aufsichtsrat ein Thema hätten, mit einem Start-up etwas zu unternehmen, dann müssten wir erst einmal sechs Wochen warten, bis die Kommunalaufsicht uns sagen kann, was wir eigentlich dürfen oder wie wir das machen sollen. Bis dahin hat das Start-up längst einen neuen Partner gefunden. Da müssen wir sehr darauf achten, dass die Rechtsstruktur auch mitwächst.
Was müsste da denn reformiert werden?
Das Gemeindewirtschaftsrecht gerät mehr in den Fokus. Im Koalitionsvertrag in Nordrhein-Westfalen ist da ja auch zu beobachten, dass ganz alte Debatten wieder neu geführt werden. Als ginge es um die Frage, ob etwas kommunal oder privat erledigt wird. Ein großes Thema bleibt aber das Thema Anreizregulierung, das uns schon in der nun auslaufenden Legislaturperiode stark beschäftigt hat. Wir als kommunale Eigentümer haben durch die bislang schlechteren Refinanzierungsmöglichkeiten für die Millioneninvestitionen in die Verteilnetze so etwas wie Enteignung gespürt. Dabei wissen wir doch, dass wir noch weitere Milliarden Euro investieren müssen, um die Netze auch für die Digitalisierung tauglich zu machen. Wenn die Anreize der Novelle nicht kommen, kann sich das als Bremse auswirken.
Sie würden sich eine Novelle der Anreizregulierung nach der Bundestagswahl wünschen.
Ja. Absolut – bei der Anerkennung von Betriebskosten hat auch die im letzten Jahr novellierte Verordnung noch einen blinden Fleck Besonders wichtig ist uns zudem, dass wir hoch effiziente Gaskraftwerke gebaut haben, dass sie aber nicht laufen dürfen, weil aus Stabilitätsgründen auf die alten Kohlekraftwerke gesetzt wird. Ich glaube, dass wir einen erfolgreicheren Beitrag zum Klimaschutz leisten könnten, wenn unsere Gaskraftwerkspark ans Netz gehen könnte. Derzeit findet er sich oft in Reserven wieder.
Die engen Kundenbeziehungen werden von Stadtwerken immer betont. Aus Kundensicht kann ich nur sagen: Meine Beziehungen zum Stadtwerk bestanden darin, einmal im Jahr eine mir unverständliche Rechnung zu bekommen. Das liegt ein paar Jahre zurück. Hat sich da wirklich so viel verändert?
Das ist sicherlich schon länger her. Das Selbstverständnis, dass man am Stadtwerk nicht vorbei kommt, hat sich schon verändert. Das Mainzer Stadtwerk ist auch herausgefordert worden durch die vielen Photovoltaik-Anlagen, die plötzlich angeschlossen werden mussten. Aber das ist ja genau das Selbstverständnis, sich dann nicht wegzuducken, sondern die Energiewende mitzutragen. Wir machen das! Wenn es noch einen Schub gebraucht hätte, dann ist das mit dem Wettbewerb und den Möglichkeiten der Digitalisierung längst Realität. Aber die Kundin oder der Kunde, die oder der auf den schnellen Cent durch den Wechsel der Anbieter aus sind, werden wohl nicht die klassischen Stadtwerkekunden werden. Wir werden weiter stark auf die zugehen, die erkennen, dass Stadtwerke auch eine regionale Verankerung haben. Das ist nach wie vor für viele attraktiv. Und ich sehe, dass das auch so klappt.
Michael Ebling (SPD) ist seit 2012
Oberbürgermeister der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt Mainz. Seit
Anfang 2016 ist er zudem Präsident des VKU.