Am Straßenrand liegen Schiffsschrauben, Dieselmotoren und Rettungsboote. Chittagong, im Südwesten von Bangladesch, ist eine stickig heiße, wuselige Großstadt, in der der Verkehr nur von den Rufen der Muezzins übertönt wird. Der nach der Textilindustrie wichtigste Wirtschaftszweig sind die Abwrack-Werften am Strand. Schiffe aus aller Welt landen hier, um ausgeschlachtet zu werden. Gerade laufen die Geschäfte richtig gut.
Die Zahl der von Reedereien ausrangierten Öl-Tanker ist aktuell so hoch wie seit den 80er Jahren nicht mehr. Das geht aus einer Analyse des Schiffkäufers GMC aus Singapur hervor, über die der Finanzdienst Bloomberg am Donnerstag berichtete. Es geht um hunderte Tanker in diesem Jahr, darunter vor allem rund 50 Riesentankerder Kategorie VLCC (very large crude carriers). Diese können rund zwei Millionen Barrel Öl transportieren. Vergangenes Jahr wurden demnach nur 15 dieser Tanker außer Dienst gestellt.
Der maritime Öl-Transportsektor steht damit vor einer Marktbereinigung. Die Kapazitäten der Tanker sind insgesamt aktuell so hoch, dass die Transportraten tief gefallen sind. Branchendienste sprechen sogar von einem Allzeit-Tief. Deshalb fahren viele Reedereien Verluste ein. Mehr als 700 Riesentanker sind zurzeit auf den Weltmeeren unterwegs – laut Analysten sind das rund 20 Prozent zu viel.
Die Gründe für die Talfahrt: Das Öl-Kartell OPEC, Russland und andere Ölfördererreduzieren seit dem vergangenen Jahr die Öl-Förderung. Und die USA importieren deutlich weniger Öl als früher. Zudem wurde in den vergangenen Jahren viele neue Tanker gebaut. Da gleichzeitig die aktuellen Stahl- und Metallpreise hohe Verkaufserlöse ermöglichen, ziehen viele Reeder jetzt die Reißleine und sortieren ältere Schiffe aus.
Der Schrottwert pro Riesentanker liegt laut Brancheninsidern pro Schiff bei bis zu 20 Millionen Dollar. Insgesamt könnten die Reeder dieses Jahr also eine Milliarde Dollar erlösen allein durch die Verkleinerung der VLCC-Flotte. Das Abwrack-Geschäft aber ist so lukrativ wie gefährlich: Viele Schiffe landen, wie erst kürzlich der Öl-Tanker DS VADA der Hamburger Reederei DS Tankers, auf südostasiatischen Stränden. Dort nehmen Arbeiter die Schiffe unter Lebensgefahr auseinander.
„Das Hauptverfahren nennt sich zynischerweise dismantling by gravity. Die Schwerkraft ist also das wichtigste Werkzeug“, sagt der Umweltingenieur Henning Gramann von Green Ship Recycling Services, einem Beratungsunternehmen für sicheres Abwracken. „Das heißt, die Arbeiter sägen einfach so lange, bis einzelne Schiffsteile von allein ins Wasser stürzen.“ Fallende Stahlträger sind eine der häufigsten Todesursachen.
„Das Abwracken von Öl-Tankern ist noch riskanter als etwa von Containerschiffen“, sagt Nicola Mulinaris von der Brüsseler NGO Shipbreaking Plattform. „Hier sind die Arbeiter, aber auch die Umwelt besonders gefährdet, da die Schiffe vor den Arbeiten oft nicht ausreichend gereinigt werden.“ Ölrückstände verschmutzen das Wasser und immer wieder fangen Schiffe Feuer. Genau das wäre auch den Arbeitern auf dem Öl-Tanker aus Hamburg beinahe zum Verhängnis geworden.
Am 16. Juli brach auf dem Tanker, der seit Mai auf einem Strand im pakistanischen Gadani abgewrackt wird, ein Brand aus und schloss Arbeiter im Inneren des Schiffs ein. Rettungskräften gelang es nur mit Mühe die Männer aus dem brennenden Schiff zu retten, wie pakistanische Medien berichteten und die NGO Shipbreaking Plattform bestätigte. Offenbar hatten die Abrissarbeiten begonnen, bevor das Schiff gereinigt worden war und die Behörden grünes Licht gaben. In Gadani ist das Abwracken von Tankern erst seit drei Monaten wieder erlaubt, nachdem zuvor bei Feuern mehr als 30 Arbeiter gestorben waren.
Die Hamburger Reederei DS Tankers bestätigte, dass es sich um ihr altes Schiff handelt. Das Schiff sei zuvor aber an ein anderes Unternehmen verkauft worden, und zwar ausdrücklich zum Weiterbetrieb und nicht zum Abwracken, wie eine Unternehmenssprecherin sagte. Alles andere wäre auch illegal, da Schiffe in der EU als Giftmüll gelten und zum Verschrotten gar nicht exportiert werden dürfen. Deshalb kaufen oft sogenannte Cash Buyer die Schiffe und verwerten sie dann weiter.
Als Reaktion auf die gefährlichen und viel kritisierten Arbeitsbedingungen in Pakistan, Bangladesch und Indien hat der staatliche Öl-Fonds Norwegens im Februar seine Anteile an vier großen Reedereien verkauft, die Schiffe an Stränden abwracken lassen. Das Signal des einflussreichen Fonds an die Branche wird den Abwrack-Boom auf den Stränden in Südostasien aber kaum beenden. Das liegt ausgerechnet auch an neuen Umweltvorschriften.
Ab 2020 gelten weltweit niedrigere Schwefel-Grenzwerte für die Schifffahrt. Die Obergrenze sinkt von 3,5 Prozent auf 0,5 Prozent. Das hatte die UN-Schifffahrtsorganisation IMO vor zwei Jahren beschlossen. Das verändert besonders bei den riesigen Tankern die Kalkulation der Reeder. Denn um bei älteren Schiffen die Grenzwerte einzuhalten, müssten sie dann entweder wesentlich teureren Kraftstoff einsetzen oder die Motoren mit Abgasreinigungssystemen ausstatten. Das kann bis zu fünf Millionen Euro für große Tanker kosten. Weil sich das oft nicht lohnt, werden nun auch Schiffe nach Asien geschickt, die eigentlich noch lange nicht schrottreif sind.
Am Strand von Chittagong stehen schon heute Kühlschränke aus den Kombüsen der Ozeanriesen neben Kaffeemaschinen aus den Mannschaftsquartieren. Ein Händler hat sich sogar auf die orangefarbenen Rettungsboote der ausrangierten Schiffe spezialisiert. Alles wird verwertet und weiterverkauft, bis zur letzten Schraube.
Erdöl Öl-Tanker auf letzter Fahrt
Reeder verschrotten so viele Riesentanker wie lange nicht. Überkapazitäten und Umweltvorschriften sorgen für eine Auslese. Auch deutsche Öl-Tanker landen auf Stränden in Südostasien, wo Arbeiter sie unter Lebensgefahr abwracken.
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